Es ist ein beispielloser Vorgang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Seit Monaten sucht der taumelnde Immobilienkonzern Adler einen Wirtschaftsprüfer, der den Jahresabschluss für das Jahr 2022 prüft, doch er findet keinen. Selbst die gerichtliche Bestellung von KPMG brachte keine Abhilfe, denn das Big-Four-Haus weigert sich, das Mandat zu übernehmen.
Eine rechtliche Verpflichtung, dem Gerichtsbeschluss Folge zu leisten, gibt es nicht. Die Adler Group muss weiter nach einem Abschlussprüfer suchen und steckt im Dilemma: Der Konzern braucht zwingend einen geprüften Jahresabschluss. Das schreibt das Handelsgesetzbuch vor. Ohne geprüften Jahresabschluss lassen sich Anleihen nicht verlängern und erst recht keine Neuen begeben. Für ein Unternehmen, das sich in der Restrukturierung befindet, ist das fatal.
Braucht es also entsprechende gesetzliche Regelungen, die Wirtschaftsprüfer dazu zwingen können, ein Mandat gegen ihren Willen zu übernehmen? Oder besteht schon jetzt ein Kontrahierungszwang wie bei Notaren oder Rechtsanwälten, die zur Pflichtverteidigung herangezogen werden können? Ist verweigerte Prüfung ein systemisches Problem?
„Ich sehe hier kein systemisches Problem“, sagt Marc Liebscher gegenüber FINANCE. Der Rechtsanwalt ist spezialisiert auf Bank- und Kapitalmarktrecht sowie auf Insolvenz- und Gesellschaftsrecht. Er sieht auch keine rechtlichen Grundlagen für einen gesetzlichen Kontrahierungszwang, den manche Juristen hier sehen. „Der Vergleich mit den Pflichtverteidigern hinkt gewaltig“, ist er überzeugt. Rechtsanwalt Marc LiebscherMarc Liebscher ist Rechtsanwalt bei der (Berliner) Kanzlei Dr. Späth & Partner und Mitglied des Vorstands der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Foto: Privat
Ein Pflichtverteidiger wird bestellt, wenn sich der Beklagte in einem Strafprozess keine Verteidigung leisten kann oder will. Denn: „Ein Strafverfahren ist ein massiver staatlicher Grundrechtseingriff, eine verweigerte Prüfung des Jahresabschluss ist das nicht“, sagt Liebscher. Die Voraussetzung eines geprüften Jahresabschlusses werde vor allem von der Privatwirtschaft auferlegt. Deshalb könne es auch keinen staatlichen Zwang geben, ein Mandat zur Abschlussprüfung zu übernehmen, so der Anwalt.
Für Liebscher ist Adler „ein krasser Sonderfall“. Er ist überzeugt: „Adler-Group-Verwaltungsratschef Kirsten hat mit seinem breitbeinigen Auftreten im Investorencall zur Vorstellung des Sonderuntersuchungsberichts die Prüfer von KPMG vor den Kopf gestoßen.“ KPMGs anschließende Mandatsniederlegung könne Liebscher daher gut nachvollziehen.
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