Aus der FTD vom 29.8.2001 Griff in die US-Rentenkasse blamiert Bush Von Yvonne Esterhazy, Peter Spiegel und Richard Wolffe, Washington
Sieben Monate nach Amtsantritt steht Präsident George W. Bush kurz davor, eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen zu brechen: die Rentenkasse nicht zur Finanzierung anderer Regierungsausgaben anzutasten.
"Alle Einnahmen aus der Rentensteuer werden nur zu einem Zweck ausgegeben - für die Rente", hatte der Republikaner noch vier Tage vor der Wahl im letzten November geschworen. Nun droht Bush eine schwere Blamage: Den jüngsten Projektionen des US-Kongresses zufolge wird die Regierung im laufenden Fiskaljahr rund 9 Mrd. $ aus den Renteneinnahmen borgen müssen, um ihre Ausgaben decken zu können.
Für beide politischen Lager - Bushs Republikaner wie die oppositionellen Demokraten - ist der Streit um die Haushaltszahlen weit mehr als ein Disput über ökonomische Vorhersagen. Der Schärfe der Auseinandersetzung nach zu urteilen, scheint die Debatte eher eine der ersten großen Schlachten im Vorfeld der Kongresswahl 2002 zu sein. Bei der Wahl geht es um die Kontrolle über das derzeit in zwei fast gleich große Fraktionen gespaltene Parlament.
 Das Haushaltsbüro des US-Parlaments - das unabhängige Congressional Budget Office (CBO) - rechnet in seinem neuen Bericht zur Budgetlage vor, dass die Regierung 2003 sogar 18 Mrd. $ aus der Rentenkasse entnehmen muss. 2004 werden es rund 3 Mrd. $ (siehe FTD vom 28. August). Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl im November 2004 werden die USA außerhalb der Rentenkasse praktisch keine Haushaltsüberschüsse mehr erwirtschaften, so die Prognose.
Für Bush, der auch vor wenigen Tagen noch versprochen hatte, die Rentenüberschüsse nur bei "Krieg oder Rezession" anzutasten, könnte sich die Budgetsituation als verhängnisvoll erweisen. Unvergessen ist, wie sein Vater, Ex-Präsident George Bush senior, in den 80er Jahren trotz aller Beteuerungen die Steuern erhöhen musste - und trotz des gewonnenen Golfkriegs die Wahl verlor.
Noch im Mai hatte das CBO den Budgetüberschuss für 2001 um rund 122 Mrd. $ höher veranschlagt. Die scharfe Revision nach unten begründeten die Experten jetzt mit Bushs Steuersenkungspaket sowie der Konjunkturflaute: "Zwei Drittel der Korrektur sind ein Resultat neuer Gesetzgebung, ein Drittel geht auf die Verlangsamung der Wirtschaft und andere Faktoren zurück."
Die Demokraten geben dem Weißen Haus die Schuld an den gesunkenen Überschüssen und dem Griff in die Rentenkasse. Bushs massive Steuersenkungen, so ihr Vorwurf, seien fiskalpolitisch ruinös. "Der Präsident hat das Land in eine schwierige Lage gebracht", schimpfte der demokratische Senator und Haushaltspolitiker Kent Conrad. Die Republikaner verteidigen sich mit dem Hinweis auf die flaue Konjunktur. Die Entlastungen seien der beste Weg, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, so ihr Argument.
Tatsächlich könnten die Demokraten sich schwer tun, Bush in die Enge zu treiben - schließlich haben einige ihrer Senatoren dem Steuerpaket zur Mehrheit verholfen. "Die Demokraten sehen das als riesige Möglichkeit, aber es wird schwer für die werden, sie auszuschlachten", meint Robert Reischauer, ein früherer CBO-Chef. "Bei den fiskalpolitischen Sünden in diesem Jahr waren sie Komplizen."
Vor allem können die Republikaner darauf verweisen, dass ein großer Teil der Steuersenkungen auf dieses Jahr vorgezogen wurde, um die Konjunktur zu stützen. Das hat die Überschüsse abschmelzen lassen.
Ähnlich sieht auch Norm Ornstein, Innenpolitikexperte am American Enterprise Institute, die Lage. "Die Demokraten sind nicht auf sicherem Grund." Zudem sitze in Haushaltskämpfen traditionell das Weiße Haus am längeren Hebel. Das ist ein "großer Vorteil" für Bush, so Ornstein.
Bush selbst machte bereits vorige Woche klar, dass ihn die Budgetzahlen nicht schrecken. Er begrüße eine Debatte über die Steuersenkungen, sagte er. "Wenn einer gegen die Entlastungen ist, ist er dann dafür, die Steuer anzuheben, oder was?", fragte er - ein Argument, das Demokraten, die eine Rücknahme der Senkungen fordern, noch öfter zu hören bekommen werden.
Bürger geben Bush die Schuld
Wie schwierig die Lage der Opposition ist, zeigen auch aktuelle Umfragen: Gallup zufolge geben zwar 72 Prozent der Befragten Bush eine Mitschuld an den sinkenden Überschüssen. 61 Prozent zeigen jedoch auch auf die Demokraten im Kongress.
Bei all dem geht unter, dass unter Präsidenten wie Ronald Reagan und sogar Bill Clinton oft Überschüsse aus den Rentenkassen zur Finanzierung anderer Ausgaben heranzogen wurden. Das Konzept eines politisch unantastbaren Rententopfes hat erst im letzten Wahlkampf der demokratische Kandidat Al Gore zum moralischen Prinzip erhoben. Bushs Fehler war damals vielleicht sich darauf einzulassen.
Wirtschaftlich wirklich relevant ist die Verwendung der Rentenüberschüsse nur, weil beide Parteien sich verpflichtet haben, sie zum Abbau der Staatsschulden zu verwenden. Die aktuellen Rentenzahlungen sind - wie in Deutschland - durch einen Generationenvertrag gesichert.
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Plötzlich sind die Haushaltsüberschüsse weg
"On Budget" werden in den USA die Überschüsse oder Defizite im regulären Haushalt verbucht. Dem CBO zufolge werden dort auch 2003 und 2004 Defizite erwartet - obwohl die Wirtschaft dann wieder auf Touren gekommen sein sollte.
"Off Budget" heißt der Budgetteil, in den die Rentenbeiträge fließen. Er soll bis 2016 Überschüsse haben.
© 2001 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
URL des Artikels: http://www.ftd.de/pw/am/FTDV1O3LYQC.html
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