Der Aufstand wird zum Flächenbrand !
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informativ
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Soviel zu einsparungen im sozialen Bereich,das lohnt sich immer.
First we take Paris then we take Berlin !
Gewalt in Trabantenstädten
Neunte Krawall-Nacht in Frankreich
[Bildunterschrift: Randale in der Nacht: Brennendes Auto im Pariser Vorort Le Blanc-Mesnil]
Die Unruhen und Brandstiftungen in sozialen Brennpunkten in Frankreich haben in der Nacht einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach Angaben der Polizei wurden 754 Fahrzeuge angezündet, mehr als je zuvor in einer Brandnacht. Die Zahl der Festnahmen schnellte gegenüber dem Vortag von 78 auf 203 in die Höhe
In Aubervilliers gingen zwei Textillager in Flammen auf. Schwere Brandstiftungen gab es unter anderem auch in Rennes und Nantes. Auch Busse und eine Bäckerei wurden Opfer der Flammen. In Cleon wurde ein Molotow-Cocktail in einen Linienbus geworfen. Die Passagiere konnten sich in Sicherheit bringen, bevor der Bus in Flammen aufging und völlig ausbrannte. In Pierrefitte bei Paris mussten zwei Wohnhäuser mit rund 100 Einwohnern geräumt werden, in deren Tiefgarage offenbar Feuer gelegt worden war. Auch gegen eine Synagoge wurde ein Brandsatz geworfen, ohne Schaden anzurichten.
Schweigemarsch in Aulnay-sous-Bois
[Bildunterschrift: Aufräumen am Tag: Ausgebrannte Autos auf einem Abschleppwagen]
Der Bürgermeister der Pariser Vorstadt Aulnay-sous-Bois rief für heute zu einem Schweigemarsch auf. Dazu sind neben den Einwohnern der Stadt auch Vertreter der Nachbargemeinden und des gesamten Departements Seine-Saint-Denis eingeladen. In Aulnay-sous-Bois waren in der Nacht zu Freitag unter anderem eine Polizeistation verwüstet und eine Vorschule in Brand gesetzt worden.
USA warnen ihre Bürger vor Reisen
Die USA haben wegen der anhaltenden Krawalle eine Reisewarnung für bestimmte Regionen Frankreichs ausgegeben. Sie gilt für Pariser Vororte, die ostfranzösische Stadt Dijon, die Mittelmeerstadt Marseille und die Normandie im Nordwesten des Landes.
In einer Zwischenbilanz nach acht Krawall-Nächten sprach die Polizei von 230 Festnahmen und 1260 ausgebrannten Fahrzeugen, darunter Dutzenden Bussen. Der Nahverkehr im Norden von Paris ist teilweise gestört. Nach Angriffen von Jugendlichen weigern sich S-Bahn-Fahrer, Züge auf bestimmten Strecken zu fahren.
Innenminister Sarkozy unter Druck
[Bildunterschrift: In der Kritik: Innenminister Nicolas Sarkozy]
Sozialisten, Grüne und Kommunisten verlangten den Rücktritt des Innenministers Nicolas Sarkozy. Er hatte die jugendlichen Randalierer als "Gesindel" bezeichnet, was zu einer Eskalation der Gewalt geführt hatte. Auslöser der Unruhen war der Tod zweier Jugendlicher in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois am Donnerstag vergangener Woche. Sie hatten sich von der Polizei verfolgt gefühlt und waren in ein Trafo-Häuschen geflohen. Dort traf sie ein tödlicher Stromschlag.
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Wie ein Mob funktioniert
Von Christian Stöcker
Die randalierenden Jugendlichen in Paris und anderen Städten folgen einer französischen Tradition: dem gewalttätigen Protest. Wissenschaftler erklärten SPIEGEL ONLINE, wie ein randalierender Mob zustande kommt, wie er funktioniert - und was ihn am Leben erhält.
"Am Nachmittag begannen einige hundert Jugendliche den Kleinkrieg mit den Sicherheitskräften. Auf einen Hagel von Bierdosen und Metallstücken antworteten die Bereitschaftspolizisten mit Tränengas." Dieser Bericht aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stammt nicht von letzter Woche, sondern aus dem Jahr 1995. Er beschreibt eines von zahlreichen Beispielen für ein Phänomen, das zu Frankreich gehört wie Käse und Rotwein: der chaotische, oft gewalttätige Widerstand gegen Verhältnisse, die als unhaltbar empfunden werden.
DPAKrawalle in Paris: "Diese Wirksamkeit erleben wollen" |
Bauern, die Schnellrestaurants demolieren, LKW-Fahrer, die Autobahnen blockieren, Studenten, die Hörsaalmobiliar verfeuern - in Frankreich macht man seinem Ärger gern handgreiflich und persönlich Luft. "Der gewalttätige Protest hat eine längere Tradition", sagt Ebbinghaus. Insofern leitet sich das, was die Randalierer in Saint-Denis, Toulouse und anderswo Nacht für Nacht tun, gewissermaßen aus dem Gründungsmythos der Republik ab: Der Ausdruck ihrer Wut ist ein historischer Mechanismus der Gesellschaft, gegen die sie sich richtet. Revoltieren gehört in Frankreich zum Selbstverständnis.
Das Recht zur Rebellion ist sogar gesetzlich verbrieft: Während etwa in Deutschland Streiks streng reglementiert und an gewerkschaftliche Organisationen gebunden sind, gibt es in Frankreich ein "individuelles Streikrecht", erklärt Ebbinghaus, "Jeder kann sich mit anderen zusammentun und einen Streik organisieren." Und wenn es dann kracht und Dinge kaputt gehen, ist die Staatsgewalt gemeinhin nachsichtiger als anderswo.
Ziellose Gewalt ist der Protest der Unterschicht
Während es jedoch etwa bei den gewaltigen Protesten von Arbeitslosen und Studenten in den neunziger Jahren, die teilweise sogar auf Deutschland übersprangen, am Ende doch gewerkschaftliche Ansprechpartner für den Staat gab, ist die Krawallbewegung des Jahres 2005 völlig dezentral. Sie basiert auf losen Netzwerken von Freunden und Bekannten, die sich spontan zu größeren Gruppen zusammenfinden. Das sei eine typische Form des Widerstandes aus den ärmeren und wenig gebildeten Schichten, sagt Christian Lahusen, politischer Soziologe an der Universität Siegen.
Zerstörerischer, scheinbar zielloser Protest sei in der Geschichte immer wieder vorgekommen, etwa bei Rassenunruhen und Arbeiteraufständen in Großbritannien. Menschen aus den untersten Gesellschaftsschichten "gründen keine Bürgerinitiativen", sagt Lahusen. Nur gewinnt der dezentrale organisierte Aufstand durch SMS und Internet eine neue Dimension. Plötzlich lassen sich aus kleinen, lose verknüpften Cliquen innerhalb kürzester Zeit schlagkräftige Gruppen zusammenstellen, die für Verwüstung sorgen - und dann wieder verschwinden wie ein Spuk. Dazu sei allerdings notwendig, sagt der Soziologe Hartmut Esser von der Universität Mannheim, dass es vorher schon "gewisse Assoziationen" gegeben habe, "von Freizeitgruppen bis zu ganz anders motivierten kriminellen Gangs."
Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), betrachtet die Ausschreitungen mit Blick auf den Einzelnen: Aggressives Verhalten entstünde "zunächst als Vergeltungsaktion, als Reaktion darauf, dass sich der Jugendliche nicht ernst genommen, vernachlässigt, bedroht und schließlich angegriffen fühlt".
