Heiße Eisen (EuramS) 04.06.2006 08:29:00 Die Rohstoffpreise sind ähnlich volatil wie die Aktienkurse geworden. Mahnungen vom Ende der Hausse machen die Runde. Warum dem nicht so ist, zeigt das Beispiel Metalle von Jörg Billina
Lakshmi Mittal "ist ein Verführer, der nicht immer die Wahrheit sagt", warnt Guy Dollé. "Affengeld" bekämen die Aktionäre, wenn sie auf das feindliche Übernahmeangebot in Höhe von 26 Milliarden Euro eingingen. Dollé, Chef des Stahlkonzerns Arcelor, kämpft mit harten Bandagen gegen Mittal und dessen Stahlimperium Mittal Steel. Schließlich ist es sein letztes Jahr auf dem Vorstandsposten. Keinesfalls will er als Unterlegener "dem Inder" das Feld überlassen. Der Schlagabtausch zwischen Dollé und Mittal treibt seit Monaten die Aktien aus der Stahlbranche. Der Kurs von Arcelor stieg seit Mitte Januar um 63 Prozent. Auch ThyssenKrupp legte ordentlich zu.
Nervös verfolgen dagegen Rohstoffinvestoren das Geschehen. In den vergangenen Jahren haben sie kräftig verdient. Der Merrill-Lynch-World-Mining-Fonds etwa bringt es auf Drei-Jahres-Sicht auf ein Plus von über 230 Prozent. Doch die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen in den USA hatte jüngst Befürchtungen geweckt, die Weltwirtschaft werde einen Gang zurückschalten, die Nachfrage nach Nickel, Aluminium und Kupfer einbrechen. Sollten die Stahlkonzerne nun auch noch durch Fusionen ihre Verhandlungsmacht gegenüber den Zulieferern stärken, dürften die künftigen Gewinne der Minenbetreiber zusätzlich unter Druck geraten. An düsteren Prognosen mangelt es derzeit nicht. "Die Welt ist mitten in einer neuen Blase – diesmal bei Rohstoffen. Auch diese Blase wird platzen", unkt Stephen Roach, Chefvolkwirt von Morgan Stanley.
Neue Nahrung erhielten die Ängste der Rohstoffinvestoren, als Dollé völlig überraschend Alexej Mordaschow als Retter aus dem Hut zauberte. Der Vorstandsvorsitzende des russischen Stahlkonzerns Severstal soll eine Minderheitsbeteiligung von 32 Prozent an Arcelor erwerben. Das würde den 40jährigen Top-Manager, der beste Beziehungen zum Kreml unterhält, zwar Einfluß auf die Unternehmensführung eröffnen. Die von Mittal anvisierte vollständige Kontrolle bekäme er jedoch nicht. Vorerst jedenfalls. Beobachter schließen nicht aus, daß der ehrgeizige Mordaschow in wenigen Jahren seine Anteile erhöht und eines Tages ganz das Kommando bei den Luxemburgern übernimmt. Für den Einstieg ist Mordaschow immerhin bereit, einen hohen Preis zu zahlen: eine Milliarde Euro in bar und rund 13 Milliarden Euro in Aktien. Ob der Deal tatsächlich über die Bühne geht und Mittal als Stahlkönig abgelöst wird, hängt von den Arcelor-Aktionären ab. Sie entscheiden Ende Juni.
Derweil schiebt ein weiterer Russe das Fusionskarussel an. Roman Abramowitsch, Besitzer des FC Chelsea und mit rund 18 Milliarden Euro elftreichster Mann der Welt, erwägt eine Beteiligung an dem größten russischen Stahlunternehmen Evraz. Für die Manager von Evraz kommt das auf zwei bis drei Milliarden Euro geplante Engagement Abramowitschs wie gerufen. Mit dem Geld werden sie die Fusion mit dem britisch-holländischen Konzern Corus vorantreiben.
Die Übernahmewelle in der Stahlbranche hat ihre Gründe: "In den vergangen drei Jahren sind die Preise der für die Herstellung von Stahl notwendigen Rohstofffe – Eisenerz und Kohle – kräftig nach oben gegangen", sagt Petra Kühl, Fondsmanagerin des Dit Rohstoffe. Eine Tonne des zur Produktion von Edelstahl eingesetzten Nickels kostete im Januar 2003 noch 9319 Dollar. Heute notiert Nickel bei 20400 Dollar. Durch den Zusammenschluß zu größeren Einheiten hoffen die Stahlunternehmen, günstigere Konditionen auszuhandeln. Doch bis sie die dazu notwendige Größe erreichen, dürfte es nach Meinung Kühls noch eine ganze Weile dauern. Bislang jedenfalls haben die großen Drei das Sagen: BHP Billiton, Rio Tinto und die Companhia Vale do Rio Doce, kurz CVRD. Im Handel mit Eisenerz bringen es die Minenbetreiber zusammen auf einen Marktanteil von rund 74 Prozent. Wie mächtig das Trio ist, das mußten zuletzt chinesische Stahlfirmen schmerzlich erfahren. Lange Zeit hatten sie sich im Gegensatz zu Arcelor, anderen europäischen sowie japanischen Firmen geweigert, eine Preiserhöhung von 19 Prozent zu akzeptieren. Zumal die drei Rohstoffgiganten ihnen schon im vergangenen Jahr um 70 Prozent höhere Rechnungen ausgestellt hatten. Doch Bitten und Drohungen nutzten nichts. Vergangene Woche gaben die Chinesen den Widerstand auf. Rohstoffexpertin Kühl: "Obwohl China weltweit der größte Importeur von Eisenerz, Kupfer, Zink und anderen Rohstoffen ist, kann es die Preise nicht zu seinen Gunsten beeinflussen."
