SPIEGEL ONLINE - 17. November 2006, 17:28 URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,449208,00.html FOLTERMORD HINTER GITTERN"Vor dem Siegburger Knast zittern die schwersten Jungs"Von Julia Jüttner Ignorante Wärter, träge Aufseher, rechtsradikale Insassen: Die JVA Siegburg, in der ein 20-jähriger Häftling von Mitgefangenen zu Tode gefoltert wurde, gilt als einer der härtesten im Land. Der Gefängnisleiter soll laut Insidern das Faustrecht unter Gefangenen geduldet haben. Siegburg - Vor wenigen Jahren hing im Gefängnisflur neben der roten, verriegelten Zellentür 413, direkt über dem Lichtschalter, ein Poster: Darauf die Comic-Figur Garfield, zähnefletschend, aufgehängt an eisernen Handfesseln. Darüber steht in schwarzen Buchstaben: "Denk dran: Jeder Tag könnte dein letzter sein." JVA Siegburg: "Hier herrscht das Faustrecht""Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu wissen, welche Botschaft dahinter steckt, ausgerechnet solch ein Plakat in einem Knast aufzuhängen", sagt einer, der die Anstalt damals besucht hat, zu SPIEGEL ONLINE. Ob das Poster noch heute hängt, ist nicht bekannt. Aus den Gefängnismauern darf nach der Ermordung des 20-jährigen Hermann H., Häftling in Haus 2, nichts mehr nach außen dringen. Drei Mithäftlinge hatten den Mann gefoltert und anschließend zum Suizid gezwungen. Ein 25-Jähriger, der ebenfalls im Haus 2 des Jugendvollzugs einsitzen musste, hat den brutalen Gefängnisalltag dort vor sechs Jahren kennengelernt. "Unter den drei Schlägern ist hundertprozentig ein Rechter dabei", behauptet er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Gerade die JVA Siegburg habe ein Problem mit Rechtsextremen hinter Gittern. Überall schwirre Propagandamaterial der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene (HNG), eine der größten Neonazi-Vereinigungen in Deutschland, herum. "Wenn die einen Junkie zu einem Nazi stecken, ist der Stress programmiert", sagt der Ex-Häftling, dessen Drogenkarriere ihn hinter Gitter brachte. Im Drogenmilieu Nordrhein-Westfalens fürchte man sich speziell vor der Siegburger Jugendstrafanstalt. "Da zittern sogar die ganz schweren Jungs. Man kann echt froh sein, wenn man im Erwachsenenvollzug landet. Dort wollen die Gefangenen ihre Ruhe und sind nicht so auf Krawall gebürstet." Die jüngsten Häftlinge werden "Piccos" genannt. "Wenn es gut läuft, stecken sie zwei Piccos zusammen in eine Zelle. Das hilft nicht immer, aber sie sind wenigstens zu zweit, wenn die anderen durchdrehen", sagt der 25-Jährige. "Auf die Fresse gibt's aber immer. Manchmal hatte ich das Gefühl, das finden die Zuständigen auch absolut okay." Verantwortlich für die Zustände ist Anstaltsleiter Wolfgang Neufeind. Er hat deshalb aber nicht nur viele Insassen zum Feind - auch den Großteil seines Mitarbeiterstammes. "Er sieht nicht nur aus wie ein Gefängnisdirektor aus den fünfziger Jahren - er verhält sich auch so", beschreibt ihn ein ehemaliger Beamter der JVA Siegburg im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE: "Der duldet das Faustrecht unter den Häftlingen und die innere Hierarchie. Der hat allerhand unterm Deckel zu halten: Allein in den letzten zwei Jahren soll es sechs brutale Übergriffe gegeben haben." Sein Ex-Mitarbeiter wundert sich nicht, dass der Gefängnisleiter nicht zum Tatort in der Nasszelle erschienen ist, wo der 20-Jährige aufgefunden wurde: "Die Knackis sind weit unter seinem Niveau. Was meinen Sie, wie es zum Teil in den Zellen stinkt? - Viele putzen sich keine Zähne, geschweige denn den Rest. Herr Neufeind lässt sich nie in den Zellentrakten blicken. Das ist unter seiner Würde." Trotz mehrfacher Anfrage von SPIEGEL ONLINE wollte sich Neufeind nicht zu den Vorwürfen äußern. Umgangston hinter Gittern mehr als respektlos "Personalmangel ist das größte Problem in deutschen Haftanstalten", sagt Friedhelm Sanker, Vizechef des Bundes der Strafvollzugsbediensteten in Deutschland (BSBD) - gerade an Wochenenden und Feiertagen herrscht absolute Notbesetzung. Das wissen auch die Gefangenen. Hermann H. wurde am vergangenen Samstag zu Tode geprügelt. Seine Peiniger hatten abgewartet, bis das Mittagessen gebracht wurde. Samstags und sonntags werden zwischen 12 und 13 Uhr mittags das