Liegestütze im Morgengrauen, mit Marschgepäck im Schlamm robben: Christina Hildebrandt wollte Offizierin werden. Nun erzählt die 25-Jährige, wie sie in der ruppigen Männerwelt zurechtkam und warum sie nun doch lieber einen typischen Frauenberuf ergreift.
"An die Autofahrt zur Kaserne erinnere ich mich noch genau. Während meine Freunde nach dem Abiturstress Partys feierten und in den Urlaub fuhren, war ich unterwegs in die baden-württembergische Provinz. Schon nach dem Elbtunnel kamen mir die ersten Zweifel. 'Was machst du da eigentlich?', fragte ich mich.
Erst ein paar Monate vorher wurden die ersten Frauen zum Waffendienst bei der Bundeswehr zugelassen. In meinem letzten Schuljahr hatte ich mich entschieden, Offizier zu werden. Natürlich bin ich mit dieser Idee bei manchen auf Ablehnung gestoßen. 'Kampfmaschinen' war nur ein Kommentar von vielen, die ich zu hören bekam.
Aber ich wollte immer gerne eine Führungsrolle übernehmen und junge Menschen ausbilden. Außerdem mein Traum, seit ich als kleines Mädchen in der Autowerkstatt meines Vaters gespielt habe: einen Panzer steuern.
Angekommen in der Kaserne, lernte ich meine Kameradinnen kennen. Vier Frauen unter 600 Männern! Wir waren in dem Bataillon die ersten weiblichen Soldaten, die eine Ausbildung zum Offizier absolvieren durften. Sonst aber hatten wir wenig gemeinsam und waren allein schon äußerlich völlig unterschiedliche Typen - ich mit meinen langen blonden Locken, meine Zimmernachbarin mit millimeterkurz abrasierten Haaren.
Nagellack im Spind? Fehlanzeige
Unserem Zimmer sah man nicht an, dass sich hier vier junge Frauen eine Stube teilten. Von Teddybären auf den Betten oder Schminksachen vor den Spiegeln war keine Spur. Allerdings: Stube statt Zimmer zu sagen, Kamerad für Kollege und Zapfenstreich statt Bettruhe - das musste ich erst lernen. Aber nicht nur an die Sprache musste ich mich gewöhnen.
Es war eine völlig andere Welt, in die ich mich einfügen sollte. Anfangs war es ungewohnt, sich nicht zu schminken, die Haare zu einem strengen Zopf zu binden und keinen Schmuck zu tragen. Mal schnell lässig ein T-Shirt drüberziehen - im Dienst ist das nicht möglich. Steckt man dann erst mal in der Uniform, unterscheidet einen zumindest äußerlich kaum noch etwas von den männlichen Soldaten. Man nimmt in Feldanzug und Stiefeln einen anderen Gang an, man bewegt sich anders, wahrscheinlich auch ein bisschen männlicher. Wenn man seine zivile Kleidung ablegt, hat man das Gefühl, ein anderer Mensch zu werden.
Auf ein weibliches Accessoire konnte ich dann aber doch nicht verzichten: Beim ersten offiziellen Antreten stand ich mit Handtasche da. Dass ich die tragen durfte, musste ich vor dem Ausbilder erst durchsetzen. Aber wo sollte denn sonst mein Kleinkram, mein Geldbeutel und Handy hin?! Handtaschen in der Bundeswehr - man merkte schon, dass Frauen sich in dieser Männerwelt erst noch durchsetzen mussten.
Der tarnfarbene Feldanzug, den ich tragen musste, passte mir überhaupt nicht. Die Hosenbeine viel zu lang, das Hemd riesengroß. Ich bin 1,56 Meter klein, für Bundeswehr-Verhältnisse also winzig. Schließlich habe ich eine maßgeschneiderte Uniform bekommen. Klar, dass der Schnitt nicht besonders weiblich war, denn jahrzehntelang war alles nur auf Männer zugeschnitten worden. Das gilt nicht nur für die Kleidung. Zum Beispiel gibt es für die offiziellen Dienstgrade nicht mal weibliche Bezeichnungen.
Zackiger Weckruf, dann Frühsport und Waffendrill
Eine Gefreite oder Offizierin gibt es nicht. "Gefreiter (w)" nennt man das dann. Zeit, mein Zuhause zu vermissen, hatte ich am Anfang gar nicht. Morgens weckte uns der Ausbilder um halb fünf mit einem zackigen Schrei, dann schnell duschen und vor dem Frühstück noch Liegestütze auf dem Flur. Danach steht oft Waffendrill auf dem Programm.
Oder Geländemarsch mit Gepäck. Die Komplettausrüstung eines Soldaten wiegt 30 Kilo. Dreißig Kilogramm! Und die sollte ich, die nie besonders sportlich war, tragen? Natürlich kamen mir dabei auch manchmal Zweifel. Irgendwann saß ich dann draußen im Schlamm und fragte mich: "Warum mache ich das hier eigentlich?" Wir Frauen waren alle irgendwann mal an dem Punkt, wo wir uns überlegt haben, alles hinzuschmeißen.
In solchen Momenten hat mir die Kameradschaft unter den Soldaten geholfen. Kameradschaft, das ist auch so ein Begriff, den ich erst bei der Bundeswehr gelernt habe. Es ist anders als Freundschaft, vor allem ganz anders als Mädchen-Freundschaften, die ich aus Schulzeiten kannte. Kameradschaft ist, wenn man zusammenhält, wenn beim Geländemarsch einer anbietet, einen Teil des Gepäcks mitzutragen, auch wenn er selbst erschöpft ist. In solchen Momenten merkst du dann auch ganz schnell, wer dir wirklich hilft und wen das gar nicht interessiert.
Frauen wird ja oft nachgesagt, besonders emotional zu reagieren, auch im Berufsleben. Ich bin natürlich auch nicht aus Stein, habe manchmal schlechte Laune, bin müde oder traurig. Solche Emotionen aber muss man im Dienst bei der Bundeswehr beiseite lassen. Die Eigenschaft, Regeln zu akzeptieren und Entscheidungen einfach hinzunehmen, hat mir bei der Bundeswehr sehr geholfen.
Man muss schon mit Hierarchien klar kommen und darf es nicht persönlich nehmen, wenn man mal ruppig angeschrieen wird. In solchen Momenten habe ich mir dann eben vor Augen geführt, dass dieser Drill einem irgendwann während eines Einsatzes die Lebensversicherung sein kann.
Meine Zeit bei der Bundeswehr hat mich sehr geprägt, ich bin ernster geworden, wahrscheinlich auch disziplinierter. Nach zwei Jahren stellte ich jedoch fest, dass meine körperliche Kraft für den harten Dienst einfach nicht ausreicht, ich musste den Dienst quittieren. Statt einen Panzer über das Gelände zu steuern, ergreife ich jetzt einen typischen Frauenberuf: Ich möchte Lehrerin werden."
Aufgezeichnet von Antonia Bauer, 21. Sie studiert Anglistik und Politik und ist Redakteurin beim Hamburger Jugendmagazin "Freihafen".
spiegel.de
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