Autos Anzünden steigert das Selbstwertgefühl
Die Randalierer hätten lange Zeit die eigene Situation "als Aggression der Gesellschaft" erlebt, präzisiert Timo Harfst, wissenschaftlicher Referent der BPtK. Käme dann ein Auslöser wie der Unfalltod der beiden Jugendlichen in einem Transformatorenhäuschen hinzu, werde das irrationalerweise als weitere Aggression der Gesellschaft aufgefasst. "Dann wird eine Schwelle überschritten, Regeln und Grenzen verschieben sich sehr schnell". "Opfer-Aggression" werde zu "Täter-Aggression". Und aus einer vorher nur latent vorhandenen "peer group" wird eine verschworene Gemeinschaft, die gemeinsam in die Schlacht zieht. Hartmut Esser spricht von "Initialzündungen" - dazu gehören nach seiner Meinung etwa die abfälligen Äußerungen von Innenminister Nicolas Sarkozy über den "Abschaum" in den Vorstädten.
"Wer es einmal bis zu Straßenkrawallen kommen lässt, hat es mit Reaktionsmustern zu tun, die eine große Eigendynamik entfalten", sagt Richter. Harfst vergleicht das mit dem Verhalten potentieller Selbstmörder: Sei die Schwelle zum Versuch einmal überschritten, werde es viel einfacher, das wieder zu tun.
Wie diese Eigendynamik aussieht, kann man derzeit in ganz Frankreich beobachten: Von einem Ort zum nächsten springen die Proteste über - weil sie funktionieren. "Die Jugendlichen erleben sich selbst als wirksam", sagt Harfst, und Selbstwirksamkeit kennen Psychologen als ein starkes Mittel zur Steigerung des Selbstwertgefühls.
Die Fernsehbilder, die jeder Krawall wieder produziert, heizen das Geschehen weiter an - und schaffen Nachahmer. "Das führt dazu, dass andere Jugendliche, die vielleicht von den Benachteiligungen gar nicht unmittelbar betroffen sind, diese Wirksamkeit auch erleben wollen", sagt Harfst. Man will dazugehören. "Das passiert eher spontan, manche lernen sich erst abends beim Randalieren kennen", sagte ein Jugendlicher einem SPIEGEL-ONLINE-Reporter vor Ort. Und einer versucht den anderen zu übertreffen, angeblich sollen sogar Gruppen aus verschiedenen Stadtteilen wetteifern, wer den größeren Schaden anrichten kann. Hartmut Esser fügt hinzu, all das könne nur passieren, "wenn die Akteure so gut wie nichts zu verlieren haben, und wenn es keine überlappenden Netzwerke zur 'anderen' Seite gibt, also zum französischen Establishment."
So entstehen in kurzer Zeit neue gesellschaftliche Strukturen, mit einem verbindenden, zentralen Thema, einer neuen, aufregenden Triebfeder. "Es ist auch zu erwarten, dass die Rollen innerhalb der Gruppen darüber definiert werden, wer was getan hat, wer sich was getraut, wer was bewirkt hat", erklärt Harfst. Ob diese Krawall-Hierarchien allerdings überdauerten, sei fraglich. "Das wird auch wieder zerfallen", glaubt der Psychotherapeut. Und eben die Angst vor diesem Ende halte die Ausschreitungen möglicherweise am Leben. "Das könnte ein potentieller Motor sein - das Entstandene nicht wieder hergeben wollen."
seiner Schwester.Ein Bericht über die Zustände im Rollbergviertel in Berlin-Neukölln,wo über 40% der Bewohner Türken aus einfachen Verhältnissen oder arbische Palästinenser sind.
Da hilft auch die Einstellung nicht, wer nicht will,den soll man beiseite lassen.Die Mütter lernen kein deutsch und die Männer wollen auch gar nichts ändern an ihren Einstellungen,die immer islamistischer werden.
Auszug aus dem Artikel:
An der benachbarten Zuckmayer-Realschule beobachtet Leiter Gerhard Wittkuhn, wie selbst die Jugendlichen aus eher bildungsorientierten Familien "sich wieder stärker und bewußter für den Islam entscheiden". In der nahe gelegenen Hermann-Boddin-Grundschule tragen seit einigen Jahren immer mehr Mädchen Schleier und Kopftuch. "Deutlich mehr Kinder als früher dürfen nicht mehr mit ins Schullandheim fahren", berichtet der stellvertretende Leiter Dieter Rensch. Unterschwellig gebe es "Mobbing" gegen die wenigen deutschen Schüler. Kontakt mit den Eltern aus konservativen Familien existiere nicht: "Die mauern", so der Pädagoge.
Es leben Menschen im Rollbergviertel, die halten wie die afghanischen Taliban Musik für Teufelswerk. Aus ihren Fenstern dringen laut Koransuren, berichtet Quartiersmanagerin Ayten Köse. In den Wohnungen fänden Rituale statt, bei denen die Betenden in Trance fielen. "Was die in ihren Hinterhofmoscheen zu hören kriegen, weiß niemand", sagt die Deutsch-Türkin. Frauen aus dem Viertel sagen ihr, sie sei zu verwestlicht: "Du trägst kein Kopftuch, sprichst mit fremden Männern und zeigst dich mit ihnen." Das sind die Offeneren. Die ganz Konservativen kommen erst gar nicht zu ihrem wöchentlichen Frühstück. Die meisten aus Aytens Frauenrunde wurden zwangsverheiratet. Als im Rollberg die Kunde vom Mord an Hatun Sürücü umging, waren die Reaktionen wenig betroffen, erzählt Güner. Die Mädchen kennen solche Geschichten. Aus dem türkischen und arabischen Fernsehen, aber auch aus der Nachbarschaft. Ein Vater hat seine Tochter, die nicht heiraten wollte, solange mit dem Kopf gegen die Heizung geschlagen, bis sie einen Schädelbruch hatte. Das Mädchen hat aus Angst dem Arzt verboten, Anzeige zu erstatten. Ein kurdisches Mädchen wurde drei Monate bis zum Hochzeitstermin im Zimmer eingeschlossen, die Eltern verbarrikadierten die Fenster.
In den seltensten Fällen werden die jungen Frauen in Ketten zum Traualtar und einem Ehemann geschleift, den die Mütter mit dem Segen der Väter und Großväter ausgesucht haben. Die meisten sehnen das "Bonbon-Hochzeitskleid" herbei. Den Tag, an dem sie gepriesen werden und die Chance haben, als Mutter von Söhnen Anerkennung zu gewinnen.
In Mode ist inzwischen die arrangierte Ehe. Dem Kind werden bei Besuchen in der alten Heimat oder auch in Deutschland Cousins gezeigt. "Das ist dein Zukünftiger", heißt es zunächst scherzhaft. Die Mädchen gewöhnen sich an den Gedanken. Sie empfinden es als freie Wahl, wenn sie dann unter drei oder vier Cousins ihren Ehemann aussuchen dürfen. Güner Balci verspürt bittere Freude nur darüber, daß viele Familien aus Berlin Schwierigkeiten haben, von ihrem Hartz-IV-Einkommen die 10 000 oder 20 000 Euro für eine hübsche, tugendhafte Braut aus den heimatlichen Dörfern aufzutreiben. Die Familien seien klüger geworden, sagt Gabriele Heinemann. Die Mädchen seien bei der Hochzeit 16 und nicht mehr 13 Jahre alt. Das spart Ärger mit den deutschen Behörden. Einsicht hingegen scheint in den sehr traditionalistischen und durch den modernen Islamismus bestärkten Sippen begrenzt. Die Familien interessierten sich nicht für deutsche Gesetze, sagt Madonna-Betreuerin Adla.