Mittag- und das Abendessen auf einmal geliefert. Wenn die Gefangenen keinen Kontakt mehr mit dem Personal wünschen, sind sie von mittags bis zum nächsten Morgen auf sich alleine gestellt. Das nutzten die drei Häftlinge aus - und quälten Hermann H. auf bestialische Weise und zwangen ihn zum Selbstmord. "Die Beamten sind wie die meisten Vollzugsbediensteten zum großen Teil unmotiviert. Oft sind sie krank geschrieben, weil es die einzige Möglichkeit ist, sich von dem Psychostress eine Auszeit zu nehmen", sagt der ehemalige Angestellte der JVA Siegburg. "Unter den Bediensteten sind auch viele sehr einfache Leute, die nur ihre acht Stunden absitzen und sich nicht wirklich um die Gefangenen kümmern. Viele haben selbst private Probleme, die meisten sind geschieden oder haben einfach andere Baustellen in ihrem Leben. Je länger man im Dienst ist, desto abgestumpfter wird man dabei auch." Schuld sei auch der rüde, aggressive, respektlose Umgangston zwischen den Häftlingen und dem Personal. "Das kann sich keiner vorstellen, wie man da angebrüllt, beschimpft und behandelt wird", so der ehemalige JVA-Angestellte. Rückblickend muss er zugeben: "Die Häftlinge werden immer gewaltbereiter. Sie erleben ja auch den ganzen Tag nichts, langweilen sich und bekommen manchmal zur Strafe auch noch den Hofgang oder die Sporteinheit gestrichen." Sein erschütterndes Resümee: "Bis zu einem gewissen Punkt hat der tragische Vorfall eine gewisse Normalität, denn es herrscht eine klare Unterordnung, was die körperlich und emotional Schwächeren in einer Zelle aushalten müssen. Alles bekommen die Wärter nicht mit." Das bestätigt auch ein 21-Jähriger, der sechs Monate Haft im Jugendvollzug Siegburg abbüßte: "Gerade an den Wochenenden gibt es keine Form der Betreuung oder Beschäftigung. Und das soll Resozialisierung sein?", sagt er SPIEGEL ONLINE. Er selbst habe mitbekommen, wie Häftlinge einem Mitgefangenen auf dem Handrücken Zigaretten ausgedrückt hätten. Eingemischt habe er sich nicht. "Ich bin doch nicht lebensmüde!" Wenn ein Insasse aufgrund einer Prügelei oder eines Folterexzesses nicht an der Arbeit der Gefangenen teilnehmen konnte oder wollte, ließ er sich krank melden. Hermann H. kam an letzter Stelle in der Hierarchie Der zu Tode gefolterte Hermann H. stand in der Häftlingshierarchie als Neuzugang ganz unten. So schockierend das Leben von Hermann H. endete, so traurig begann es in Leverkusen am 7. März 1986: Sein Vater soll wegen Missbrauchs seiner Stieftochter im Gefängnis gesessen haben, seine Mutter mit Drogen herumexperimentiert haben. Mit sechs Jahren kam er das erste Mal in ein Heim, wechselte diese des Öfteren. Mit 17 haute er ab, zog für kurze Zeit zu seinem Vater - und endete schließlich auf der Straße. Mit 16 stand er erstmals vor dem Jugendrichter: Insgesamt beinhaltet sein Strafregister 22 Eintragungen - Verbrechen, die er beging, um sich Geld für Drogen zu beschaffen - eine typische Diebstahlskarriere wegen Drogenabhängigkeit. In die JVA Siegburg kam er letztendlich, weil er dabei erwischt wurde, wie er die Scheibe eines Kaugummi-Automaten einschlug - zu lang war das Register seiner Straftaten, zu oft hatte er gegen Bewährungsauflagen verstoßen, Sozialstunden nicht geleistet. "Hermann war keiner, der alles aufmischte. Eigentlich war er einer, dem man helfen musste, weil er mit dem Leben nicht zurechtkam", erinnert sich Rainer Gurk, Leiter des Fachbereichs Kinder und Jugend im Jugendamt der Stadt Leverkusen im "Kölner Stadt-Anzeiger". Staatsanwalt prüft Ermittlungsverfahren gegen Personal Noch immer laufen die Ermittlungen, ob die Staatsanwaltschaft gegen das Haftpersonal ein Verfahren einleiten wird. Zwei Punkte stünden dabei im Zentrum der Ermittlungen, so Fred Apostel, Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft. Zum einen gehe es darum zu klären, warum kein Aufseher die Gemeinschaftszelle betrat, als Hermann H. den Knopf zum Rufen der Wärter gedrückt hatte; zum anderen ist noch immer unklar, warum wenige Stunden danach die beiden Vollzugsbeamten, die die Zelle betraten, sich nicht vom Zustand des misshandelten Häftlings überzeugten - sondern ihn in seinem Bett, unter seiner Decke liegen ließen.
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