Neidkomplex oder Transparenz?Nebeneinkünfte der Parlamentarier im FokusDer Streit um die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten geht in seine letzte Runde. Das Bundesverfassungs-gericht verhandelt heute über eine Klage von sechs Politikern gegen das seit Oktober 2005 geltende Gesetz. Die Kläger, darunter der ehemalige Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, der FDP-Medienexperte Hans-Joachim Otto und der Sozialdemokrat Peter Danckert, wollen verhindern, dass ihre abseits der Politik erzielten Einkünfte künftig im Bundestags-Handbuch oder auf der Internetseite des Parlaments veröffentlicht werden. Sie fürchten, dass dadurch immer weniger Unternehmer, Freiberufler und Selbstständige in die Politik gehen. Praxistaugliche NebentätigkeitIn Zeiten, in denen Politikern mangelnde Bodenhaftung vorgeworfen wird, könnte jemand wie Heinrich Leonhard Kolb zum Vorzeige-Abgeordneten taugen: Wenn der 50-Jährige nicht für die FDP im Bundestag oder im sozialpolitischen Fraktionsarbeitskreis sitzt, eilt er ins heimische Babenhausen bei Darmstadt. Dort führt er zusammen mit seinem Bruder in vierter Generation einen Betrieb mit 60 Angestellten. Das nützt auch der politischen Arbeit, sagt Kolb: "Ich muss nicht erst Gutachten lesen, um zu wissen, wie die Lage des Mittelstands in Deutschland ist und wo die Leute der Schuh drückt." HintergrundAus seinem Nebenberuf hat der Politiker nie ein Hehl gemacht. Nun aber soll er auch offen legen, wieviel er verdient. So wollen es die neuen Verhaltensregeln, mit denen der Bundestag mehr Transparenz über die Nebenjobs seiner Mitglieder schaffen will. Danach müssen die Parlamentarier ihre Monatsbezüge in drei Stufen angeben: 1000 bis 3500 Euro, 3500 bis 7000 oder mehr als 7000 Euro. Zweckgebundene Tätigkeit untersagtGegen diese Regelung ist Kolb zusammen mit acht weiteren Abgeordneten vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Zu seinen Mitstreitern gehören der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) und Peter Dankert (SPD). Nun verhandelt der Zweite Senat über die Klagen, in einigen Monaten ist mit einem Urteil zu rechnen. Eines aber hat das Bundesverfassungsgericht schon im Diätenurteil von 1975 geklärt: Nebeneinkünfte ohne Gegenleistung haben in deutschen Parlamenten nichts zu suchen. Bildquelle dpaBundesverfassungsgerichtFälle wie der des inzwischen zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Jann-Peter Janssen sind daher rechtlich wenig zweifelhaft. Janssen war vergangenes Jahr ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil er jahrelang ohne Gegenleistung ein Gehalt von Volkswagen bezogen hatte. Denn das Abgeordnetengesetz verbietet Zuwendungen, die "nur deshalb gewährt werden, weil dafür die Vertretung und Durchsetzung der Interessen" des angeblichen Arbeitgebers im Bundestag erwartet wird. "Geld für Nichts"Entscheidend ist freilich das Wörtchen "nur". Der CDU-Abgeordnete Reinhard Göhner etwa ist seit 1996 Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeber und bekommt damit keineswegs "Geld für Nichts". An seinem Fall hatte sich im Sommer die Debatte entzündet. Angesichts der heftigen Kritik kündigte Göhner jedoch auf längere Sicht den Rückzug von einem seiner Ämter an. Sein Bundestags- und Parteikollege Norbert Röttgen hat schon früher die Reißleine gezogen: Nach öffentlichem Druck trat er einen Topjob beim Bundesverband der Deutschen Industrie gar nicht erst an. Im Karlsruher Verfahren geht es aber nicht nur um fragwürdige Interessenverquickungen, sondern auch um die Grundsatzfrage nach dem "Leitbild" des Parlamentariers. Nach Ansicht des Ex- Verfassungsrichters Hans-Hugo Klein baut der deutsche Parlamentarismus seit jeher auf ein Nebeneinander von Mandat und Beruf. Im 19. Jahrhundert bekamen die Mitglieder des Reichstags gar kein Geld, mussten also ohnehin finanziell unabhängig sein. Leitbild ist "Abgeordneter auf Zeit"Auch heute, argumentiert Klein, sei Leitbild nicht der dem beruflichen Leben entfremdete Politfunktionär, sondern der Abgeordnete auf Zeit, der in den "Mühen und Plagen" des gesellschaftlichen Lebens verwurzelt sei. In einem Zeitungsaufsatz kritisiert der frühere Verfassungsrichter die Pflicht zur Offenlegung: Sie schüre "Neidkomplexe" und übe damit Druck auf den Abgeordneten aus, den Nebenjob aufzugeben. Das Bundesverfassungsgericht schien freilich im Urteil von 1975 eher den gewählten "Staatsfunktionär" vor Augen zu haben, dem nicht einmal die 40-Stunden-Woche für seine Aufgaben als Volksvertreter reiche. Wer also seinen Beruf zumindest teilweise weiter ausüben wolle, müsse bis zu 120 Stunden pro Woche arbeiten, meinten die Richter. Experten halten allerdings - zumindest rhetorisch - eine höchstrichterliche Selbstkorrektur für denkbar, weil das Urteil die Weichen zu sehr Richtung Berufspolitikertum gestellt habe. Ob das höchste deutsche Gericht aber letztlich die Entscheidung der gewählten Volksvertreter umdrehen wird, die sich die Regeln ja selbst verordnet haben, gilt als ungewiss. Immerhin sei Transparenz in einer Demokratie ein legitimes Ziel, meint der Staatsrechtler Joachim Wieland. Dabei hegt er durchaus Sympathie für den berufstätigen Abgeordneten - weil der sich eher dem Regiment der Partei entziehen kann: "Wer wirtschaftlich auf eigenen Füßen steht, kann sich auch abweichende Meinungen erlauben."
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