Im Spezialgefangenenlager des US-Militärstützpunkts Guantánamo auf Kuba wurde bereits seit mindestens 2002 gefoltert. Das Pentagon in Washington war darüber spätestens ab Jahresbeginn 2003 informiert. Es unternahm nichts gegen die systematisch durchgeführten Mißhandlungen, denen sich Gefangene der US-Army aus dem Afghanistan-Feldzug wehrlos ausgeliefert sahen. Dem anhaltenden Abu-Ghraib-Skandal folgte am Dienstag, als das der Agentur AP zugespielte Papier bekannt wurde, der Guantánamo-Skandal.
Aus den der Agentur vorliegenden Unterlagen ergibt sich folgender Sachverhalt: FBI-»Terrorexperte« Thomas Harrington erklärte in einem Brief vom Juli dieses Jahres an den obersten Ermittlungsbeamten des Heeres, Generalmajor Donald Ryder, daß das FBI die Anwälte des US-Verteidigungsministeriums bereits im Januar 2003 über die Mißhandlungen auf Guantánamo in Kenntnis gesetzt habe. Zu den in mehreren Memoranden beschriebenen Brutalitäten gehörte unter anderem ein Vorgang, wonach ein FBI-Mitarbeiter sah, wie eine Verhörspezialistin der US-Army die Hoden des Gefangenen quetschte und anschließend dessen Daumen schmerzhaft nach hinten bog. In einem weiteren Fall sei ein Gefangener von einem Hund bedroht worden. Einem Inhaftierten sei der Mund mit Isolierband zugeklebt worden. Harrington bezeichnete die Behandlungsmethoden in seinem Brief als »extrem aggressive Befragungstechniken«.
Die anderen nun bekannt gewordenen Dokumente umfassen interne Schriften der US-Regierung, die im Zusammenhang mit einer Folterklage der Amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung (American Civil Liberties Union) verfaßt worden sind. Aus ihnen wird ersichtlich, wie gespannt die Beziehungen zwischen den Agenten des FBI und den Top-Offizieren des US-Army auf Guantánamo waren. So geht aus einem Memorandum vom 10. Mai hervor, daß es zwischen FBI-Mitarbeitern und dem Kommandeur von Guantánamo, Generalmajor Geoffrey D. Miller sowie dem Chef der nachrichtendienstlichen Abteilung, Generalmajor Michael B. Dunleavey, zu hitzigen Debatten über die vom US-Militär angewandten »aggressiven Verhörtechniken« gekommen ist.
Zur Erinnerung: Der Drei-Sterne-General Geoffrey D. Miller war nach dem Abu-Ghraib-Skandal, in dessen Folge die für alle Militärgefängnisse im Irak verantwortliche Generalin Karpinski abgelöst wurde, zu deren Nachfolger im Irak ernannt worden. Es war auch General Geoffrey D. Miller, der zuvor mit einem ganzen Team von sogenannten »Verhörexperten« aus Guantánamo nach Abu Ghraib gekommen war, um dort der Generalin Karpinski die Vorzüge der »neuen« Verhörtechniken ans Herz zu legen.
»Beide Seiten waren sich einig, daß das FBI seine Methode hatte, Dinge zu tun, und das Militär hat seine Marschorder vom Verteidigungsminister erhalten. Obwohl beide Methoden sich drastisch unterscheiden, waren beide Generäle überzeugt, daß sie einen Job zu tun hatten«, heißt es in einem der Berichte – ein erneuter Beleg dafür, daß die Folter von höchster Stelle nicht nur geduldet, sondern befürwortet wurde. So verwundert es auch nicht mehr, wenn Präsident George W. Bush ausgerechnet seinen Rechtsberater im Weißen Haus, Alberto Gonzales, zum neuen US-Justizminister berufen hat. Es war Gonzales, der die Genfer Konvention als »verschroben und veraltet« bezeichnet hatte. (jungewelt.de)
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