Profis geben sich Optimistisch Der Monatswechsel wurde von Börsianern mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Während der Freiverkehrsmarkt bei einem Minus von 8,5 Prozent das zweitschlechteste Aprilergebnis in seiner 31jährigen Geschichte vorlegte, war der Rückgang von fast 4,5 Prozent beim Dow Jones das drittschwächste Aprilresultat seit 1950. Normalerweise ist der launische Monat gerade für die 30 Dow Jones-Werte besonders erfolgreich, da es hier in den vergangenen 52 Jahren im Durchschnitt das beste Monatsergebnis erzielt wurde. Dies bestätigt einmal mehr, daß es auch an der Börse keine Regel ohne Ausnahmen gibt.
In den ersten drei Maitagen setzte sich der Abwärtstrend gerade im Freiverkehrsmarkt gnadenlos fort. Das Wochenminus von drei Prozent erhöhte den Verlust seit Jahresbeginn auf über 17 Prozent. Im Gegensatz dazu liegt der Dow Jones-Index nach einem Wochenplus von rund einem Prozent fast unverändert gegenüber dem Jahresauftakt. Ein allgemeiner Verkaufsdruck setzte am Freitag ein, als die Arbeitsmarktdaten ein uneinheitliches Bild offerierten. Während die Arbeitslosenrate erstmals seit fast acht Jahren wieder auf sechs Prozent stieg, wurden gleichzeitig über 40.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Dieser scheinbare Widerspruch beruht auf der unterschiedlichen Erhebung der jeweiligen Statistik. Die Interpretation von Zahlen ist sowohl in der Wirtschaft als auch an der Börse ausschlaggebend. Entscheidend ist, daß diese Daten den begonnenen Wirtschaftsaufschwung Amerikas nicht in Frage stellen, sondern man sich lediglich über die Stärke dieser Erholung noch streiten kann. Für den Notenbankrat, der sich am Dienstag zu seiner nächsten Ratssitzung trifft, bedeutet dies, daß augenblicklich kein Grund für eine Zinserhöhung besteht. Daran dürfte sich auch in den kommenden Monaten kaum etwas ändern.
Etliche Unternehmen machten Schlagzeilen wegen eines Personalwechsels in der oberen Führungsetage. Der Rücktritt des Gründers und Vorstandsprechers von WorldCom, Bernie Ebbers, vermochte den starken Kurseinbruch zu Wochenbeginn hier nicht zu bremsen. Der Telefongigant, der Umsätze von über 20 Milliarden Dollar aufweist, notierte am Wochenschluß deutlich unter zwei Dollar. Dies entspricht einem Kursrückgang von 97 Prozent seit dem Höchststand vor knapp drei Jahren. Die Marktkapitalisierung ist damit um über 150 Milliarden Dollar geschrumpft. Sun Microsystems beunruhigte seine immer noch große Fangemeinde, als das Ausscheiden des in Anlegerkreisen geschätzten, langjährigen Präsidenten Zanders zu Mitte des Jahres bekannt wurde. Auch hier fiel der bereits stark gebeutelte Aktienkurs nochmals gut 15 Prozent. Seit dem Höchststand vom September 2000 ist der Börsenkurs des führenden Datenserverherstellers um fast 90 Prozent eingebrochen. Die Marktkapitalisierung schrumpfte um beachtliche rund 180 Milliarden Dollar. Die zehn größten Wertverluste von Unternehmen an Wall Street seit der Jahrtausendwende kommen auf eine gigantische Summe von über 2.000 Milliarden Dollar.
Bei so viel roten Zahlen stellt sich zurecht die Frage, ob es an der Börse überhaupt noch Optimisten gibt. Die jüngste Umfrage des bekannten Finanzmagazins Barron’s gibt hierzu eine überraschend positive Antwort. Von den befragten 178 Fondsmanagern, die Vermögensmassen von einstelligen Millionenbeträgen bis hin zu dreistelligen Milliardenbeträgen verwalten, sehen fast 50 Prozent den Dow Jones-Index am Jahresende um die 11.000-Marke. Dies würde einen Anstieg von zehn Prozent vom derzeitigen Niveau bedeuten. Die Pessimisten, die lediglich 17 Prozent der Befragten ausmachen, rechnen dagegen mit einem Rückgang auf 9.500. Bemerkenswert ist auch, daß erstmals fast die Hälfte der Profis Investitionen außerhalb Amerikas – speziell in Europa und Asien – als äußerst vielversprechend bezeichnen. Einen so hohen Prozentsatz hat es auf diese Frage bisher noch nicht gegeben.
Der Optimismus der Profis findet auch in einer technischen Analyse, die das Verhältnis von steigenden zu fallenden Aktien bewertet, Unterstützung. Der Verkaufsdruck in der vergangenen Woche war besonders am Freiverkehrsmarkt der mit Abstand höchste, einschließlich des Crash vom Oktober 1987. Danach kam es ausnahmslos zu einer starken Erholung. Bleibt nur zu hoffen, daß sowohl die Profis als auch die Markttechnik Recht behalten.
Ihr Heiko Thieme und ath
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