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Sarkozy schiebt ausländische Randalierer ab
DPA Der französische Innenminister Sarkozy
Der französische Innenminister Nicolas Sarkozy fährt die harte Linie: Ausländer, die wegen der Krawalle verurteilt worden sind, werden abgeschoben - auch jene, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben.
Bislang seien 122 Ausländer im Zusammenhang mit den Unruhen in zahlreichen französischen Vorstädten verurteilt worden, sagte Nicolas Sarkozy der Nationalversammlung am Mittwoch in Paris. "Ich habe die Präfekten aufgefordert, dass Ausländer, die legal oder illegal hier sind und verurteilt worden sind, unverzüglich des Landes verwiesen werden." Präfekten sind Regierungsbeamte, die den Zentralstaat in den 96 französischen Verwaltungsbezirken vertreten.
Ausdrücklich stellte Sarkozy klar, dass seine Anweisung auch für diejenigen gilt, die eine Aufenthaltsgenehmigung hätten. "Wenn jemandem die Ehre widerfährt, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, kann man zumindest erwarten, dass er nicht loszieht und wegen der Anstachelung zu Gewalt in den Städten festgenommen wird." Die jeweiligen Staatsangehörigkeiten der Betroffenen nannte Sarkozy nicht. Auch nannte er keine Zahl derjenigen, die ausgewiesen werden sollen. Sarkozy gilt in Frankreich als Vertreter von Recht und Ordnung. Auch deshalb ist er einer der aussichtsreichsten Bewerber für die konservative Kandidatur bei der Präsidentenwahl im Jahr 2007. Er hat in der Vergangenheit bereits die Ausweisung radikaler moslemischer Prediger veranlasst. Sarkozys Gegner, die sich auch innerhalb seiner Partei finden, haben zuletzt seine deftige Wortwahl bei der Bezeichnung der randalierenden Jugendlichen in meist sozial benachteiligten Gegenden kritisiert. Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass sein Rivale um die Kandidatur, Ministerpräsident Dominique de Villepin, ihn zuletzt in der Gunst der Wähler überholt hat.
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Ich warte immer noch dass kriminelle schweizer Banker aus Deutschland
ausgewiesen werden oder Einreiseverbot erhalten.
Denn Kriminelle sind halt Kriminelle egal ob sie weisse Krägen oder
Kapuzen tragen.
werden in der Schweiz Banker die nachweisslich kriminell sind - waren
ausgewiesen?
Oder erhalten sie einen Orden?
Ist jemals ein Banker ausgewiesen worden?
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Wieso muss es brennen bevor man Notiz nimmt?
Französische Rapper
Wutschreie aus dem Ghetto
Von Kim Rahir, Paris
Sie hätten nur einmal eine Rap-CD hören müssen: Politiker und Experten überraschte der Gewaltausbruch in den Vorstadtghettos - dabei besingen französische Rapper schon seit langem den Frust der Jugend in der Banlieue.
Der Ruf um Hilfe, der Schrei aus Wut, der bedrückende Alltag in einer Welt aus Verlassenheit und Gewalt, all das wird von den Ghettokünstlern in ihrem seltsam fließenden Stakkato auf ihre oft selbstproduzierten CDs gebannt. In gereimten Versen ist zu hören, was heute nächtens in den Trabantenstädten zu sehen ist. Ein Rapper sei "der Lautsprecher einer Generation, ein städtischer Journalist", sagt der Rapper Rost, und die Gruppe Psy 4 de la Rime (sprich: Psy quatre de la Rime, Anspielung auf "Psychiatre", also etwa: Psychiater des Reims) nennt ihre Musik und ihre Texte ein "SOS der Elendsviertel".
Rapper Medze: "Es gibt so viele verlorene Leben" |
Die Botschaft SOS - "Rettet unsere Seelen" - findet sich in vielen Texten nicht wieder. Im Gegenteil: "Sie werden lang am Boden enden, mit einer Kugel im Kopf, wenigstens endlich etwas drin, du hattest ja nichts in der Birne", singt der Rapper Rohff, der sich als "Hardcore"-Künstler versteht und seine musikalische Inspirationen bei US-Rappern wie dem 1996 erschossenen 2Pac sucht.
Wenn Rohff rappt: "Wieder ein Tag in der Vorstadt, nichts zu tun, wie immer", dann ist das der Alltag Zigtausender Jugendlicher ohne Hoffnung und der Nährstoff einer längst eigenständigen Kultur. Die Cliquen haben ihre eigene Sprache, manchmal ist sie schon von Wohnblock zu Wohnblock verschieden. Und da ihre Leben sich zum Verwechseln ähneln, kommen sie mit einem extrem begrenzten Vokabular aus. Manche Jugendliche leben mit einem Wortschatz von 400 Wörtern. Ein anderer Bestandteil dieser Kultur ist die Kleidung. Kapuzenpullover, Beutelhosen mit dem Schritt im Knie und monströse Markenturnschuhe mit offenen Schnürsenkeln sind die Uniform der unfreiwilligen Nichtstuer in den Wohnghettos.
"Das sind doch nur Missverständnisse"
"Es gibt so viele verlorene Leben, so viele begabte Leute, die keine Chance haben, keine Chance auf eine anständige Wohnung, auf eine anständige Arbeit", sagt der Rapper Medze (sprich: Mäds) im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Der 23-Jährige stammt aus Dole, einer 35.000-Einwohner-Stadt zwischen Besançon und Dijon im Osten Frankreichs. Auch er ist in einer "Banlieue" aufgewachsen, dabei ist seine aus Algerien stammende Familie schon in vierter Generation in Frankreich. Sein Urgroßvater kämpfte für Frankreich im Ersten Weltkrieg, sein Großvater im Zweiten Weltkrieg. Und trotzdem "haben wir einfach nicht die gleichen Chancen wie alle anderen", sagt Medze. Ihn wundert es nicht, dass die jungen Leute in den Wohnghettos "genervt" sind, auch wenn für ihn Gewalt keine Lösung ist. "Ich versuche, mit meiner Musik die Möglichkeit zu zeigen, aus all dem herauszukommen. Und wenn noch so viele Türen verschlossen sind, irgendeine Tür wird irgendwann aufgehen."
Dass andere Rapper ganz andere, aufrührerische Botschaften vermitteln, findet er nicht. "Das sind doch nur Missverständnisse, das sind Texte, die von 24-Jährigen geschrieben werden, mit künstlerischer Freiheit, und gehört wird die Musik dann von 14-Jährigen, die nehmen das alles zu wörtlich und verstehen das als Aufforderung zur Gewalt", sagt der junge Musiker.
So viel Interpretationsspielraum, wie Medze sich wünscht, gibt es nicht immer. "Denen muss man eine knallen", singt Rohff über Vorstadtmädchen, die sich an reiche Mafiosi hängen, und der Rapper Shurik'n textet: "Das blaue Auge, es ist besser du verteilst es, als du hast es". Auch die Behörden der Stadt Rouen in der Normandie zeigten wenig Verständnis für "künstlerische Freiheit" und stellten in diesem Jahr die Rap-Gruppe Sniper wegen "Aufruf zum Verletzen oder Töten von Polizeibeamten und Staatsvertretern" vor Gericht. Wegen der auf einem Konzert gesungenen Zeilen "Wir lassen uns nicht täuschen, wir sind heiß, unsere Mission ist die Ausrottung von Ministern und Faschos" drohen den Rappern bis zu fünf Jahre Haft.
