Börse Nichts gilt mehr VON DOROTHEE HOLZ
Warten auf den Bullen
Kaufen, wenn die Kanonen donnern, also wenn die Krise noch voll im Gange ist und die Zeichen bei den meisten Investoren und Privatanlegern eher auf weniger, denn auf mehr Risiko stehen. Diese Börsenweisheit ist aber nur dann angebracht, wenn am Aktienmarkt möglichst alle Risiken eingepreist sind, die Tiefststände also schon erreicht wurden. Doch ob das schon der Fall ist oder ein echter Test noch bevorsteht, ist derzeit schwer vorherzusagen.
Auf den ersten Blick scheint die Gelegenheit günstig, sehen der Deutsche Aktienindex (Dax) und einige Einzelwerte verlockend billig aus. Das drückt zumindest das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) aus, das man dem Kursteil der Zeitungen entnehmen kann. Das KGV ist eine der maßgeblichen Kennzahlen an den Finanzmärkten zur Bewertung von Aktien. Wie der Name schon sagt, bezeichnet das Kurs-Gewinn-Verhältnis die Relation zwischen dem aktuellen Kurs und dem Jahresgewinn pro Aktie. Man kann das einfach ausrechnen, indem der aktuelle Aktienkurs durch den Gewinn je Aktie dividiert wird. Im Normalfall kann man sich an die Faustregel halten, je niedriger das KGV, desto günstiger die Aktie. ANZEIGE
Unzuverlässige Gewinnprognose
Doch im Moment sind die Zeiten nicht normal: "Alte fundamentale Zusammenhänge funktionieren derzeit nicht", meint Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Denn dem KGV liegt in der Regel der geschätzte Gewinn des laufenden und des nächsten Jahres zugrunde. Robert Halver sieht darin aber das größte Problem, weil die Unternehmensgewinne in diesen Zeiten des Abschwungs die große Unbekannte sind, vor allem bei Unternehmen, die besonders konjunkturabhängig sind: "Die Gewinnschätzungen sind ein Schuss in die Luft, weil niemand weiß, was wirklich kommt." Er glaubt, dass die Gewinnerwartungen der Analysten gerade bei zyklischen Aktien derzeit noch um 20 Prozent zu hoch angesetzt sind. "Man kommt mit den Gewinnrevisionen derzeit gar nicht nach", meint auch Oliver Roth vom Handelshaus Close Brothers Seydler.
Gerade im vergangenen Dezember gab es gewaltige Erschütterungen, da brachen die Aufträge bei Maschinenbauern um 40 Prozent ein, was einen Gewinneinbruch von 30 Prozent nach sich zog. Doch das alles spiegelt sich in den Schätzungen und auch in den Kursen noch nicht wider - deshalb ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis auch eine sehr unsichere Größe. So sehen heute zum Beispiel Aktien der Deutschen Bank mit einem KGV von fünf historisch günstig aus. Doch wenn die Gewinnprognosen zu hoch angesetzt waren, wenn sie zum Beispiel um fünfzig Prozent fallen würden, dann würde sich das KGV gleich auf zehn verdoppeln. Das Risiko, dass deutsche Banken in diesem Jahr gar keine Gewinne machen, ist auch nicht zu unterschätzen: "Wenn bei einer großen deutschen Bank nur fünf Prozent des Kreditportfolios auf der Strecke bleiben, dann gibt es keine Gewinne mehr", so Aktienexperte Robert Halver. In den Prognosen ist aber die Rezession und die damit verbundenen Kreditausfälle noch gar nicht enthalten. Genauso sieht es für den Dax aus, der derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 8,9 ebenfalls ein Kaufargument liefern könnte. Wenn aber die Gewinne stärker einbrechen, als erwartet, dann wäre der Dax demnach zu teuer und von einem Einstieg am Aktienmarkt abzuraten.
Ganz verdammen wollen die Experten diesen Bewertungsmaßstab aber nicht, zumal er in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren durchaus als akzeptable Richtgröße durchgehen konnte. Deshalb macht es bei nicht-zyklischen Werten durchaus Sinn, einen Blick auf das Verhältnis von Kurs und Gewinn zu werfen: Dazu zählen die Versorger, dazu zählt aber auch die Telekom oder der Gesundheitssektor. Diese Aktien scheinen derzeit günstig oder zumindest "fair bewertet" zu sein, weil man davon ausgeht, dass diese Unternehmen auch in der Krise noch Gewinne machen, denn ohne Strom oder Telefon lässt sich schlecht leben. Der Gesundheitskonzern Fresenius Medical Care hat für dieses Jahr sogar ein Gewinnplus von neun Prozent angekündigt.
Sichere Häfen gibt es also, doch das gilt nicht für den Gesamtmarkt. "Die Kurse sind angesichts der Unsicherheiten und der vielen Risiken noch viel zu stabil, auf dieser Basis sind Aktien derzeit noch zu teuer", sagt Oliver Roth von Close Brothers Seydler. Er glaubt fest an die nächste Verkaufswelle, sieht den Dax erst bei 3500 bis 3800 fair bewertet.
Quelle: Frankfurter Rundschau 23.02.2009 ----------- Wer viel Geld hat, der kann spekulieren; wer wenig hat darf nicht spekulieren und wer überhaupt kein Geld hat muss spekulieren.
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