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Ein Riesenproblem
Die Deutschen wollten den "Gefährder" Murat Kurnaz nicht haben - auch über das Ende von Rot-Grün hinaus
Von Markus Wehner
Berlin. Im späten September 2002 herrschten in Guantánamo ideale Arbeitsbedingungen. In klimatisierten Vernehmungscontainern konnten die Besucher aus Deutschland den Gefangenen Murat Kurnaz zwei Tage befragen. Der in Bremen geborene und aufgewachsene Türke war froh, dass die Deutschen da waren. Sie kamen vom Verfassungsschutz und vom Bundesnachrichtendienst (BND). Am Donnerstag werden sie vom Untersuchungsausschuss des Bundestages vernommen werden. Der vierte Mann wird nicht dabei sein - es war ein Verbindungsbeamter des Berliner CIA-Büros.
Die Geheimdienstleute kamen zu der Ansicht, Kurnaz sei nicht gefährlich. Nichts deute auf einen Aufenthalt in einem Ausbildungslager islamistischer Kämpfer in Afghanistan hin, nichts auf Kontakte zu den Taliban oder Al Qaida. Die CIA teilte noch auf der Rückreise mit, dass Kurnaz zur ersten Gruppe von Gefangenen gehören sollte, die aus Guantánamo freigelassen würden. Das könne schon im November der Fall sein, heißt es im Reisebericht vom 8. Oktober 2002.
Die Deutschen besprachen mit dem CIA-Kollegen auch, dass Kurnaz als gemeinsamer V-Mann für Amerikaner und Deutsche nach seiner Rückkehr im islamistischen Milieu arbeiten könne. Allerdings sahen die Kuba-Reisenden da auch Probleme. Kurnaz habe "nach übereinstimmender Einschätzung keinen Zugang zum Mudschahedin-Milieu, was ja auch die Begründung für eine Freilassung wäre". Als Spitzel würde Kurnaz erst nach einiger Einarbeitungszeit taugen.
Die Sonne von Kuba hat den Besuchern aus Deutschland nicht gutgetan - diese Interpretation vertreten zumindest die Sicherheitsbehörden heute. Die Oberamtsräte und Sachbearbeiter vom BND hätten mit ebenso zweitrangigen CIA-Leuten "Planspiele" ausgeheckt, sich in Bierlaune den albernen V-Mann-Plan ausgedacht, heißt es. "Ein Angebot der Amerikaner gab es nicht", heißt die seltsame Formel, mit der nun die Verteidigung derer betrieben wird, die durch den Fall Kurnaz beschädigt werden könnten: Es sind Frank-Walter Steinmeier (SPD), heute Außenminister und damals Kanzleramtschef; Innenstaatssekretär August Hanning, damals BND-Chef, und Ernst Uhrlau, seinerzeit Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, heute BND-Präsident. Kein Angebot der Amerikaner? Das Gegenteil scheint richtig. Das "heiße Projekt" der Kuba-Besucher wurde so ernst genommen, dass schon am 8. Oktober 2002 die Präsidentenrunde im Kanzleramt, zu der die Leiter der Sicherheitsbehörden sich treffen, die V-Mann-Pläne begrub. Einen Spitzel Kurnaz wollte man nicht, schon gar nicht gemeinsam mit den Amerikanern. Drei Wochen später, am 29. Oktober, trafen Steinmeier, Hanning und Uhrlau in der Präsidentenrunde im Kanzleramt eine für Kurnaz noch folgenschwerere Entscheidung: Wenn er aus Guantánamo entlassen werde, solle er nicht nach Deutschland einreisen. BND-Chef Hanning verwarf die Einschätzung seiner Guantánamo-Reisenden. Kurnaz habe zu den Taliban gewollt, soll er sinngemäß gesagt haben; käme er zurück, hätte man in Deutschland ein Riesenproblem.
Der Terrorangriff vom 11. September 2001 war damals erst ein Jahr her, er war unter anderem in Hamburg vorbereitet worden. Zudem zeichneten die Berichte des Bremer Landeskriminalamtes und der dortigen Verfassungsschützer ein dubioses Bild des Türken, auf das sich Hanning stützte. Nach diesen Berichten soll Kurnaz den 11. September 2001 als Allahs Wille bezeichnet haben. Er hatte Verbindungen zu einem Prediger, der als radikaler Islamist galt und Kurnaz indoktriniert haben soll, am Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen in Afghanistan teilzunehmen. Damals schien das genug, um gegen eine Rückkehr des "Gefährders" Kurnaz nach Deutschland zu sein: "in dubio pro securitate" - im Zweifel für die Sicherheit.
Die Amerikaner waren sauer. Der Leiter der CIA-Niederlassung in München rief am 4. November einen Abteilungsleiter des BND in Pullach an, um sich zu beschweren. "Die Entscheidung stoße bei der US-Seite auf Unverständnis. Die Freilassung von Kurnaz sei gerade wegen seiner nicht feststellbaren Schuld sowie als Zeichen der guten Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden geplant", hieß es in dem fünf Tage später angefertigten Vermerk über das Telefongespräch. Die Bundesregierung wolle hier offenbar Härte zeigen im Kampf gegen internationale Terroristen. "Im Fall Kurnaz hätte aber gerade eine andere Entscheidung im Interesse der USA gelegen", teilte der CIA-Mann mit.