Tristesse in der Cité
Viele Songs beschreiben einfach nur den tristen Alltag in der "Cité". Seit dem Ausbruch der Unruhen beklagen sich anonym interviewte Jugendliche immer wieder, sie würden von der Polizei schikaniert. Jene zwei Jungen, die auf der Flucht vor den Ordnungshütern in einem Trafohäuschen ums Leben kamen, seien auch nur weggelaufen, weil sie eine umständliche Ausweiskontrolle und das stundenlange Warten auf der Wache umgehen wollten, sagte ein Freund der beiden. Und genau davon ist auch in Rapsongs die Rede: "Geh bloß nicht ohne Papiere aus dem Haus, das kann den ganzen Abend verderben", heißt es bei Shurik'n.
Offenbar hat diese Botschaft der Rapper über das aussichtslose Dasein, das "vereiste Schicksal" (Rohff), über die Leidensgenossen hinaus niemanden erreicht. So sieht es jedenfalls die Gruppe Psy 4 de la Rime: "Es will doch niemand wissen, warum die Leute Autos kaputtschlagen und Shit rauchen oder verkaufen. Über den Rap könntest du nämlich all diese netten Antworten finden", sagten sie im Interview mit einem Internet-Musikmagazin nur drei Wochen vor dem Beginn der Krawalle.
Die Jungs aus den Cités dagegen wissen genau, um was es geht: "Ich sag dir ja nichts, was du nicht schon kennst", intoniert der Rapper Le Rat Luciano (Die Ratte Luciano), der in seinem Song "Wir gegen sie" einen Dialog mit der Welt draußen schon längst nicht mehr anstrebt: "Fick den Staat, Minister, Bullen und ihre Festnahmen." Ihre Lieder sind "pour les mecs des blocs" (für die Jungs aus den Blocks), singen auch Psy 4 de la Rime.
Islam als Rettungsanker
In dieser Welt der Ausgestoßenen ist für viele Jugendliche der Islam ein Rettungsanker, und auch in vielen Rapsongs wird Allah angerufen. Das sei für viele nur der verzweifelte Versuch, sich mit irgendetwas zu identifizieren, sagt der Rapper Akhenaton. Der Musiker, der sich nach dem ägyptischen Gott Echnaton benannt hat, kommt aus Marseille und ist Sohn italienischer Einwanderer. Er sei nach intensiver Lektüre zum Islam übergetreten, "aber die Einwandererkinder klammern sich an etwas Starkes in ihrer Kultur und wenden sich dem Islam eher in einer Art Reaktion zu, als aus Überzeugung. Diese werden dann Opfer demagogischer Interpretationen des Islams", meint Akhenaton, der mittlerweile so anerkannt ist, dass er schon Filmmusik für Luc Besson schreiben durfte.
Eine solche Chance ist nämlich eine weitere Facette des Rap, der nicht nur Wutgeschrei und Frustgeheul ist. "Für viele Musiker ist das die Möglichkeit, aus der Vorstadt rauszukommen", sagt Medze, und das, obwohl Leute wie Shurik'n die Zahl ihrer Stammhörerschaft gerade mal auf 40.000 schätzen. Doch der Rapper sieht Anlass zur Hoffnung: "Immer wenn du mehr als 40.000 Platten verkaufst, erreichst du Leute außerhalb der üblichen Fangemeinde, wir müssen so viele Menschen wie möglich ansprechen."
Auch Rost will mit seinen Liedern mehr erreichen, "der Sprecher all derjenigen sein, die kein Rederecht haben". Intoniert wird, die Vorstadtjugendlichen hätten außer dem Rap und dem Abfackeln von Autos kaum Möglichkeiten, ihre Meinung zu äußern. Medze wünscht sich daher, "es müsste eine Debatte geben, eine wirkliche Debatte. Ständig sind irgendwelche Diskussionen im Fernsehen, mit Politikern und Journalisten, aber die Betroffenen, die sind nie dabei".
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?Nun bekommen wir die Quittung?
Der französische Kommunalpolitiker Xavier Lemoine über die Ausschreitungen in Clichy und die Krawalle im ganzen Land
Jean-Marie Dumont
Herr Lemoine, waren Sie überrascht, als am 27. Oktober in Clichy die gewalttätigen Unruhen ausbrachen?
Lemoine: Nein. Seit einigen Monaten schon schwelten Spannungen in diesen Vierteln. Der Tod zweier Jugendlicher war genau der Funke, um das Pulverfaß zum Explodieren zu bringen.
Es bestanden schon Spannungen zwischen Jugendbanden und den Ordnungskräften?
Lemoine: Es gab ständige Spannungen, sei es innerhalb der Gemeinschaften oder gegenüber den staatlichen Institutionen und gewissen Bevölkerungsteilen.
Mittlerweile haben die Krawalle in Clichy Unruhen im ganzen Land ausgelöst.
Lemoine: Wir haben hier im Raum Paris drei Wellen der Gewalt beobachtet. An den ersten Abenden sind die 14- bis 20jährigen auf die Straße gezogen. Danach folgten die 20- bis 30jährigen. Diese Täter sind nicht nur älter, sondern auch weniger zahlreich, dafür mobiler. Sie bewegen sich in kleineren Gruppen ? was nicht heißen soll, daß die Zerstörungen weniger schwerwiegend waren. Bei der dritten Wellen haben wir es nun mit überaus mobilen Gruppen zu tun, die sich im Auto fortbewegen und in der Lage sind, Autos sehr schnell in Brand zu stecken ? mit Hilfe von Waffen, die sie offenbar selbst hergestellt haben. Da wäre zum Beispiel eine Art Kugel, die nicht explodiert, wenn man sie aber unter ein Auto plaziert, fängt es sofort Feuer.
Wie kommunizieren diese Personen untereinander? Handelt es sich um ein organisiertes Netzwerk?
Lemoine: Es wäre illusorisch zu glauben, daß ein einziger Kopf das Ganze dirigiert. Doch diese Formlosigkeit hat eine Form, die durch das Ereignis entsteht. Zum Beispiel: Eine Tränengasgranate wurde in der Nähe einer Moschee abgeschossen, daraufhin verbreiteten alle Jugendlichen, die sich im Viertel aufhielten, etwa in den Restaurants und Kneipen, die Nachricht über ihre Mobiltelefone. So wird ein Lauffeuer in Gang gesetzt, das von sehr schnellen Mobilisierungs- und Verbreitungsmöglichkeiten zeugt.
Wer sind diese Jugendlichen?
Lemoine: Es sind ganz unterschiedliche Menschen. Von der sozialen Lage einmal abgesehen herrscht bei ihnen aber ein allgemeines Ressentiment gegenüber den französischen Institutionen vor. In einigen Fällen sind es Personen, die die französische Sprache auf hoher semantischer und dialektischer Ebene beherrschen.
?Da entsteht die Vorstufe ethnischer Milizen?
Was motiviert sie zu diesen Gewalttaten?
Lemoine: Seit Jahren lassen wir eine Kluft immer größer werden, und zwar mit Hilfe des Wortes ?Integration? ? das alles und nichts heißt. Man meint, bei den Bürgern Verantwortungsbewußtsein zu wecken, indem man ihnen immer mehr Rechte gibt. 25 Jahre lang hat man das Recht auf Differenz propagiert. Dem setzt die französische Gesellschaft jetzt das Recht auf Indifferenz, auf Gleichgültigkeit entgegen. Indem wir die Idee vermittelten, daß alles gleichermaßen gilt, daß allem derselbe Wert beizumessen ist, haben wir diese Jugendlichen in ihren vielfältigen und unterschiedlichen Partikularismen bestärkt. Wir haben vergleichsweise niedrige Anforderungen an sie gestellt. Seit langem bildet sich infolge dessen ein ausgeprägtes Opferbewußtsein heraus: Der Kolonialismus ist schuld, die Armut, der Liberalismus, der Westen, der Kapitalismus, der Große Satan. Dies ist die Kultur, mit der wir diese Jugendlichen umgeben haben. Gleichzeitig haben wir zu erkennen gegeben, daß die Gesellschaft mit ihnen eigentlich nichts anfangen kann. ? Nun bekommen wir die Quittung dafür, daß wir dreißig Jahre lang bestimmte Fragen nicht stellen wollten oder sie, wenn sie doch gestellt wurden, nicht beantworten wollten.
