Ich bezweifle allerdings, dass man über Makroökonomik wirklich "wertneutral" (und damit "offen") diskutieren kann.
Ökonomie bzw. Wirtschaftswissenschaft zählen bekanntlich zu den "weichen" Sozialwissenschaften, im Gegensatz etwa zu "harten" Naturwissenschaften wie Physik und Chemie. "Weich" bedeutet, dass es keine absolute Richtigkeit geben kann (wie z. B. bei Newtons Fallgesetzen), sondern immer nur eine relative Richtigkeit, die von politischen, sozialen, historischen Prämissen und zig anderen Parametern abhängt.
Das beste Gegenbeispiel für "Neutralität" ist das Standardwerk "The Holy Grail of Macroeconomics" des Ökonomen Richard C. Koo, der in Japan an "Quantative Easing"-Maßnahmen der BoJ beteiligt war - und dessen Buch letztlich eine Rechtfertigung für QE darstellt. Kritiker monierten, dass QE in Japan nichts gebracht habe, weil Japans Wirtschaft auch Jahrzehnte nach dem 1990-Crash noch deflationär vor sich hindümpelt. Koo hält dagegen, dass Japan ohne QE in einer zweiten Großen Depression versunken wäre, und genau die sei durch Japans QE verhindert worden. Das heißt: Das Seitwärts-Siechtum seit 1990 betrachtet Koo bereits als relativen "Gewinn" im Vergleich zur sonst angeblich eingetretenen, ökonomisch weitaus schlimmeren zweiten Großen Depression.
Inzwischen verklären auch Zentralbanker wie z. B. Bernanke rückblickend die Wirkmacht ihrer QE-Maßnahmen mit ähnlichen Argumenten. Da spielt jedoch mMn eine Menge politische Augenwischerei und Selbstbeweihräucherung mit rein.
In (4) des Eingangspostings habe ich in der Tat schon implizit selber (wertend) Stellung bezogen, weil ich den Zentralbanken aktuell eine größere Wirkmacht (als etwa im letzten Jahrtausend) zugestehe, denn sonst würde ja eine Kritik daran auch gar keinen Sinn machen. Ich stimme auch Koo zu, dass QE nicht wirkneutral ist. Allerdings weigere ich mich, die vielen von den Zentralbank-"Rettern" totgeschwiegenen negative Nebenaspekte zu übersehen, als das wären: Vermögenspreis-Inflation, die das Wohnen in Großstädten wegen explodierender Mieten inzwischen fast unbezahlbar macht; kalte Enteignung der Sparer durch Nullzinsen trotz merklicher Inflation, bei der EZB außerdem klammheimliche verbotene Staatsfinanzierung der Südperipherie-Staaten und damit Verletzung der Maastricht-Regeln. Und man weiß nicht einmal genau, ob diese vielen Nebenaspekte für manchen Zentralbänker nicht vielleicht sogar die Hauptaspekt waren ;-)
Mir ist bekannt, dass Du (Fillorkill) Notenbanken für "neutral" hälst. Dir wiederum ist bekannt, dass ich sie nicht für nicht neutral, d.h. für sehr wirkmächtig mit noch mehr Nebenwirkungen halte. Es ist mMn legitim, über diese Nebenwirkungen, zu denen eben auch Umverteilung von unten nach oben zählt (Enteignung der Sparer bei Mästung der Aktionäre) hier zu streiten, und das wird niemals "neutral" vonstatten gehen können. Schon allein deshalb, weil diejenigen, die davon profitieren, diese Diskussion scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Hier im Thread dürfen solche gegensätzlichen Grundeinschätzungen gern aufeinanderprallen. Sie sollten allerdings der ziemlich komplizierten Faktenlage hinreichend Rechnung zollen. (So ist das profane Argument" Gelddrucken" zu simpel, wenn auch nicht grundfalsch)
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P.S: Ebenso illusorisch wäre es, einen wirklich "neutralen" Thread zu Politikwissenschaften aufmachen zu wollen. Denn jeder, der Politikwissenschaften studiert, hat auch eine eigene politische Meinung, die zugleich die Prämissen für die eigene Forschung, Interessenschwerpunkte und Politikempfehlungen vorgibt.
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