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Bleiben Sie sitzen, falls wir angesprengt werden
Die Reise der Bundeskanzlerin war bis zuletzt geheim gehalten worden, denn sie gilt als hoch gefährdet in Afghanistan. Die Taliban sehen die Deutschen nämlich als kriegführende Partei, ob sie das wollen oder nicht. Aus Kabul berichtet Berthold Kohler
Es ist neun Uhr abends, als das Flugzeug vom Flughafen Berlin-Tegel abhebt. Vom militärischen Teil, dort, wo die Regierungsmaschinen starten. Zu dieser Zeit wissen nur wenige, wo der Airbus hinfliegt und wen er an Bord hat. Ein Staatsgeheimnis wurde daraus gemacht, wenigstens für ein paar Tage, aus Sicherheitsgründen. Selbst der Außenminister ist so spät wie möglich über den Termin informiert worden. Denn das Flugzeug befördert eine Person, die dort, wo sie hin will, hoch gefährdet ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist auf dem Weg zu ihrem ersten Besuch in Afghanistan. Dieses Land ist für die Bundeskanzlerin ein lebensgefährliches Pflaster, so gut ihre Person auch geschützt wird. Denn Deutschland gilt den Taliban als kriegführende Partei, ob die Deutschen sich so sehen oder nicht. Und die Kanzlerin erscheint wohlinformierten Terroristen als lohnendes Ziel.
Auch sie muss daher den üblichen Weg nach Kabul nehmen, das heißt über Termes, die usbekische Grenzstadt. Auf ihrem Flugfeld steigen die Passagiere nach einer der Zeitverschiebung geschuldeten kurzen Nacht am nächsten Morgen in eine betagte "Transall" um. Anders als der Airbus hat das Transportflugzeug eine Vorrichtung, die Täuschkörper abwirft, mit der anfliegende Raketen abgelenkt werden können. Denn niemand weiß, wie viele Stinger-Raketen, einst von den Amerikanern an die Volksmudschahedin geliefert, noch im Land und funktionsfähig sind. Zudem könnten andere Länder inzwischen ähnliche Geschosse geliefert haben.
Die Täuschkörpermechanik, mit der so gut wie jedes militärische Luftfahrzeug ausgerüstet ist, das sich in den Himmel über Afghanistan wagt, ist auf größte Empfindlichkeit eingestellt. Die Kanzlerin wird das trockene Knallen, das der Abwurf der Täuschkörper verursacht, an diesem Tag gleich zweimal zu hören bekommen: beim Transit vom Hauptquartier der Isaf-Schutztruppe zum Kabuler Flughafen im gepanzerten Hubschrauber und beim Weiterflug mit der Transall nach Mazar-i-Sharif. Vermutlich nur Lichtreflexionen am Boden. Aber es hätte auch der Feuerstrahl einer Rakete sein können.
In Kabul ist für 9.30 Uhr eine Einweisung in die politisch-militärische Lage angesetzt mit den Generälen Dan McNeill, Egon Ramms, Bruno Kasdorf, dem neuen Leiter von Eupol, Jürgen Scholz, und dem scheidenden UN-Beauftragten Tom Koenigs. Das Hauptproblem der westlichen Streitkräfte in Afghanistan konnte die Kanzlerin freilich schon auf dem Flug von Termes nach Kabul von ihrem Platz in der Pilotenkanzel aus sehen: den zerklüfteten Hindukusch, der mit den 39 000 Männern und Frauen, die die Nato in Afghanistan stehen hat, nicht von den Taliban zu säubern, geschweige denn zu befrieden ist. Die Militärs aller Nationen fordern daher schon seit langem mehr Truppen oder wenigstens weniger Beschränkungen für deren Einsatz.
Weil das vielfach - beispielsweise im Falle Deutschlands - politisch nicht durchsetzbar ist, haben sich die Alliierten auf die Afghanisierung der Sicherheitsfragen verlegt: Der afghanische Staat oder wenigstens das Format, das es von ihm schon gibt, soll immer stärker selbst für seine innere und äußere Sicherheit sorgen. Davon ist er jedoch noch weit entfernt. Die afghanische Luftwaffe etwa, die beim Abzug der sowjetischen Truppen rund 400 Flugzeuge hatte, verfügt derzeit über vier einsatzfähige Hubschrauber. Auf die Angaben zur bisher erreichten Armee- und Polizeistärke ist kein Verlass.
Doch haben die westlichen Verbündeten keine andere Wahl, als auf einen sich selbst tragenden afghanischen Staat zu setzen, wenn sie eines Tages ihre Truppen heimholen wollen, ohne das Land den Taliban wieder in den Schoß zu werfen. Deutschland hat momentan gut 3000 Männer und Frauen am Hindukusch, die helfen sollen, Afghanistan wieder aufzubauen.