Manipulieren die Rädelsführer mittels dieser Ressentiments?
Lemoine: Eine solche Manipulation existiert durchaus. Vor allem aber glaube ich, daß die Jugendlichen sich selber manipulieren. Sie sind Opfer. Ein Opfer manipuliert sich ganz alleine. Es hat niemals schuld. Schuld hat immer der andere. Dem Opfer mangelt es stets an irgend etwas. Niemals wird die Frage gestellt: ?Und ich, worin liegt mein Teil der Verantwortung an dem, was mir zustößt??
Welcher Zusammenhang besteht zwischen den derzeitigen Ausschreitungen und dem Islam als Religion?
Lemoine: Zweifellos haben muslimische Kulturverbände auf die eine oder andere Weise eine bedeutende, um nicht zu sagen herausragende Rolle gespielt. Sie haben sich einerseits um eine Beruhigung der Situation bemüht, zum anderen die Gewalt zu rechtfertigen versucht ? der Diskurs des Opferbewußtseins. Eine große Mehrheit derer, die zur Mäßigung aufgerufen haben, handelte aus ehrlicher Überzeugung. Doch bei einigen bin ich nicht sicher, ob es sich nicht um eine taktische Haltung handelt. Mit anderen Worten, sie halten die Stunde für noch nicht gekommen, in der sie sicher sein können, die Festung einzunehmen. In Montfermeil gibt es mehrere muslimische Glaubensstätten und Verbände. Diese Gemeinden haben Ordnungsdienste, die eingeschritten sind, um die Ruhe wiederherzustellen, wie ?große Brüder?. Die Bürgermeister sind sich der Gefahr bewußt, die sich aus dieser Lösung ergibt, und über dieses Thema wird eine Debatte geführt. Denn manche sind der Meinung, es müsse nicht nur eine Rückkehr zur Ordnung stattfinden, sondern sie müsse zudem mit den Mitteln der Republik herbeigeführt werden ? und nicht mit Hilfe der muslimischen Verbände. Die anderen sehen keine andere Möglichkeit, als die ?großen Brüder? zu mobilisieren. Angesichts der allgemeinen Erregung ist diese Reaktion verständlich, angemessen ist sie nicht. Ich persönlich meine, daß es Aufgabe der Polizei ist, den Erhalt der Ordnung sicherzustellen. Ich bin kein Befürworter des ?große Brüder?-Systems, das eine Vorstufe ethnischer Milizen darstellt.
Wie funktioniert dieses System?
Lemoine: Es besteht darin, daß man die ältesten Söhne von Familien aus den betroffenen Orten damit beauftragt, durch ihre Autorität über die Jüngeren für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Es tut mir leid, aber ich meine, daß ein Kontrolleur der öffentlichen Verkehrsbetriebe in der Lage sein muß, seine Arbeit in den Banlieues genauso wie in Paris zu machen. Es geht nicht an, daß große Brüder die Aufgaben von Kontrolleuren oder Polizisten übernehmen. Der Vorstellung, daß Ordnung herrsche, sobald die Polizei oder die Repräsentanten des Staates sich nicht blicken lassen, habe ich stets widersprochen. Jedoch hat diese Vorstellung viele Fürsprecher ? in der Städtepolitik galt das ?große Brüder?-System lange Zeit als Allheilmittel. Dabei ist eine solche Argumentation extrem gefährlich.
?Unsere Vorstädte: Ein Ghetto neben dem anderen?
Kommt es zur Ghettobildung und Entstehung von Parallelgesellschaften? Haben diese Phänomene mit der Struktur des städtischen Raums zu tun?
Lemoine: Unsere Vorstädte bestehen aus einem Ghetto neben dem anderen. Zunehmend bilden sich Parallelgesellschaften, die autark organisiert sind. Die Verstädterung ist sehr ausgeprägt, allerdings findet dieser Prozeß auch in anderen Städten statt, ohne Gewalttaten auszulösen. Die Probleme am Fuß eines Hochhauses rühren nicht daher, daß das Hochhaus zehn Stockwerke hat. Einigen wir uns darauf, daß dies verschärfend hinzukommt, wenn die soziale Situation sich verschlechtert. Es gilt energisch einzugreifen, um wieder einen Wohnraum zu schaffen, der dem menschlichen Maßstab gerechter wird. Ich stimme da völlig mit den Zielen des Ministers für Arbeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Wohnungsbau, Jean-Louis Borloo, zur städtischen Erneuerung überein. Allerdings ausreichend ist das noch nicht. Tatsächliche Änderungen können meines Erachtens nur im kulturellen Bereich stattfinden. Alles andere ? Bildungspolitik, Stadtentwicklung etc. ? ist wie gesagt wichtig, reicht aber nicht aus.
Können Sie das genauer erläutern?
Lemoine: Die französische Gesellschaft, so wie sie geschichtlich gewachsen ist ? bildet sie den Bezugsrahmen für die Bevölkerungsschichten, die in diesen Vororten leben? Wird sie nicht vielmehr in Frage gestellt oder gar abgelehnt, was zu einer Abschottung vom Rest der Gesellschaft führt? Dabei hat die französische Gesellschaft 1.500 Jahre der Kultur, der Geschichte zu bieten. Sie hat etwas zu sagen und zu lehren.
?Wir sind in Frankreich, nicht in Timbuktu?
Glauben Sie, daß die Integrationspolitik insgesamt gescheitert ist?
Lemoine: Ich bin nicht sicher, ob wir diesen Jugendlichen die Gründe vermittelt haben, Frankreich zu lieben. Durch das ?Unterschichtsfernsehen? oder durch die allgegenwärtige Werbung, die für strenggläubige Jugendliche oft schockierend ist, bringt man sie nicht dazu, Frankreich zu lieben. Je mehr solche Klischees sich verbreiteten, desto mehr mußte die Kultur, aus der diese Jugendlichen stammten, ihnen als eine mögliche Zuflucht erscheinen ? zumindest als der Dekadenz vorzuziehen, die sie um sich herum wahrnehmen. Was haben wir ihnen gegeben, das sie lieben können? Der menschliche Wert dieser Jugendlichen ist unanfechtbar. Es geht nicht darum, ihn zu mindern. Ob es uns jedoch gefällt oder nicht, wir sind in Frankreich. Wir sind nicht in Timbuktu oder in Sydney. Wir sind in Frankreich, einem Staat, der von einer Kultur geformt worden ist. Dieser Kultur ist es im Falle aller Migrationen, die Frankreich erlebt hat, gelungen, das aufzunehmen, was sie aufnehmen wollte, und zurückzuweisen, was sie zurückweisen wollte. Man kann uns nicht eine Weltsicht aufzwingen, die nicht die unsere ist. Die Forderung nach völliger Autonomie entspricht nicht der Tradition Frankreichs. Die angelsächsische Tradition kennt eine andere Entwicklung: das Nebeneinander der Gemeinschaften, die sich zunächst von innen organisieren und dann über das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Gemeinschaften nachdenken. Das ist nicht das französische Modell. Deshalb kommt es zu diesen Zusammenstößen. Auf die Spitze getreiben führt das Recht auf Differenz zur Indifferenz. Wenn diese Menschen alle ihre Gesetze und Gebräuche anwenden wollen, müssen sie auch ihre eigene Argumentation zu Ende denken und dürfen von der französischen Gesellschaft nicht erwarten, daß sie ihnen eine Arbeit gibt. Eine Konsequenz daraus ist sicherlich, daß auch diejenigen, die sich an die Spielregeln halten, benachteiligt werden.
