Ein Akt der Verzweiflung
Die Opposition bockt, das Bundesvermögen ist weg — warum der Finanzminister gar nicht anders kann. Von Ulrich Schäfer
Es gibt viele Menschen in diesem Land, die die rot-grüne Politik als ungerecht empfinden. Denn unter den teils massiven Einschnitten mussten immer nur bestimmte Gruppen leiden: mal die Arbeitslosen, mal die Patienten, dann wieder die Pendler oder die Bauherren.
Insofern könnte man es als Akt der Gerechtigkeit ansehen, dass der Kanzler und sein Finanzminister nun den 3. Oktober als Feiertag abschaffen wollen, denn dies trifft alle Deutschen gleichermaßen.
Tatsächlich ist es ein Akt der Verzweiflung. Schröder und Eichel verzweifeln an den Staatsfinanzen, und sie verzweifeln an der Opposition.
Denn die Schulden steigen ins Unermessliche, auch weil Merkel, Stoiber und Westerwelle sich im Bundesrat immer wieder verweigern. Fast 44 Milliarden Euro wird der Bund sich dieses Jahr pumpen, ein Rekord, und auch im nächsten Jahr droht Deutschland die Schuldengrenze des EU-Stabilitätspakts zu brechen.
Neue Zeit gewonnen...
CDU, CSU und FDP behaupten zwar, sie seien, anders als die Regierung, zum Sparen bereit – doch wenn es ernst wird, kommen Unionisten und Liberale meist mit teils fadenscheinigen Gegenargumenten.
Sie schelten den Kanzler und seinen Finanzminister als Vaterlandsverräter, weil diese den Nationalfeiertag opfern wollen; zugleich stemmen sie sich dagegen, die Eigenheimzulage oder die Steuervorteile beim Agrardiesel zu streichen – obwohl dies der Staatskasse mehr bringen würde als die Abschaffung des Tags der Einheit.
Ökonomisch jedenfalls bringt es nicht viel, wenn die Deutschen künftig am 3. Oktober arbeiten. Im nächsten Jahr, behauptet die Regierung kühn, werde das Wirtschaftswachstum dadurch um 0,1 Prozentpunkte höher liegen als im laufenden Jahr.
Doch was besagt das schon? Eichel weiß, mit welcher Fehlermarge jede Konjunkturprognose behaftet ist, er darf sich auf solch ein marginales Plus also nicht verlassen. Ohnehin wird es ihm nur ein einziges Mal gelingen, durch den zusätzlichen Arbeitstag das Wachstum zu beflügeln; in allen folgenden Jahren wäre dann die Basis, auf der das Plus errechnet wird, entsprechend höher.
...bevor der Stabilitätspakt gelockert wird
Doch vorerst hat die Regierung kaum eine Alternative. Sie könnte natürlich den europäischen Stabilitätspakt aufkündigen – doch das wäre angesichts der Nöte, in der die EU-Kommission derzeit steckt, verwegen.
Sie könnte auch die Steuern erhöhen – aber das wäre gleichbedeutend mit der Abwahl 2006. Sie könnte sich auch mit dem weiteren Verkauf von Bundesvermögen durchmogeln – doch der Vorrat ist fast erschöpft.
Die Aktion 3. Oktober verschafft Schröder und Eichel deshalb vor allem Zeit. Sie können den Brüsseler Stabilitätswächtern demonstrieren, dass sie zum Äußersten bereit sind, um sie so zumindest für ein paar Monate zu beschwichtigen.
Im Frühjahr nächsten Jahres, wenn, wie von Berlin erhofft, der neue, gelockerte Stabilitätspakt steht, können sie sich dann von ihrer Idee wieder leichten Herzens verabschieden – Schulden sind dann ja nicht mehr so schlimm.
(SZ vom 05.11.2004)
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