Top-Flop-Strategie: Rally der Verlierer (EuramS) Die Entwicklung des DAX in diesem Jahr ist enttäuschend. Er ist da, wo er Anfang 2004 auch schon stand. Doch nun kommt Schwung in die Sache. Wer jetzt besser als der Index abschneiden will, sollte einfach auf die bisherigen Verlierer setzen.
von Hans Sedlmaier
Manchmal sind die einfachsten Ideen die erfolgreichsten: Beim Fußball bringt ein genialer Paß vors Tor mehr als endloses Dribbeln. Und in der Musik reichen drei Akkorde für einen Welthit - es müssen nur die richtigen sein. Auch für den DAX gibt es eine genial einfache Strategie: im Herbst die Verlierer kaufen. Denn in den letzten drei Monaten eines Jahres entwickeln sich die bis dahin zehn schlechtesten Aktien deutlich besser als der Leitindex selbst. Wer seit 1998 auf diese Strategie setzte, der konnte zu Silvester die Sektkorken knallen lassen.
Nur einmal, im Jahr 1999, schnitt man mit der Verlierer-Strategie schlechter ab. "Das war in jeder Hinsicht ein Ausnahmejahr. Jeder kaufte damals die Technologie-Aktien als Gewinner weiter. Die dadurch angeschwollene Börsenblase ist bekanntlich im Jahr 2000 geplatzt", sagt Lutz Bode, Leiter der Asset Management Strategie bei der Vereins- und Westbank. Tatsächlich funktionierte die Verliererstrategie im Jahr 2000 schon wieder. Während nämlich der DAX im vierten Quartal ein Minus von 5,4 Prozent machte, gewann das Verlierer-Portfolio 5,8 Prozent dazu. Auch in den Folgejahren ging das Kalkül auf, wie die Statistik zeigt (siehe Grafik, rechts oben) - im vergangenen Jahr allerdings nur sehr knapp. Während der DAX in einer beeindruckenden Schlußrally 19,08 Prozent zulegte, waren die Verlierer mit 20,4 Prozent um gut einen Prozentpunkt besser als der Rest.
Warum diese simple Strategie, die jeder nachvollziehen kann, so gut funktioniert, erklären sich die Experten vor allem aus dem Denken und Handeln der Fondsmanager heraus. Rolf Elgeti, Chef-Stratege der Bank ABN Amro, hat sich intensiv mit dem Phänomen befaßt und auch einige Erklärungen gefunden. Das Phänomen als solches sei "völlig losgelöst von Fundamentaldaten", meint Elgeti. Sein Erklärungsmuster: Wenn das vierte Quartal heranrückt, dann geht jeder Fondsmanager sein Portfolio durch. Da die Entwicklung des Index die Erfolgslatte für den Manager ist, passe dieser nun besonders auf, "um nichts mehr anbrennen zu lassen".
Bei den Aktien, die übers Jahr schon gut gelaufen sind, sei die Neigung zu Beginn des letzten Jahresviertels besonders groß, nun Gewinne mitzunehmen und sie zu verkaufen. Fast automatisch halten die Fondsmanager gleichzeitig Ausschau nach den Titeln, die im Index noch nicht so gut gelaufen sind und Nachholpotential haben. Spezialisten suchen auch die Sektoren nach den Aktien ab, die sich schlechter als der Durchschnitt entwickelt haben. Wenn sie feststellen, daß eigentlich gar keine besonderen Probleme vorlagen und eine Aktie einfach weniger Beachtung fand, kann kurzfristiges Nachholpotential vorliegen. Das alles passiere zu Beginn des letzten Quartals, so Elgeti, "im Dezember tritt dann oft schon der gegenteilige Effekt ein, daß Fonds die Verlierer aus dem Depot werfen, um zum Jahresende gut auszusehen".
Wie Rolf Elgeti glaubt auch Aktienstrategin Gertrud Traud von der Bankgesellschaft Berlin, daß der Blick der Manager auf Nachzügler und mögliche Aufholer vor allem in schlechten Börsenjahren besonders intensiv ist: "Dann schaut man zum Jahresende hin besonders auf Value-Aktien, die unterbewertet sind, und auch allgemein nach vernachlässigten Aktien." Damit ließe sich auch erklären, warum der Performance-Abstand umgekehrt in guten Börsenjahren nicht so ausgeprägt ist.
Gertrud Traud erläutert es so: "In guten Jahren bleiben Manager oft bei der Momentum-Strategie, lassen also ihre starken Werte weiter laufen." Das war am ausgeprägtesten der Fall im Boom-Jahr 1999, wo der Gesamt-DAX im letzten Quartal deutlich besser als die Verlierer abschnitt. Die Erklärung paßt aber auch zum guten Börsenjahr 2003, als im starken vierten Quartal nicht nur die Nachzügler gesucht wurden, sondern auch viele Gewinner weiter im Depot verblieben.