CVRD-Chef Roger Agnelli und der CEO von BHP-Billiton, Charles Goodyear, sitzen am längeren Hebel. Sie wissen, unter welch großem Druck ihre Verhandlungspartner stehen. "Die chinesische Regierung ist gezwungen, jedes Jahr Millionen neuer Jobs zu schaffen. Ansonsten drohen soziale Konflikte", sagt Kühl. Doch neue Arbeitsplätze entstehen nur dann, wenn die Wirtschaft auf hohen Touren läuft und Wachstumsraten von neun, zehn Prozent jedes Jahr erzielt werden. "Ohne Rohstoffe kann China den Sprung vom Entwicklungsland zum Industriestaat nicht schaffen", sagt Kühl.
Das gilt auch für Indien. Wie im Reich der Mitte muß auch auf dem Subkontinent die Infrastruktur modernisiert oder gar erst einmal geschaffen werden. Die Regierung in Delhi investiert deshalb in Kraftwerke, Autobahnen, Häfen und Flugplätze. Nur so schafft sie die Voraussetzung dafür, daß die rasch wachsende Bevölkerung eine Zukunft hat. "Die alte Faustregel, daß 20 Prozent der Menschheit in Europa, Nord- amerika und Japan mehr als 80 Prozent der Weltbergbauproduktion konsumieren, gilt heute nicht mehr", sagt Markus Wagner von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Mit China und Indien sowie anderen Schwellenländern sei heute über die Hälfte der Weltbevölkerung an der Nachfrage nach Rohstoffen beteiligt.
Trotzdem sei das aktuell hohe Preisniveau nicht nur auf die gewaltig gestiegene Nachfrage zurückzuführen, entscheidend sei das ungewohnt knappe Angebot, meint Wagner: "Die meisten Minen sind vollständig ausgelastet. Kurzfristig können sie die Produktion nicht hochfahren." Ähnlich wie die Ölgesellschaften begännen die Bergbaugesellschaften jetzt erst, in den Aufbau neuer Kapazitäten zu investieren (siehe Seite 22). Rasche Ergebnisse seien allerdings nicht zu erwarten. Denn oft befinden sich die Vorkommen in politisch riskanten Ländern und sind zudem nur schwer erschließbar.
Wie die von der US-Gesellschaft Freeport McMoRan und Rio Tinto betriebene Mine Grasberg. Der größte Gold- und drittgrößte Kupferabbau der Welt findet im Regenwaldgebiet von West-Papua statt, dem Westteil der Insel Neuguinea. Seit einer umstrittenen Volksabstimmung im Jahr 1969 beansprucht Indonesien die Provinz. Um Grasberg gegen Blockaden von Freiheitskämpfern zu schützen, machen Menschenrechtsgruppen Freeport den Vorwurf, illegal hohe Summen an das indonesische Militär und die Provinzregierung von West-Papua zu zahlen. Inzwischen ermitteln sogar das US-Justizministerium und die Aufsichtsbehörde der New Yorker Börse, die SEC, gegen Freeport McMoRan.
Trotz des massiven Aufgebots sind die indonesischen Sicherheitsorgane um Grasberg jedoch nicht immer erfolgreich. Mehrmals mußte in der Vergangenheit die Produktion unterbrochen werden. "Jeder Stop wirkt sich unmittelbar auf die Preise aus", sagt Rohstoffexpertin Kühl. Ein weiterer Ausbau von Grasberg ist aber unter diesen Umständen nur schwer durchzusetzen. Zumal auch Umweltschützer immer wieder vehement die Schließung der Mine fordern.
Mit einem anderen Problem hat Codelco, die weltgrößte Kupfermine, zu kämpfen. Auch sie kann die Produktion nicht der steigenden Nachfrage anpassen. Denn Codelco gehört zu 100 Prozent dem chilenischen Staat. Anstatt in die Produktion zu investieren, lenkt die Regierung die Gewinne von Codelco in die Haushaltskasse oder finanziert damit Sozialprogramme. Daß das Angebot knapp und die Preise für metallische Rohstoffe weierhin hoch bleiben, dafür sorgen auch Streiks in Ländern wie Mexiko und Peru. Graham French, Fondsmanager des zwei Milliarden Euro schweren M&G Global Basics, hat dafür volles Verständnis: "Angesichts des Hochs im Rohstoffmarkt ist es nichts Ungewöhnliches, daß Mitarbeiter eine höhere Gewinnbeteiligung fordern." Trotz der jüngsten Korrektur hat French keine Zweifel an der Nachhaltigkeit der Rohstoff-Hausse: "Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird eher zu- als abnehmen. Der Preisanstieg steht auf einer soliden Basis."
Die Stahlbarone Mordaschow und Mittal werden sich wohl noch lange nach geeigneten Übernahmeobjekten umsehen müssen. -red-
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