?Die Ablehnung dessen, was Frankreich ist?
Welche Bedeutung messen Sie den jüngsten Ereignissen zu? Werden sie einen Bewußtseinswandel auslösen? Welche Maßnahmen sind mittel- und langfristig zu ergreifen?
Lemoine: Ich bin nicht sicher, daß in den zahlreichen Interviews und Debatten der letzten Tage die eigentlichen Fragen gestellt worden sind. Hat Frankreich die Kapazität, weiterhin jedes Jahr 130.000 bis 160.000 neue Einwanderer aus dem Ausland aufzunehmen? Ich bin mir darüber nicht sicher. Was ist das französische Gesellschaftsmodell? Was ist Frankreich? Fängt es 1789 an? Ist nicht auch Chlodwig Frankreich ? oder zumindest beides zugleich? Was bedeutet das französische Modell der Laizität? Ist es eine echte oder eine verkappte Laizität?
Liegt auf solchen Fragen nicht eine ?ideologische Bleiplatte?, die verhindert, daß sie gestellt werden?
Lemoine: Gewisse Personen tragen eine schwere Verantwortung dafür, daß man solche Fragen nicht mehr stellen kann. Indem sie sich ihrer auf übelste Weise bemächtigt haben, haben sie sie völlig diskreditiert. Das ist das Drama, das wir derzeit erleben. Bestimmte Fragen sind mit Tabus belegt, weil mit ihnen Mißbrauch betrieben worden ist. Frankreich steht im weltweiten ökonomischen Wettbewerb. Wir haben die äußerst schlechte Idee gehabt, die 35-Stunden-Woche einzuführen, und dadurch die Arbeitskosten erhöht. Außerdem haben wir die Menschen glauben gemacht, daß Arbeit keinen Wert mehr hat. Bedenken Sie, daß wir in Montfermeil eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent haben, in den benachteiligten Wohngebieten 40 Prozent. Jedes Jahr lassen wir über 100.000 Menschen nach Frankreich kommen, die keinerlei Qualifikationen haben. Dabei ist bekannt, daß sämtliche unqualifizierten Stellen dabei sind, in die osteuropäischen Staaten oder, noch schlimmer, nach China abzuwandern. Dementsprechend sind in Frankreich hochqualifizierte Menschen gefragt und keine ungelernten Arbeitskräfte: Nur fünf Prozent der Einwanderer haben einen Berufsabschluß. Zudem ist der Sozialhilfesatz bei uns höher als das Anfangsgehalt, das man ohne Qualifikationen erhält. Wer Sozialhilfe bezieht, ist von vielen Abgaben befreit. So lebt es sich besser, als zum gesetzlichen Mindestlohn eine Arbeit aufzunehmen und Steuern zu zahlen. Die Parallelgesellschaften, die Abkapselung und die Absage an die westliche Welt sind Realitäten. An dieser Feststellung führt kein Weg vorbei. Es heißt, die kulturellen Unterschiede bereicherten Frankreich. Gewiß tun sie das! Doch die Ablehnung dessen, was Frankreich ist, bereichert das Land nicht.
Xavier Lemoine ist Bürgermeister von Montfermeil, der Nachbar-gemeinde des Pariser Vororts Clichy, wo am 27. Oktober die Unruhen ausgebrochen sind, die sich mittlerweile über ganz Frankreich ausgebreitet haben. Außerdem ist er Präsident der Verbandsgemeinde Clichy-sous-Bois, zu der Clichy und Montfermeil gehören. Geboren wurde Lemoine 1960 in Boulogne-Billancourt bei Paris, er ist Mitglied der bürgerlichen Regierungspartei UMP.
Bisherige Bilanz der Unruhen: Bei den Ausschreitungen in Frankreich sind bis zum Dienstag dieser Woche zahlreiche Leicht-, vier Schwerverletzte und ein Toter zu beklagen. Ein 60jähriger wurde erschlagen, ein Feuerwehrmann erlitt ? von einem Brandsatz getroffen ? schwere Verbrennungen, ebenso eine behinderte Frau, die mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt worden war. Polizisten wurden gezielt mit Jagdgewehren beschossen, zwei Beamte dabei schwer verwundet. Insgesamt wurden bislang 77 Polizeiangehörige und 36 Angehörige der Rettungsdienste verletzt. Etwa 6.500 Autos gingen in Flammen auf, Dutzende Gebäude ? darunter auch Kirchen und soziale Einrichtungen ? wurden in Brand gesteckt und Hunderte von Arbeitsstätten vernichtet.
In Frankreich boomt absurde Revolutionsfolklore
Christian Schütte: Verstehe, wer will
von Christian Schütte
Angesichts der Krawalle Christian Schütte: Verstehe, wer will
von Christian Schütte
Angesichts der Krawalle in Frankreich boomt eine absurde Revolutionsfolklore.
Für ein Kind mit einem Hammer sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus. Für einen geschulten Revolutionstheoretiker ist die ganze Weltgeschichte eine Geschichte von sozialen Macht- und Emanzipationskämpfen.
Ziehen also Kinder randalierend durch die Straßen, dann erkennt der Theoretiker sogleich wohlig schaudernd ein neues Kapitel seines historischen Revolutionsepos.
Absurd? Nicht in Frankreich, nicht in diesen Tagen.
Die anhaltende Gewalt in den französischen Vorstädten, wo fast ausschließlich maghrebinische und schwarzafrikanische Zuwanderer der zweiten und dritten Generation leben, müsste eigentlich viele vermeintliche Gewissheiten über Integrationspolitik in Frage stellen. Die Bewohner der brennenden Banlieues haben einen französischen Pass, sie sind formal völlig gleichberechtigte Bürger der Republik. Doch ihre Viertel versinken seit Jahren in Arbeitslosigkeit und Kriminalität, sie waren schon lange vor den Krawallen zu "No-go-Areas" geworden, die von den Taxifahrern nur noch gegen eine ordentliche Risikoprämie angesteuert wurden.
Ewig lebt der Volksaufstand
Man könnte also meinen, eine Zeit der unbequemen, weil sehr konkreten Selbstbefragung in der Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik wäre nun gekommen. Und es würde vielleicht sogar einmal diskutiert, wie es denn möglich ist, dass sich ausgerechnet in Frankreich, dem stolzesten Leuchtturm des "europäischen Sozialmodells", nächtliche Szenen abspielen, die Europäer bislang nur im wilden Kapitalismus Amerikas für möglich hielten: Schüsse auf Polizisten, Brandsätze gegen Schulen, Rathäuser und Fabriken, auch gegen eine Behinderte im Linienbus. "Car-B-Ques" als Trendsportart.
Doch nichts davon. Manche intellektuelle Begleitmusik zu den Krawallen klingt so, als würde wieder eine alte Lieblingsplatte aufgelegt, die leider schon ein paar Sprünge hat.
Es handele sich eben einmal mehr um eine "Revolte", so lautet die auf vielen Kanälen zu hörende Grundmelodie, um eine Fortsetzung jener Volksaufstände, die besonders in Frankreich eine so große Tradition haben - vom Sturz der Monarchie 1789ff. bis zum wilden Mai 1968.