Der Tagestrip nach Kabul und Mazar-i-Sharif im Norden ist daher vor allem ein Truppenbesuch. Sie schätze die Leistung der Soldatinnen und Soldaten sehr, sagt sie schon morgens im Isaf-Hauptquartier, wo sie vom deutschen Kontingent mit Beifall empfangen wird. Der letzte Besuch eines deutschen Regierungschefs, damals Gerhard Schröder, ist vier Jahre her. Auch nachmittags, auf dem riesigen Gelände des Camp Marmal bei Mazar-i-Sharif, dankt sie der Truppe zwischen Hubschraubern und Tornados für ihren lebensgefährlichen Einsatz. Sie nehme einen ausgezeichneten Eindruck von den Bundeswehreinheiten in Afghanistan mit, sagt sie. Zu den Truppen des Präsidenten Hamid Karzai sagt sie öffentlich lieber nichts. Der leugnet im Park seiner Residenz auch gar nicht, wie es um sein Reich bestellt ist. Wie auch, wenn der Arm der Taliban bis an die Mauern seines Palasts heranreicht. Der ist mit vielerlei Straßensperren und Betonmauern zur Festung ausgebaut worden; der Feind ist nahe. "Bleiben Sie in jedem Fall sitzen, falls wir angesprengt werden", sagt der Feldjäger vorne auf dem Beifahrersitz zueinem Passagier auf der Rückbank, als der Konvoi der Kanzlerin die paar hundert Meter zwischen Isaf-Hauptquartier und Präsidentenpalast zurücklegt. "Wir werden dann versuchen, zum Compound durchzubrechen." Zwei Tage zuvor war draußen vor dem Tor eine selbstgebaute Bombe entdeckt worden. Später am Tag heißt es, vor dem Flughafen hätten Selbstmordattentäter auf die Kanzlerin gewartet. Nicht grundlos hatten die Planer der Reise die Straßen Kabuls nur so wenig wie irgend möglich nutzen wollen. Die Sicherheitsbeamten der Kanzlerin starren vor Waffen.
Auch der Besuch der Amani-Oberrealschule hatte ihnen Sorgen bereitet. Dort hatte es schon einmal ein Attentat mit tödlichem Ausgang gegeben, 1933 auf den afghanischen König. Doch die Kanzlerin legt großen Wert auf diesen Besuch, hebt sie doch stets hervor, dass die Taliban nicht allein militärisch besiegt werden könnten. Auf wirtschaftliche Prosperität und Bildung müsse gesetzt werden, fordert die Kanzlerin: "Auf euch kommt es an!", ruft sie den Mädchen in der Schule zu, die ihr eine Physikstunde widmet und ein deutsches Volkslied.
In der Bibliothek stehen die gesammelten Werke Schopenhauers im Regal und deutsche Heldensagen. "Wer von euch will Präsidentin werden?", fragt Karzai. Ein halbes Dutzend Mädchen meldet sich. "Es reicht für eine gute Wahl", sagt die Kanzlerin. Anschließend trägt sie noch einmal vor, dass künftig vom Wiederaufbau bis zu dessen militärischer Absicherung "alles viel stärker ein afghanisches Gesicht bekommen" müsse. Verstärkte Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte heißt die neue Devise der Nato-Verbündeten, und man fragt sich, warum sie nicht viel früher darauf gekommen sind. Aber auch die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, NGOs, werden von der Kanzlerin bereits mit Lob und Dank bedacht. Sie weiß, dass Afghanistan dem Westen dessen ganze Kraft und Macht abfordert, und zwar noch für eine ganze Weile.
In Berlin steht nun freilich erst einmal die Verlängerung des OEF-Mandats zur Terrorbekämpfung an, für das man in Afghanistan nicht lange werben muss. Isaf und OEF ergänzten sich gut, heißt es bei den Militärs in Kabul und Mazar-i-Sharif. Das scheint gegenwärtig in der großen Koalition im fünfeinhalb Flugstunden entfernten Deutschland strittig zu sein. Zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl ist auch die Außenpolitik nicht mehr ganz frei von Profilierungsversuchen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier jedenfalls hätte sich sparen können, die Kanzlerin auf dem SPD-Parteitag zu dieser Afghanistan-Reise aufzufordern. Mit dem Plan trug sich das Kanzleramt schon länger. Der war in seiner abstrakten Form nicht so geheim, dass er Steinmeier verborgen bleiben musste.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.11.2007, Nr. 44 / Seite 2 + 3
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