Montagsporträt: Anne Lauvergeon - Die weibliche Atommacht
Von Heimo Fischer Vor vielen Jahren hat sie als kleine Assistentin Präsident Mitterrand widersprochen, vor wenigen Jahren ist sie direkt von der Vorstandssitzung in den Kreißsaal gefahren. Nächstes Jahr bringt sie den größten Atomkonzern der Welt an die Börse. Anne Lauvergeon trägt komische Spitznamen. Manchmal wird sie Atomic Anne genannt, dann wieder als Queen of Nukes bezeichnet. Mögen die Titel wenig schmeichelhaft für eine Spitzenmanagerin sein, sie belegen zumindest eines: Die 45-jährige Französin fällt auf in einer Branche, wo mehr ergraute Herren als elegante Damen das Bild bestimmen. Anne Lauvergeon führt Areva, den größten Nuklearkonzern der Welt. Das Unternehmen baut Kernkraftwerke, fördert Uran und bereitet atomare Brennstoffe auf. Eine riskante Arbeit, von Umweltschützern bekämpft, von Frankreichs Politikern durchweg befürwortet. Areva weckt Zukunftsangst, befriedigt Interessenpolitik und strebt nach Profit. Bei dem Job sind klare Ansichten lebenswichtig. "Es gibt keine Lösung für den wachsenden globalen Energiebedarf ohne Kernenergie", sagt Lauvergeon. Menschen von der Straße für Kernenergie gewinnen Obwohl Nachbarn wie Deutschland und Belgien den Ausstieg aus der Atomkraft begonnen haben, glaubt die Konzernchefin fest an die Zukunft dieser Stromerzeugung. Und weil sie meint, dass viele Investoren ihre Ansicht teilen, soll Areva im nächsten Jahr an die Börse gehen. Das könnte mehr als 3 Mrd. Euro bringen. Hauptaktionär soll der französische Staat bleiben. Anne Lauvergeon macht sich weniger Sorgen über den Rückhalt bei Investmentbankern, Analysten oder Fondsmanagern. Sie will die Leute auf der Straße erreichen. "Um die Kernenergie auszubauen, brauchen wir die Akzeptanz der Bevölkerung", sagt sie. In diesem Sinne macht sie Öffentlichkeitsarbeit. Mit Wirtschaftszeitungen redet sie selten. Dafür durfte die französische Illustrierte "Paris Match" mit ihr sprechen. Und vergangene Woche nahm sie an einer eineinhalbstündigen Fernsehdebatte mit Umweltschützern teil. Kernenergie oder Klimawandel In Gesprächsrunden trägt sie gerne knappe Kostüme, weiße Seidentops und Röcke, die deutlich über den Knien enden. Anne Lauvergeon ist schön, und sie weiß es, und wenn sie Streitgespräche führen muss, und sie muss sie oft führen, so sitzt sie kerzengerade, hat die Beine übereinander geschlagen und spricht mit warmer, bestimmter Stimme und dirigiert beim Sprechen, als wolle sie das Gegenüber zurück in den Takt bringen. Dabei öffnet sie weit die Augen und zeigt ihre weißen Zähne oder schiebt die Lippen vor und hebt das Kinn. Ihr Gesicht wirkt begeistert und bedrohlich zugleich. Eines ihrer Hauptargumente für den Bau neuer Atomreaktoren: Wer den Klimawandel verhindern wolle, muss für Kernenergie sein, denn nur so ließen sich schädliche CO2-Emissionen mindern. Alternative Energieformen seien unwirtschaftlich. Und antwortet ein Umweltschützer, dies sei genauso, als würde man einen Pestkranken mit Cholera behandeln, dann lächelt Anne Lauvergeon nur und wirkt dabei recht arrogant. Atomdiskussionen hat sie so oft geführt - und überzeugende Heiterkeit strengt an. Erst Eliteschule, dann Kaderschmiede Als Chefin von knapp 70.000 Mitarbeitern in einem Großkonzern, der rund 11 Mrd. Euro Umsatz macht, hat sie einen harten Job. Aber sie wollte es nicht anders. Nach dem Gymnasium in ihrer Heimatstadt Dijon begann die Tochter eines Geschichtslehrers eine Tortur, der sich viele Franzosen unterziehen, wenn sie Karriere machen wollen. Sie studierte Physik an der französischen Elite-Hochschule Ecole Normale Supérieure und wurde anschließend in die Kaderschmiede Ecole des Mines aufgenommen. Wer das geschafft hat, dem steht beruflich in Frankreich der Himmel offen. Die Absolventen solcher Institute gelten als Führungselite des Landes. Sie schließen sich einem lebenslangen Netzwerk an. Auf der Mitgliederliste des Corps des Mines stehen Ex-Wirtschaftsminister Francis Mer, Denis Ranque, Chef des Rüstungskonzerns Thales, oder Grégoire Olivier vom Elektronikkonzern Sagem. Sherpa des Staatschefs Bei der Karriere helfen in der Regel politische Kontakte. In Frankreich ist es üblich, dass Führungskräfte aus Behörden und Ministerien in Unternehmen wechseln und umgekehrt. Die politische Couleur ist zweitrangig. Anne Lauvergeon steht den französischen Sozialisten nahe. Als sie 30 Jahre alt war, holte sie der damalige Präsident François Mitterrand in den Elysée-Palast. Fünf Jahre war sie so genannter Sherpa des Staatschefs. Sie bereitete internationale Gipfeltreffen vor. In ihrem Adressbuch stehen bedeutende Persönlichkeiten dieser Welt. Sie besuchte George Bush senior auf dessen Familienranch in Texas, sie kennt US-Vizepräsident Dick Cheney und Japans Ex-Premier Hashimoto. Außerdem