Nun kämpfen also chancenlose Immigrantenkinder gegen rassistische "Autochthone", die Macht und Wohlstand nicht teilen wollen. Das Kollektiv der Ausgegrenzten vor den Toren erhebt sich gegen die glitzernde Metropole.
Ja, ja, die Mittel sind hässlich, auf jeden Fall verwerflich, schärfstens zu verurteilen. Aber so ist es eben immer: "Die Revolution ist kein Deckchensticken, die Revolution ist ein Akt der Gewalt", lehrt Mao Zedong.
Individuelle Handlungsspielräume, Chancen und Verantwortung kommen in dieser großen Erzählung gar nicht erst vor. Die Rollenzuschreibungen sind so unverrückbar wie die Postleitzahlbezirke und der Beton in der Banlieue (weshalb auch gleich die Architekten der Vorstädte wegen Beihilfe zur Unterdrückung auf der Anklagebank sitzen).
Dass die revolutionären Subjekte als ein meist minderjähriger Mob daherkommen und keine Ahnung haben, wie es für sie weitergehen soll, stellt die "Revolten"-Folklore keineswegs infrage: "Das Projekt der Aufrührer ist, wie immer, ein Reflex des Projekts der Eliten", analysiert der Publizist und frühere sozialistische Präsidentenberater Jacques Attali. Weil den Eliten jede Leitidee fehle, sei eben heute - anders als '68 - auch die Herausforderung nihilistisch.
Für Attali und andere ist das Geschehen denn auch "überhaupt keine Überraschung". Auch die Globalisierungskritiker von Attac-Frankreich haben es immer schon gewusst: "Die Situation ist das direkte Ergebnis der seit 30 Jahren betriebenen neoliberalen Politik", schreiben sie in einem Kommuniqué, die brennenden Vorstädte zeigten "das Gesicht eines Laboratoriums des wilden Liberalismus" weltweit.
Man könnte solche Parolen getrost ignorieren, würden sie nicht unweigerlich zu verqueren und verfehlten politischen Rezepten führen: Am Ende ist alles wieder mal nur ein Verteilungsproblem, und es muss nur mehr Staatsknete in die Vorstädte fließen. Der französische Staat setzt zwar schon bisher für 1500 urbane Förderzonen 10 Mrd. Euro im Jahr ein. Aber man könnte das Geld natürlich noch kreativer und großzügiger ausgeben.
Jacques Attali etwa, ehemals auch Chef der Osteuropabank, empfiehlt, den Jugendlichen direkt die Mittel zur Finanzierung ihrer eigenen Projekte zur Verfügung zu stellen. Die so geförderten Jungunternehmer könnten "eines Tages diejenigen ersetzen, die sich heute der staatlichen Abgabenlast entziehen". Fantastisch.
Machtkampf innerhalb der Vorstadt
Was im Märchen von der Revolte gar nicht vorkommt, sind die Opfer und die Folgen der Gewalt. Die Abwärtsspirale in den Vorstädten hat sich vor allem deshalb so beschleunigt, weil jeder flieht, der es sich leisten kann. Der entscheidende Machtkampf findet seit langem Tag für Tag innerhalb der Problemviertel statt: zwischen "jugendlichen Randalierern" und denjenigen, die normale oder wenigstens erträgliche Lebensumstände zu erhalten versuchen.
Letztere Gruppe ist seit Jahren auf dem Rückzug. Wie alltäglich Bedrohungen, Vandalismus, und Kriminalität geworden sind, zeigt schon eine einzige Zahl vom Wochenende. Landesweit wurden in der Nacht auf Sonntag 285 Autos angezündet - "eine normale Lage für einen Samstagabend", erklärte ein Polizeisprecher.
Und den Schaden haben nicht nur die Opfer vor Ort. Er trifft auch all die fremdländisch Aussehenden, die derzeit so gern der heroischen Klasse der "Verdammten" zugerechnet werden. "Wenn all das wieder vorbei ist, werde ich mit meinem Vornamen Ali für ihre Taten (die der Randalierer) hinhalten müssen und die weiter verschärfte Ausländerdiskriminierung ertragen müssen", kritisiert in einem lesenswerten Weblog der "Zeit" ein junger Mann, der selbst aus einer Zuwandererfamilie stammt.
Christian Schütte ist Kommentarchef der FTD. Er schreibt jeden zweiten Montag an dieser Stelle.
Aus der FTD vom 14.11.2005
© 2005 Financial Times Deutschland
e.
Für ein Kind mit einem Hammer sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus. Für einen geschulten Revolutionstheoretiker ist die ganze Weltgeschichte eine Geschichte von sozialen Macht- und Emanzipationskämpfen.
Ziehen also Kinder randalierend durch die Straßen, dann erkennt der Theoretiker sogleich wohlig schaudernd ein neues Kapitel seines historischen Revolutionsepos.
Absurd? Nicht in Frankreich, nicht in diesen Tagen.
Die anhaltende Gewalt in den französischen Vorstädten, wo fast ausschließlich maghrebinische und schwarzafrikanische Zuwanderer der zweiten und dritten Generation leben, müsste eigentlich viele vermeintliche Gewissheiten über Integrationspolitik in Frage stellen. Die Bewohner der brennenden Banlieues haben einen französischen Pass, sie sind formal völlig gleichberechtigte Bürger der Republik. Doch ihre Viertel versinken seit Jahren in Arbeitslosigkeit und Kriminalität, sie waren schon lange vor den Krawallen zu "No-go-Areas" geworden, die von den Taxifahrern nur noch gegen eine ordentliche Risikoprämie angesteuert wurden.
Ewig lebt der Volksaufstand
Man könnte also meinen, eine Zeit der unbequemen, weil sehr konkreten Selbstbefragung in der Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik wäre nun gekommen. Und es würde vielleicht sogar einmal diskutiert, wie es denn möglich ist, dass sich ausgerechnet in Frankreich, dem stolzesten Leuchtturm des "europäischen Sozialmodells", nächtliche Szenen abspielen, die Europäer bislang nur im wilden Kapitalismus Amerikas für möglich hielten: Schüsse auf Polizisten, Brandsätze gegen Schulen, Rathäuser und Fabriken, auch gegen eine Behinderte im Linienbus. "Car-B-Ques" als Trendsportart.
Doch nichts davon. Manche intellektuelle Begleitmusik zu den Krawallen klingt so, als würde wieder eine alte Lieblingsplatte aufgelegt, die leider schon ein paar Sprünge hat.
Es handele sich eben einmal mehr um eine "Revolte", so lautet die auf vielen Kanälen zu hörende Grundmelodie, um eine Fortsetzung jener Volksaufstände, die besonders in Frankreich eine so große Tradition haben - vom Sturz der Monarchie 1789ff. bis zum wilden Mai 1968.
Nun kämpfen also chancenlose Immigrantenkinder gegen rassistische "Autochthone", die Macht und Wohlstand nicht teilen wollen. Das Kollektiv der Ausgegrenzten vor den Toren erhebt sich gegen die glitzernde Metropole.
Ja, ja, die Mittel sind hässlich, auf jeden Fall verwerflich, schärfstens zu verurteilen. Aber so ist es eben immer: "Die Revolution ist kein Deckchensticken, die Revolution ist ein Akt der Gewalt", lehrt Mao Zedong.
Individuelle Handlungsspielräume, Chancen und Verantwortung kommen in dieser großen Erzählung gar nicht erst vor. Die Rollenzuschreibungen sind so unverrückbar wie die Postleitzahlbezirke und der Beton in der Banlieue (weshalb auch gleich die Architekten der Vorstädte wegen Beihilfe zur Unterdrückung auf der Anklagebank sitzen).
