Prof. Dr. Lutz Heinemann Profil Institut für Stoffwechselforschung Hellersbergstr. 9 D-41460 Neuss
Mögliche Risiken: Häufiger Lungenkrebs, schlechtere Lungenfunktion?
Das überschüssige Insulin, das in der Lunge hängen bleibt, war und ist zudem Anlass für Sicherheitsbedenken. Die größte Sorge ist, dass Insulin als Wachstumsfaktor die Entstehung von Lungenkrebs fördern könnte. Unter Exubera® gab es in Studien numerisch, aber nicht statistisch signifikant, vermehrt Lungenkarzinome.
„Insgesamt gibt es dazu aber bisher wenig belastbare Daten“, sagt Heinemann. „Wenn man Tausende von Patienten mit inhalativem Insulin behandelt, wird zwangsläufig schon aus statistischen Gründen bei einigen Lungenkrebs auftreten. Ob dieser durch das inhalierte Insulin mitverursacht wurde oder nicht, ist sehr schwer zu überprüfen. Dafür benötigt man große Studien mit langen Beobachtungszeiten.“
„Es hat sich zudem gezeigt, dass sich unter inhalativen Insulinen die Lungenfunktion etwas verschlechtert“, berichtet Heinemann. Um 40 bis 60 ml nahm die Einsekundenkapazität FEV1 in den ersten 3 Monaten der Afrezza®-Anwendung ab. Diese – den Autoren zufolge „wahrscheinlich klinisch unbedeutende“ – Reduktion der Lungenfunktion schritt nicht weiter fort, blieb aber in einer Studie über 2 Jahre Follow-up bestehen [4]. Wie sich die Lungenfunktion danach weiter entwickelt, ist bislang noch unbekannt.
„Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine Menge Insulin nicht da ankommt, wo es hin soll. … Das heißt, man benötigt ein Vielfaches der Einsatzmenge.“
Afrezza® wird zu Beginn einer Mahlzeit inhaliert, der blutzuckersenkende Effekt setzt nach 12 bis 15 Minuten ein, erreicht sein Maximum nach 30 Minuten und hält bis zu 180 Minuten an. Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes muss es in Kombination mit einem langwirksamen Insulin angewendet werden [5].
„Für eine Reihe von Patienten, bei denen die Stoffwechselkontrolle mit dem subkutanen Insulin noch nicht optimal ist, aber auch bei denjenigen, die sehr ungern spritzen, könnte ein inhalatives Insulin von Vorteil sein“, so Heinemann. In den Zulassungsstudien wurde Afrezza® bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern untersucht und verursachte zudem weniger Hypoglykämien und eine geringere Gewichtszunahme als subkutan injiziertes Insulin [6, 7].
Aufgrund der Gefahr von Bronchospasmen ist Afrezza® bei Diabetespatienten mit Asthma und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) kontraindiziert, ebenfalls ungeeignet ist es bei diabetischer Ketoazidose und Rauchern [5]. Es bestehen Bedenken, dass das Rauchen das Lungenepithel schädigt und das Insulin schneller aufgenommen wird als beabsichtigt.
Risiko-Evaluation nach der FDA-Zulassung geplant
Die FDA-Zulassung von Afrezza® ist an Auflagen gebunden. Eine sogenannte Risk Evaluation and Mitigation Strategy (REMS) soll sicherstellen, dass der Nutzen des Präparats das potenzielle Risiko überwiegt.
Zu einer solchen Strategie gehören Risikomanagementpläne, die beispielsweise zusätzlich zur Packungsbeilage laienverständlich geschriebene Patienteninformationen enthalten, die auf spezielle Risiken eines Präparats hinweisen. Auch eine gezielte Kommunikationsstrategie kann zu einer REMS gehören, z. B. Arztbriefe, die über Risiken und Vorsichtsmaßnahmen informieren.
Zudem verlangt die FDA 4 Postmarketing-Studien:
zur Pharmakokinetik, Sicherheit und Wirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen, zum potenziellen Lungenkrebsrisiko, zu kardiovaskulären Risiken und Langzeiteffekten auf die Lungenfunktion und zu Dosis-Wirkungsbeziehungen und intraindividueller Variabilität.
„Für eine Reihe von Patienten, bei denen die Stoffwechselkontrolle mit dem subkutanen Insulin noch nicht optimal ist, aber auch bei denjenigen, die sehr ungern spritzen, könnte ein inhalatives Insulin von Vorteil sein.“
Markterfolg von Afrezza® bleibt abzuwarten
Es bleibt abzuwarten, ob Afrezza® auf dem Markt erfolgreicher sein wird als Exubera®. „Das Inhalationsgerät für Exubera® war recht groß, eine diskrete Anwendung zum Beispiel im Restaurant war damit nicht möglich. Und Diskretion ist vielen Patienten sehr wichtig“, erklärt Heinemann. Der Inhalator für Afrezza® ist wesentlich kleiner und leichter zu handhaben. „Das könnte für die Akzeptanz ein entscheidender Vorteil sein“, so Heinemann. Zudem ist die Dosierung mit dem Afrezza®-Inhalator einfacher, da die Dosis in Insulin-Einheiten und nicht in Milligramm angegeben wird.
Doch es bleibt fraglich, ob Ärzte ihre Patienten auf Afrezza® umstellen wollen. „Wenn Patienten mit subkutanem Insulin recht gut eingestellt sind, werden Ärzte zurückhaltend sein, das Risiko einer Umstellung einzugehen, nur um den Blutzucker noch etwas besser zu kontrollieren“, vermutet der Insulin-Experte.
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