2004 dagegen war bisher kein gutes Börsenjahr - schließlich liegt der DAX nicht höher als zum Jahresanfang. Rolf Elgeti hält die Chancen daher für "sehr gut", daß die Verlierer im DAX am Ende auch diesmal wieder gewinnen könnten. Die "Super-Simpel-Strategie" läuft, weil alle das Spiel mitmachen. Für die Fondsmanager handelt es sich dabei nicht um mittel- oder langfristig angelegte Entscheidungen, sondern um das Ausnützen von kurzfristigen Kaufgelegenheiten, wie Aktienstratege Matthias Jörss von der Bank Sal. Oppenheim beobachtet hat: "Einerseits stellen viele fest, daß bestimmte Themen ausgereizt sind. Entdeckt der Markt dann zum Jahresende hin ein neues Thema, ziehen alle mit - aber eben auf sehr kurze Frist." Vereins- und Westbankstratege Bode nennt dieses Verhaltensmuster den "Mean-Reversion-Effect", was bedeuten soll, daß Börsianer plötzlich das Gute in bisher schlechten Aktien entdecken. Als Beispiel für eine mögliche Kehrtwende nennt Bode die VW-Aktie. Seine Überlegung: Volkswagen ist das Unternehmen mit der miesesten Performance in diesem Jahr. Alle schlechten Nachrichten sind bekannt, alle Negativ-Szenarien sind in die Aktie eingepreist. Käme nun eine unerwartet gute Nachricht - etwa ein schneller und für VW günstiger Haustarifabschluß -, könnte die Stimmung rasch drehen. Einige Analysten dürften dann für die Aktie Luft nach oben sehen. Den antizyklischen Käufern, die dann einstiegen, würden die prozyklischen folgen, meint Bode: "Jeder würde aufspringen, und plötzlich würde VW vom Trend profitieren."
Ebenfalls noch kurzfristig zum Profiteur werden könnten die Banken. Bis auf die Commerzbank liegen alle DAX-Werte dieses Sektors in der Verlierer-Hitparade ganz vorn. Fusionserwartungen sowie die Hoffnung, daß die Sanierungsbemühungen endlich Früchte tragen, hatten Bankentiteln zunächst Auftrieb gegeben. Als dann die Konjunktur abkühlte und eine mögliche Zinserhöhung zum Thema wurde, traten die Aktien den Sinkflug an.
Nachdem die negativen Nachrichten bereits in den Kursen enthalten sind, sieht es nun aber so aus, daß US-Notenbank-Chef Alan Greenspan nur moderat an der Zinsschraube dreht. Sich weiter billiges Geld von den Zentralbanken leihen zu können, hilft den Geldhäusern - auch bei uns. "Wenn die Fed-Politik weiter moderat und der Anleihemarkt stabil bleiben, haben Banktitel durchaus Chancen, von einem Nachholeffekt auf Zeit zu profitieren", urteilt Aktienstratege Bode. Commerzbank, Postbank und HypoVereinsbank legten zuletzt auch zu, weil Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann in einem Interview laut über den Kauf eines deutschen Instituts nachgedacht hatte.
Potential hat auch ein weiterer Minusmacher aus den ersten drei Quartalen: die Allianz. Bereits 2003 hatte der Versicherungskonzern übers Jahr hinweg zu den größten Verlierern gehört und war vor allem im ersten und dritten Quartal stark eingebrochen, um dann einen rasanten Schlußspurt hinzulegen. Die Allianz bestätigt ein Schema, das Volker Borghoff von Trinkaus & Burkhardt gefunden hat. Dem Aktienstrategen ist ein Muster aufgefallen, das seit 1990 besonders ausgeprägt ist: "Aktien, die im ersten Dreivierteljahr verlieren und speziell im dritten Quartal einen regelrechten Ausverkauf erleben, haben im vierten Quartal ganz besonderes Aufholpotential." Tatsächlich schnitt die Allianz-Aktie in den letzten drei Monaten 2003 mit einem Plus von 29,2 Prozent als viertbester DAX-Wert überdurchschnittlich ab.
Die Chancen, daß die große Aufholjagd auch in diesem Jahr stattfindet, stehen nicht schlecht. Viele Analysten halten den Versicherer, der in diesem Jahr 14,11 Prozent verloren hat, für deutlich unterbewertet und haben ihn in ihre Kaufempfehlungen aufgenommen. Die Geschäfte der Münchner gehen schon seit einiger Zeit wieder gut. So war das operative Ergebnis des zweiten Quartals mit zwei Milliarden Euro das beste seit über zwei Jahren. Selbst die Dresdner Bank, seit Jahren Klotz am Bein der Allianz, verdiente passabel. Quelle: FINANZEN.NET
Greetz
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