Möllemann und Barschel - Hexenjagd
Von Volker Zastrow 11. Juni 2003 Nach Uwe Barschel, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, ist Jürgen Möllemann der zweite deutsche Nachkriegspolitiker von Rang, der in Folge eines "Skandals" aus dem Leben geschieden ist. In beiden Fällen ist die Todesursache bisher ungeklärt. Auch bei Möllemann wird sich womöglich nicht mit letzter Sicherheit feststellen lassen, ob er sich das Leben genommen hat. Seine Freunde und Bekannten, aber auch distanziertere Weggefährten halten das für unwahrscheinlich. Er sei doch ein Kämpfer gewesen, sagen viele. Das hieß es bei Barschel auch. Solcher Übereinstimmungen gibt es viele, denn geschehen ist im Grunde das gleiche. Beide Männer wurden Opfer einer Hexenjagd. Das will vor allem den Jägern nicht in den Kopf: Sie wollen in ihrer Beute nicht das Opfer sehen, sondern weiter den Täter. Denn nur diese Sicht rechtfertigt die Jagd.
Deshalb werden auch bis heute, pikanterweise nun aus Anlaß von Möllemanns Tod, die alten Vorwürfe gegen Barschel wiederholt. Er habe kriminelle "Machenschaften" gegen seinen politischen Widersacher angestiftet - früher sogar fast sprichwörtlich "Barscheleien" genannt. Der Vorwurf ist längst widerlegt: Es gibt keinerlei Beweis dafür, daß der damalige Ministerpräsident Detektivüberwachung, eine anonyme Steueranzeige und Telefonterror gegen Björn Engholm veranlaßt hatte. Das waren wirre Taten eines verkrachten Journalisten, der sich mit Hilfe eines Telefonbetrügers zunächst eine Stelle bei Springer verschaffen konnte und dann - derart qualifiziert - einen befristeten Job als Wahlkampfhelfer in der Pressestelle der Kieler Staatskanzlei erhielt.
Tödliche Konsequenz
Brisant wurde die Angelegenheit durch die Verknüpfung mit einer Landtagswahl - der "Spiegel" veröffentlichte unmittelbar davor seinen Kieler Traum von Watergate und wirkte anschließend über Wochen hin weiter an seiner Story. Doch tödliche Konsequenz gewann das Verfahren, weil Barschel sich selbst verstrickte. Dabei ging es aber gar nicht um die eigentlichen Vorwürfe: Barschel veranlaßte nach der "Spiegel"-Veröffentlichung eine Überprüfung seines Telefons auf Wanzen und bestritt das anschließend. Der Grund dafür ist nach Barschels Tod nicht mehr zu ermitteln, aber leicht zu erraten: Barschel konnte das nicht zugeben, ohne einzuräumen, daß in der "Spiegel-Veröffentlichung etwas Wahres gestanden hatte (vermutlich über sein Verhältnis zu dem Manager Ballhaus).
Dazu fehlte es ihm an Mut, denn dieses Eingeständnis hätte damals voraussichtlich sein politisches Ende bedeutet. Insgesamt waren es Barschels Versuche, das Ende abzuwenden, die es schließlich herbeiführten: Barschel stiftete Mitarbeiterinnen zu falschen eidesstattlichen Versicherungen an. Seinen stellvertretenden Pressesprecher Ahrendsen veranlaßte er, ein Telefonat, das in Wahrheit er mit Pfeiffer geführt hatte, auf sich zu nehmen (das kam freilich erst nach Barschels Tod ans Licht). Und schließlich sagte ein Zeuge im Untersuchungsausschuß, Barschel habe schon früh Kenntnis von der Steueranzeige erlangt - woraus zwar für seine Mittäterschaft nichts folgte, was Barschel aber ebenfalls verneint hatte.
Ehren-Appell und Lügen
Das war auf seiner "Ehrenwort"-Pressekonferenz gewesen. Und es war dieser Kontrast zwischen dem Ehren-Appell und den Lügen, der Barschel öffentlich das moralische Genick brach - nicht bei denen, die aus politischer Gegnerschaft ohnehin schon bereit waren, ihm alles Böse (und Dumme) zuzutrauen, sondern ganz besonders bei den anderen, die ihn bis dahin noch unterstützt hatten. Jetzt betrachteten ihn praktisch alle als überführt. Hätte nicht ein zweiter Ausschuß den Fall wieder aufgerollt, wäre Barschel wohl nie rehabilitiert worden - was die Machenschaften betrifft. Alles spätere war in verfehlter Selbstverteidigung geschehen.
Doch schon der erste Ausschuß hatte, da es Beweise gegen Barschel nun einmal nicht gab, keine gehabt. Woher die feste Überzeugung seiner Schuld? In der Empörung liegt eine Versuchung. Wer empört sich nicht gern über andere? Das gehört schon zu Klatsch und Tratsch, vor allem aber zu widerstreitenden Interessen: Jeder will seiner Meinung nach das Richtige; wer dem widerstrebt, will das Falsche. Der Schritt von Richtig und Falsch zu Gut und Böse ist klein. Das ist das normale (polarisierende) Element des politischen Prozesses, die "moralische" Dimension des Diskurses.