Ihre Pläne, Kurnaz freizulassen, gaben die Amerikaner zunächst nicht auf. Am 7. November teilte das Berliner CIA-Verbindungsbüro dem Bundesamt für Verfassungsschutz mit, dass man in naher Zukunft mit der Repatriierung von Gefangenen aus Guantánamo beginnen werde. Die Verfassungsschützer reagierten prompt. Sollte Kurnaz freigelassen werden, so antwortete man am 8. November, "besteht aus deutscher Sicht der ausdrückliche Wunsch, dass dieser nicht nach Deutschland zurückkehrt. Wir bitten Sie daher in einem solchen Fall davon abzusehen, ihn nach Deutschland zu überstellen. Sollte sich sein türkischer Reisepass in Ihrem Besitz befinden, wären wir dankbar, wenn dieser einer konsularischen Vertretung im Ausland oder einer anderen geeigneten Behörde im Inland vorübergehend überlassen werden könnte, um den darin befindlichen Aufenthaltstitel des Kurnaz für Deutschland ungültig zu stempeln."
Findige Mitarbeiter des Innenministeriums unter Otto Schily (SPD) erkannten schon am 30. Oktober 2002, dass der Aufenthaltstitel von Kurnaz nach dem Ausländergesetz erloschen war, da dieser schon mehr als sechs Monate nicht mehr in Deutschland gewesen sei. Auf "die Tatsache der Freiwilligkeit der Abwesenheit" komme es dabei nicht an, umschrieb man den Umstand, dass Kurnaz in Guantánamo inhaftiert war. Um seine Einreise sicher zu verhindern, müsse die Aufenthaltsgenehmigung aber auch "physikalisch ungültig gemacht werden (Vernichtung des Rechtsscheins)". Die Beamten dachten weit voraus. Da man die Reaktionen der Medien als "erheblich" einschätzte, schlug man vor, gegebenenfalls "mit einem Verschulden des Anwaltes" von Kurnaz zu argumentieren. Dieser habe übersehen, eine entsprechende Verlängerung des Aufenthaltstitels zu beantragen. Und sollte das Land Bremen Kurnaz doch einreisen lassen wollen, schlug das Innenministerium vor, mit einer "Einzelweisung" Bremen in die Gefolgschaft zu zwingen - ein nie dagewesener Vorgang. All das sollte, so ist es vermerkt, durch Staatssekretär Claus Schapper mündlich Kanzleramtschef Steinmeier mitgeteilt werden.
Das Zeitfenster für die Freilassung von Kurnaz schloss sich etwa nach vier Monaten - kurz vor Beginn des Irak-Kriegs. Nach einer nochmaligen Befragung kamen die Amerikaner am 24. Februar 2003 zu dem Schluss, "dass es nicht den Anschein hat, dass Kurnaz vollkommen ehrlich und mitteilsam bezüglich seiner Abenteuer in Pakistan war". Er habe auf Fragen manchmal zehn bis 15 Sekunden nichts geantwortet oder nur kurze Antworten gegeben. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird seiner Verlegung aus Guantánamo nicht zugestimmt", heißt es abschließend.
Doch in Amerika begannen die Zweifel an Guantánamo zu wachsen. Ein amerikanisches Gericht bewertete am 31. Januar 2005 Kurnaz' Inhaftierung als unrechtmäßig. Die deutschen Innenbehörden sorgten sich indes allein darum, dass Kurnaz doch noch nach Deutschland zurückkommen könnte. Sie "hoffen jetzt, von US-Seite weitere Informationen gegen K(urnaz) zu bekommen, die den Verdacht der Unterstützung des internationalen Terrorismus erhärten", berichtete ein Mitarbeiter des Außenamtes am 26. Oktober 2005. Und als sogar ein deutsches Verwaltungsgericht entschied, dass der Aufenthaltstitel von Kurnaz nicht erloschen war, verfolgten Innenministerium und Verfassungsschutz die alte Linie. Das Innenministerium lege "intern und vertraulich" Wert auf die Feststellung, dass die Gerichtsentscheidung nicht bedeute, dass man Kurnaz "hier deshalb nun unbedingt gerne haben würde", heißt es im Schriftverkehr des Auswärtigen Amtes. Noch Mitte Dezember 2005 - Angela Merkel war schon drei Wochen Kanzlerin - wandte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz an die Amerikaner mit der Bitte, "verwertbare Erkenntnisse" für die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung von Kurnaz zu übergeben.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.01.2007, Nr. 4 / Seite 4 http://www.faz.net/p/...E576EDE7E467A09500~ATpl~Ecommon~Scontent.html . MfG kiiwii
"Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle Unrecht haben" (B.R.)
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