Moskaubesuch von Gerhard Schröder
Der Kanzler verwirkte ohne große Not die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik
Von Johannes Voswinkel für ZEIT.de
Der deutsche Bundeskanzler gibt sich in Moskau als bequemer Gast: Da mögen die neu verputzten Wände im Hause Putin Risse schlagen, der Kronleuchter schief von der Decke baumeln und das Stuckimitat abplatzen, Gerhard Schröder lobt begeistert die gelungene Inneneinrichtung. Yukos-Prozess, Bankenkrise, Tschetschenienkrieg, Mediengängelung – war da was? Nein, der Kanzler schaute am Donnerstag im Tunnelblick auf die Zukunft von Deutschlands Wirtschaft und Energieversorgung und verwirkte zugleich ohne große Not die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik.
Denn ein paar freundschaftlich besorgte Worte zum Prozess gegen den Yukos-Chef Michail Chodorkowskij und zum drohenden Bankrott des Ölkonzerns aufgrund der staatlichen Steuernachforderungen hätten das Gleichgewicht der deutschen Interessen zwischen Gasröhre, Investitionssicherheit und Menschenrecht besser austariert. Zu alledem lehnte sich der Kanzler noch weit aus dem Fenster nach Osten: Steuern seien nun einmal zu zahlen, und für Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Moskauer Vorgänge gebe es keinen Anlass, ließ er verlauten.
Tatsächlich geht es im Fall Chodorkowskij nur vordergründig um Steuergerechtigkeit. Der Herrscher an der Spitze seiner eigenen „Vertikale der Macht“, Präsident Wladimir Putin, setzt die Staatsorgane zur Sicherung seiner Unangreifbarkeit und der Kontrolle über die Gesellschaft ein. Natürlich tut Putin gut daran, den Staat nicht wie unter seinem Vorgänger Boris Jelzin den Oligarchen zum Fraß zu überlassen. Allerdings findet die Auseinandersetzung nicht mit politischen Mitteln und in einem unabhängigen Rechtswesen statt. Russlands Neo-Byzantismus ist vielmehr geprägt von undurchsichtigen Entscheidungen in der Kremlkabinettsflucht, der gezielten Demontage der Checks and Balances, dem Widerspruch zwischen wohlklingendem Wort und barscher Tat und Fällen der Urteilsfindung auf Telefonanruf von oben.
Putin versucht nicht einmal, eine gesellschaftliche Diskussion zum Umgang mit den Privatisierungsgewinnen der neunziger Jahre in Gang zu setzen. Es geht vielmehr um eine Abrechnung innerhalb der Machtcliquen. Der ehemalige Räuberbaron Chodorkowskij hatte mit Yukos eine transparente Firma internationalen Standards geschaffen, aus deren Finanzströmen sich fortan die parasitären Amts- und Kremlstuben kaum mehr unbemerkt ihren Zehnt abzweigen konnten. Er förderte die demokratische Opposition und schuf eine Stiftung zum Aufbau der Zivilgesellschaft. Er verhandelte mit ExxonMobil über einen Einstieg der Amerikaner ins russische Öl, das den Staatsgläubigen und Ex-Geheimdienstlern um Putin als heiliger Nationalbesitz erscheint. Spätestens da wurde Chodorkowskij aus Kremlsicht fällig. Die weitverbreiteten, oftmals legalen, aber wenig legitimen Privatisierungs- und Steuertricks dienten als Munition. Zwar hat die Generalstaatsanwaltschaft noch Jahre nach dem Untergang des Atom-U-Boots „Kursk“ keine Schuldigen benennen können. Auch mit der Aufklärung der großen Auftragsmorde des vergangenen Jahrzehnts bis zum Gerichtsurteil hat es nicht recht geklappt. Doch nun ermitteln die Staatsanwälte wie aufgestachelt, und ihr oberster Chef erkennt beflissen einen Abgrund von „Diebstahl, Betrug und Steuerhinterziehung“.
Die russische Transformationsgesellschaft schraubt unter Putin ihre bisherigen demokratischen Errungenschaften beständig zurück. Die unkontrollierte Machtfülle der Elite, die wirtschaftlich auf der Rohstoffausbeutung des Landes basiert, tendiert zur Selbstbedienung und ist kein verlässliches Zukunftsmodell. Doch der Kanzler gab sich bis auf Rosarot farbenblind, mögen der amerikanische Präsident, der britische Außenminister, die OECD und die Weltbank noch so sehr warnen. Sogar der Name Yukos wurde Schröder zum Gottseibeiuns, den er in seiner Rede vor Studenten der Moskauer Finanzakademie zu meiden suchte: "Putins Reformen haben das Vertrauen ausländischer Investoren in Russland grundlegend erneuert", erklärte er. "Es gibt nicht den geringsten Grund, sich auf Debatten einzulassen, die wegen welcher Ereignisse auch immer meinen, dass dieses Vertrauen erschüttert werden könnte."
Das gegenseitige Vertrauen in der tiefen deutsch-russischen Freundschaft, die Schröder und Putin beschwören, dürfte auch kritische Anmerkungen ertragen. In seiner Rede verwies der Kanzler mehrfach auf eine "stabile Wertepartnerschaft" beider Länder. Gerade sie macht die Gefahr einer Verunsicherung der Investoren, die andauernde Verletzung der Menschenrechte in Tschetschenien, die Unterdrückung freier Medien und die Stigmatisierung ausländischer nichtstaatlicher Organisationen zu unerlässlichen Themen im gemeinschaftlichen Dialog mit einem Land, das nach Putins Bekunden zu Europa gehören möchte. In der Finanzakademie offenbarte Schröder lieber seine Fussballleidenschaft und rezitierte das Gedicht „Der Panther“ von Rilke. Die Studenten im Saal waren beeindruckt vom beredten Kanzler. Für eine abgewogene Außenpolitik reicht das nicht.
(c) ZEIT.de, 10.07.2004
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