Erbarmungslose Logik
Und normalerweise folgt daraus nichts Schlimmes, denn Menschen sind in schützende Personenverbände eingebunden. Darüber hinaus gibt es allgemeine Regeln, die vor Fehlurteilen schützen sollen. Sie sind festgeschrieben in den juristischen Verfahren (insbesondere der Strafprozeßordnung, auch etwa im Parteiordnungsverfahren), aber sie gelten auch, zumindest als Forderung der Fairneß, im menschlichen Miteinander. Sie außer Kraft zu setzen, liegt in der erbarmungslosen Logik der Hexenjagd. Gerechtfertigt wird das durch die Schwere der Schuld des Übeltäters. Weil sie so schwer ist, muß sie nicht mehr erwiesen werden. Ein legitimatorischer Kreis.
Für Barschel nahte das Ende, als seine eigene Partei sich von ihm abwandte. Es gab die Distanzierung führender CDU-Politiker, der Rücktritt vom Amte genügte nicht mehr, es folgte die Forderung nach Niederlegung des Landtagsmandats, schließlich nach dem Parteiausschluß. Begleitet wurde all das im Hintergrund bereits von Ermittlungsverfahren in Strafsachen. Der Betroffene erlebte den schlagartigen Verlust seiner bürgerlichen Existenz, darüber hinaus eine Minderung seines vormals beträchtlichen Ansehens, die in nahezu völlige Entehrung mündete. Hinzu tritt die Erfahrung, daß sich in solcher Lage auch vermeintliche Freunde abwenden. Als persona non grata werden plötzlich die einfachsten Dinge schwierig. Und überall lauern Fotografen und Journalisten.
Menschliche Meute
Charakteristisch sind die Fehler, die der "Übeltäter", in dem durchaus berechtigten Gefühl für die Bedrohlichkeit der Lage, zu Beginn macht. Er sieht klarer als seine Verfolger, wogegen er sich verteidigt: gegen den Verlust seiner sozialen Existenz. Deshalb begeht er Verzweiflungs-Taten, die sich, anders als die (zunehmend überzogenen) Kernvorwürfe, eher früh als spät nachweisen lassen. Fortan konzentriert sich die menschliche Meute mit gewaltiger Leidenschaft auf das Entlarven von "Lügen" - wo doch in dieser Lage auch die Wahrheit von vornherein nur dazu dienen soll, den Betroffenen zu erledigen. Es wird aber verlangt, daß er dabei mithilft. Pardon wird nicht gegeben.
In dieser Lage vollzieht sich eine groteske Umkehrung von Werten, alle Schränke sind inzwischen tassenfrei. So wand sich Justizministerin Herta Däubler-Gmelin in einer Pressekonferenz wie vor einem Tribunal, weil sie - aus berechtigter Angst, ihr Amt einzubüßen - nicht zugeben wollte, etwas gesagt zu haben, was der Meinung eines beträchtlichen Teils ihrer Peiniger entsprach. Und Bill Clinton mußte sich vorhalten lassen, wegen seines Techtelmechtels mit einer Praktikantin oder der Verschleierung desselben "das Amt des Präsidenten entehrt" zu haben. Dergleichen hat Harry Truman, der die Atomangriffe auf Hiroshima und Nagasaki befahl, niemand nachgesagt.
Vernichtung der Sozialität
Nicht immer, gottlob nur äußerst selten, enden solche Hetzjagden mit dem Tode des Betroffenen. Doch wenn sich seine eigene Gruppe - bei Barschel und Möllemann: die Partei - gegen ihn wendet, wird es besonders gefährlich. Hier liegt die wichtigste Gemeinsamkeit der beiden Fälle: Schlimmster Gegner war von einem klar bestimmbaren Zeitpunkt an nicht mehr die Öffentlichkeit, auch nicht das andere politische Lager, sondern die eigene Partei. Und die zielte dezidiert und unmißverständlich auf Vernichtung. Am deutlichsten erkennt man das daran, daß Verfahrensweisen zum Schutz des Betroffenen (also gegen die eigenen Irrtümer) außer Kraft gesetzt werden - bei Möllemann zum Beispiel das Betreiben des Fraktionsausschlusses noch vor dem Parteiausschluß und die ständige Veröffentlichung auch unbewiesener Vorwürfe. Es soll nichts geklärt, das Wild soll zur Strecke gebracht werden.
Und wehren darf es sich nicht. Einen solchen Angriff übersteht nicht jeder. Die Vernichtung der Sozialität, das Ausstoßen aus der Gemeinschaft, ist einer der schwersten, vielleicht der schwerste seelische Angriff auf das Sozialwesen Mensch. Der Suizid-Fachmann Armin Schmidtke sagt dazu: "Der Verlust von Ansehen und Anerkennung, des Freundeskreises und sozialen Umfeldes, der Lebensaufgabe und des Gefühls, noch irgend etwas an der eigenen Lage ändern zu können, ist ein durchgängiges Motiv, sozusagen der gemeinsame Nenner" der Selbstaufgabe.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2003, Nr. 133 / Seite 12
|