Peter Baumanns Gesicht verzieht sich. Mit jedem Atemstoß in das Alphorn heben sich seine Brauen. Die Stirn legt sich in eine Faltenlandschaft, die einen Vergleich mit den Tälern und Bergkämmen des imposanten Alpenpanoramas nicht scheuen muß. Mächtig plustern sich die geröteten Wangen auf. Die kräftigen Hände umklammern das schmale hölzerne Rohr. Aus dem meterweit entfernten kesselförmigen Ende des Horns entweicht der erste Ton. Lang hält er an. Die Luft vibriert. Meisterhaft sanft klingt der Ton aus.
Über der Walliser Berggemeinde Nendaz hängt an diesem Wochenende der Klang des "3. Internationalen Festivals der Alphornbläser". Der Ski-Ort erstreckt sich am Südhang der Walliser Bergkette. Im Tal liegt Sion, die Hauptstadt des Kantons. Das Instrument, nur dreieinhalb Kilogramm schwer, haben die Bläser immer dabei, in drei Einzelteile zerlegt und in einer Leinentasche verstaut. Oder es ist zusammengesteckt und wie ein Gewehr über die Schulter gelegt. Manchmal stellen sich die Musiker spontan an einem Weg in der 5.000-Einwohner-Gemeinde auf, um loszublasen.
Alles Handarbeit
Dann kann man sich die Instrumente genauer anschauen. Die Fertigung eines Alphorns kostet bis zu 80 Arbeitsstunden, sagt Gerald Pot aus dem Wallis, einer der wenigen Hersteller. Ein hochwertiges Stück kostet bis zu 4.000 Schweizer Franken. Für die Herstellung in Handarbeit wird zumeist das im französischen Jura geschlagene Holz der Fichte verwendet.
Das Holz reagiert empfindlich auf Erschütterungen, ist also für Resonanzkörper geeignet. Mindestens sieben Jahre muß ein Holzblock zum Trocknen gelagert werden, bevor daraus die Einzelteile des Horns, der Schallbecher, die Verlängerungsrohre geschnitzt, gedrechselt und geklebt werden können. Die Länge des Instruments entscheidet über die Tonart - gebräuchlich sind F-Dur und Fis-Dur. Je länger das Rohr ist, um so tiefer klingt es.
Ein Festival der Folklore
Der Alphorn-Wettbewerb von Nendaz ist der größte in der Schweiz. Mehr als 100 Spieler des sperrigen Instruments sind überwiegend aus der Schweiz, aber auch aus Frankreich, Italien und sogar aus Belgien angereist. Einzeln oder in Gruppen treten sie in mindestens zwei Minuten dauernden Beiträgen gegeneinander an. Zunächst in Nendaz selbst, zum Finale schließlich in 2.200 Meter Höhe, am Rand des Bergsees Lac Noir. Der Wettbewerb ist zugleich ein Festival der Schweizer Folklore, also der Fahnenschwinger, Jodler, Peitschenklatscher und Glockenspieler.
Mit dabei ist eine Alphorn-Formation vom Schiffenensee nahe Fribourg. Die sechs Männer und zwei Frauen spielen seit zwei Jahren zusammen. Für den Wettbewerb hat ihr Dirigent Armin Zollet eigens ein Stück komponiert. Das beachtliche Klangvolumen breitet sich weit über den mit Schweizer Landesfahnen gesäumten Austragungsort aus, bis zu zehn Kilometer, wenn der Wind die Töne trägt. Dirigent Zollet zeigt sich zufrieden mit der Intonierung: In der Gruppe, so meint er, könnten die schwächeren Spieler während schwieriger Passagen versteckt werden. Vor allem tiefe Töne verlangten ganze Fertigkeiten: Sie seien schwieriger zu kontrollieren und erforderten viel Atemluft.
Akribische Bewertung
Damit die Wiese die Vibrationen des Horns nicht mindert, werden die Hörner auf Steinplatten gestellt. Die vier Jury-Mitglieder, allesamt Schweizer und Alphornbläser, sitzen in einem rot-weißen Zelt und lauschen den Musikstücken ohne Blick auf die Spieler, um nicht voreingenommen zu sein. Akribisch werden die Hornklänge bewertet. Insgesamt 14 Kriterien nennt das vom eidgenössischen Jodlerverband erstellte Beurteilungsblatt, darunter Tonkultur, musikalischer Ausdruck, Treffsicherheit, Beweglichkeit, Dynamik, Artikulation, Rhythmik und Tempo. Die Teilnehmer tragen nicht einzelne Sequenzen vor, sondern ganze Stücke, nicht nur harmonisch verlaufende Melodien, sondern auch moderne Kompositionen, die sehr nach Jazz klingen.
Für das Blasen müsse die Atmung gesondert trainiert werden, sagt Dirigent Zollet. Über die Bewegung des Zwerchfells werde der Luftdruck der Lunge und somit die Kraft des Atemstoßes in das meterlange Horn gesteuert. Über die Tonlage entscheide wiederum der Einsatz der Lippen. Je fester sie beim Blasen zusammengepreßt würden, um so höher erklinge das Horn. Großen Einfluß auf das Spiel habe zudem die Wahl des trichterförmigen Mundstücks, das auf die schmale Hornöffnung aufgesteckt wird. Von diesen Mundstücken haben die Spieler immer mehrere in Lederbeuteln dabei. Sie sind aus einem Stück Holz gearbeitet. Der Lippenaufsatz, der Lufteinlaß und die in das Klangrohr mündende Bohrung sind je nach Stärke der Lippen und Mundmuskeln, nach Kraft der Lunge und spielerischem Können geformt.
Der Vorteil der Abendstunden
Nicolas Devenes sieht die Teilnehmer, die in den Abendstunden spielen, im Vorteil. Die abgekühlte Luft lasse die Töne klarer klingen. Der Fünfundzwanzigjährige ist Vorjahressieger des Wettbewerbs. Sein Großvater zählte in den französischsprachigen Walliser Alpen zu den ersten Spielern des Blasinstruments, das bisher mehr Anhänger in der deutschsprachigen Schweiz hat. Wenig mehr als 3.000 Alphornbläser beherrschen in der Schweiz nach Schätzung des eidgenössischen Jodlerverbands das Instrument. Die Zahl nehme aber ab.
Allerdings findet das Horn, das erstmals 1555 in den Schriften des Zürcher Naturforschers Conrad Gessner als "litum alpinum" beschrieben und ursprünglich als Verständigungsmittel von Berg zu Berg verwendet worden sein soll, mittlerweile auch in nicht-alpinen Regionen Anhänger. Offenbar mit Erfolg: Den dritten Platz der Solo-Spieler in Nendaz belegt der Belgier Dassonville aus Brüssel. Neben seinem Horn trägt er als Preis einen Schweizer Käse nach Hause. Auch der aus dem schweizerischen Laupersdorf stammende Schweizer Peter Baumann, der die Luft zum Vibrieren bringt und den Ton sanft ausklingen läßt, ist erfolgreich. Er wird zum "besten Solo-Bläser der Schweiz" gewählt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.08.2004
|