hat sie hervorragende Kontakte nach China, in das Land, das in den kommenden Jahren einen stark wachsenden Energiebedarf zu decken hat. Das US-Magazin "Forbes" ernannte Anne Lauvergeon im Frühjahr zur mächtigsten Frau außerhalb der USA. Der Chefposten bei Areva ist eine Schlüsselfunktion in Frankreichs Stromversorgung. Kernenergie spielt eine größere Rolle als in Deutschland. Die 58 Atommeiler produzieren rund drei Viertel des französischen Stroms. Die Wohnungen sind oft schlecht isoliert. Starke Elektroheizkörper halten sie trotzdem warm. Nuklearenergie ist billiger. Franzosen zahlen im Schnitt 27 Prozent weniger für Strom als ihre deutschen Nachbarn. Seit der Ölkrise Anfang der 70er Jahre setzt Frankreich voll auf die atomare Energie. Nein sagen können Als der konservative Präsident Jacques Chirac 1995 in den Elysée-Palast einzog, musste Anne Lauvergeon ihr politisches Büro räumen. Einen neuen Job fand sie bei der Investmentbank Lazard. Für das Institut ging sie eine Zeit lang nach New York. Zwei Jahre später wechselte sie in die Industrie, zum Telekomausrüster Alcatel. "Als sie ankam, wusste sie nicht, wie ein Unternehmen funktioniert. Aber sie hat sehr schnell gelernt. Es hat überhaupt keine Anpassungsprobleme gegeben", sagte Pierre Halbron, damals Finanzchef des Konzerns. Im Pariser Firmensitz habe er viel mit ihr zusammengearbeitet. "Sie ist aber sehr oft auf Dienstreisen gewesen." Nicht immer ist der Alltag mit ihr angenehm. Das wusste auch Mitterrand, als er sie einstellte. "Ich habe Sie ausgesucht, weil Sie wissen, wie man Nein sagt", soll er ihr gegenüber seine Entscheidung begründet haben. Er hatte Recht. Vor einiger Zeit brüskierte Anne Lauvergeon als Chefin des Staatskonzerns Areva öffentlich ihre Regierung. Sie verweigerte eine Beteiligung am angeschlagenen Anlagenbauer Alstom. Die Regierung musste ihren Widerstand akzeptieren, denn wirtschaftlich machte der politisch motivierte Plan überhaupt keinen Sinn. Areva übernahm nur die Stromnetzsparte von Alstom - das einzige Geschäft des geschwächten Konzerns, das eine ordentliche Rendite abwarf. Deutliche Worte Anne Lauvergeon ist eine Geschäftsfrau, die deutliche Worte liebt. Diese Erfahrung machte auch Yves Marignac, Direktor des Energieinformationszentrums Wise in Paris. Der Atomkraftkritiker beschwerte sich bei ihr, dass Areva seinem Institut Informationen vorenthalte. "Ich liefere Ihnen doch nicht selber den Knüppel, um mich schlagen zu lassen", habe Lauvergeon ihm darauf erwidert. Diese direkte selbstbewusste Art bringt ihr häufig Kritik ein. Vor zwei Jahren wurde sie fast gefeuert, weil sie 20 Prozent der Holding von Sagem übernommen hatte, ohne ihren Aufsichtsrat zu informieren. Und der französische Rechnungshof monierte zudem, dass sie mit 417.000 Euro pro Jahr mehr verdiene als in Staatsunternehmen üblich. Außerdem habe sie eine Reihe teurer Berater in den Konzern geholt. In einem Interview antwortete sie damals lapidar, in ihrer Position müsse sie damit leben, dass man sie nicht mag. Analysten rechnen mit Nachfrageanstieg für Kernenergie Neben ihrem Beruf hat Anne Lauvergeon eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Ihre heute vierjährige Tochter Agathe kam überraschend schon im achten Monat zur Welt. Die Entbindung war einer echten Powerfrau würdig. Mit Mutterschutz belästigte Anne Lauvergeon ihren Arbeitgeber nicht lange. Die Konzernchefin fuhr von einer Vorstandssitzung direkt in die Klinik. Zwölf Tage später saß sie wieder am Schreibtisch bei Areva. Eine ihrer ersten Maßnahmen: Sie ließ eine Krippe für Mitarbeiterkinder einrichten. Seitdem geht sie nur noch höchstens drei Tage hintereinander auf Dienstreise. Die anstehende Börsennotierung der Areva-Aktien wird der nächste Kraftakt für sie werden. Als sie 1999 die Leitung des heutigen Teilunternehmens Cogema übernahm, stand ihre Marschroute bereits fest. Sie überzeugte die damalige Linksregierung, Cogema mit der Industriesparte der Atombehörde CEA zu vereinigen. Eine weitere Tochtergesellschaft ist Framatome, ein Gemeinschaftsunternehmen mit der deutschen Siemens AG. Viele Analysten rechnen damit, dass die Nachfrage nach Kernkraft steigen wird. So planen Indien und die USA den Bau neuer Atomkraftwerke. Um auf den Namen Areva zu kommen, hat die Konzernchefin keine Markenagentur beauftragt. Er ist eine eigene Erfindung. Sie hatte in der Presse einen Kommentar gelesen, in dem der Konzern mit einer Zisterzienserabtei verglichen wurde. Sie bat ihren Vater daraufhin, Namen von Abteien dieses Typs zu suchen. Der stieß auf den spanischen Ort Arévalo, was zu Areva verkürzt wurde. Das Wort klingt schön und hat je nach Sprache eine eigene Bedeutung. Auf Armenisch bedeutet der Name des Atomkonzerns ausgerechnet - Sonne
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