Dass die revolutionären Subjekte als ein meist minderjähriger Mob daherkommen und keine Ahnung haben, wie es für sie weitergehen soll, stellt die "Revolten"-Folklore keineswegs infrage: "Das Projekt der Aufrührer ist, wie immer, ein Reflex des Projekts der Eliten", analysiert der Publizist und frühere sozialistische Präsidentenberater Jacques Attali. Weil den Eliten jede Leitidee fehle, sei eben heute - anders als '68 - auch die Herausforderung nihilistisch.
Für Attali und andere ist das Geschehen denn auch "überhaupt keine Überraschung". Auch die Globalisierungskritiker von Attac-Frankreich haben es immer schon gewusst: "Die Situation ist das direkte Ergebnis der seit 30 Jahren betriebenen neoliberalen Politik", schreiben sie in einem Kommuniqué, die brennenden Vorstädte zeigten "das Gesicht eines Laboratoriums des wilden Liberalismus" weltweit.
Man könnte solche Parolen getrost ignorieren, würden sie nicht unweigerlich zu verqueren und verfehlten politischen Rezepten führen: Am Ende ist alles wieder mal nur ein Verteilungsproblem, und es muss nur mehr Staatsknete in die Vorstädte fließen. Der französische Staat setzt zwar schon bisher für 1500 urbane Förderzonen 10 Mrd. Euro im Jahr ein. Aber man könnte das Geld natürlich noch kreativer und großzügiger ausgeben.
Jacques Attali etwa, ehemals auch Chef der Osteuropabank, empfiehlt, den Jugendlichen direkt die Mittel zur Finanzierung ihrer eigenen Projekte zur Verfügung zu stellen. Die so geförderten Jungunternehmer könnten "eines Tages diejenigen ersetzen, die sich heute der staatlichen Abgabenlast entziehen". Fantastisch.
Machtkampf innerhalb der Vorstadt
Was im Märchen von der Revolte gar nicht vorkommt, sind die Opfer und die Folgen der Gewalt. Die Abwärtsspirale in den Vorstädten hat sich vor allem deshalb so beschleunigt, weil jeder flieht, der es sich leisten kann. Der entscheidende Machtkampf findet seit langem Tag für Tag innerhalb der Problemviertel statt: zwischen "jugendlichen Randalierern" und denjenigen, die normale oder wenigstens erträgliche Lebensumstände zu erhalten versuchen.
Letztere Gruppe ist seit Jahren auf dem Rückzug. Wie alltäglich Bedrohungen, Vandalismus, und Kriminalität geworden sind, zeigt schon eine einzige Zahl vom Wochenende. Landesweit wurden in der Nacht auf Sonntag 285 Autos angezündet - "eine normale Lage für einen Samstagabend", erklärte ein Polizeisprecher.
Und den Schaden haben nicht nur die Opfer vor Ort. Er trifft auch all die fremdländisch Aussehenden, die derzeit so gern der heroischen Klasse der "Verdammten" zugerechnet werden. "Wenn all das wieder vorbei ist, werde ich mit meinem Vornamen Ali für ihre Taten (die der Randalierer) hinhalten müssen und die weiter verschärfte Ausländerdiskriminierung ertragen müssen", kritisiert in einem lesenswerten Weblog der "Zeit" ein junger Mann, der selbst aus einer Zuwandererfamilie stammt.
Christian Schütte ist Kommentarchef der FTD. Er schreibt jeden zweiten Montag an dieser Stelle.
Aus der FTD vom 14.11.2005
© 2005 Financial Times Deutschland
Frankreich | 26.10.2006
Gewalt kehrt nach Paris zurück
Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Wie im Vorjahr wurde ein Bus in Brand gestecktNeue Krawalle in Pariser Vororten beunruhigen Frankreich. Viele Franzosen fürchten eine Wiederholung der Vorstadtunruhen des Vorjahres. Ein Soziologe macht einen "Willen zum Töten" bei einigen Jugendlichen aus.
In mindestens drei Vororten der französischen Hauptstadt Paris haben sich in der Nacht zum Donnerstag neue Krawalle ereignet. In zwei Fällen wurden dabei nach Mitteilung der Pariser Verkehrsbetriebe von maskierten Männern Linienbusse angegriffen und in Brand gesetzt. Zuvor hätten die mit Schlagringen bewaffneten Täter Passagiere und Busfahrer aussteigen lassen. Die Vorfälle ereigneten sich in Bagnolet und in Nanterre westlich der Hauptstadt.
Auch in Grigny im Departement Essonne südwestlich von Paris registrierte die Polizei Zwischenfälle. Etwa 50 Personen hätten vorbeifahrende Autos mit Steinen beworfen. Mehrere Jugendliche hätten versucht, einen Autobus zu attackieren, der aber von Sicherheitskräften geschützt werden konnte. Im Departement Essonne werden nach Angaben der Verkehrsgesellschaft aus Sicherheitsgründen gefährdete Gebiet nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr von Linienbussen angefahren. Die Bereiche würden umfahren.
Historische Unruhen
<!-- width= Bildbreite +2-->Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Bilder von brennenden Autos in Paris gingen im Herbst 2005 um die Welt
An diesem Freitag jährt sich der Beginn schwerer wochenlanger Krawalle in Pariser Vorstädten. Damals waren in 300 Städten mehr als 10.000 Fahrzeuge sowie 300 Schulen, Bibliotheken und andere öffentliche Gebäude in Flammen aufgegangen. Die Nächte vom 27. Oktober bis zum 17. November vergangenen Jahres sind als "Vorstadtunruhen" in die französische Geschichte eingegangen. Anlass der Krawalle war der Tod zweier Jugendlicher aus der nordwestlich von Paris gelegenen Banlieu Clichy-sous-Bois, die auf der Flucht vor der Polizei in einer Trafo-Station ums Leben kamen.
Der Schaden der Gewalttaten belief sich auf 150 Millionen Euro. 10.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz, rund 150 wurden verletzt. Die Regierung rief schließlich den Ausnahmezustand aus. Knapp 5500 Personen wurden festgenommen, darunter 550 Minderjährige.
Als Reaktion auf die Unruhen startete die Regierung zahlreiche Programme zur Jobvermittlung, zur Verbesserung der Wohnsituation und gegen die Diskriminierung. Dennoch hat die Gewalt gegen die Sicherheitskräfte in den vergangenen Wochen wieder zugenommen.
"Es gibt einen Willen zum Töten"
Seit den Vorstadtunruhen vor einem Jahr habe die Gewaltbereitschaft einiger Jugendlicher gegen die Polizei sogar noch zugenommen, warnt der französische Soziologe und Sicherheitsexperte Sebastian Roche. Es gebe bei manchen Schlägern einen Willen zum Töten. Ein Grund für die Zuspitzung sei, dass Innenminister Nicolas Sarkozy aus einer menschlichen Polizei eine "Polizei der Verhaftungen" gemacht habe, sagte Roche der Nachrichtenagentur AP.
Nichts hat sich geändert
"Die Wut kommt von der schulischen und wirtschaftlichen Frustration, der Gewissheit, einer Minderheit anzugehören", sagte Roche. Die Frage sei, warum die Wut an der Polizei ausgelassen werde, die ja für die Probleme nicht verantwortlich sei. "Erster Grund: Die Beamten stellen eine Form der Autorität dar, über die man 'stolpert', wenn man randaliert. Zweiter Grund: Die Polizei hat vergessen, sich für die Vororte und ihre Bewohner zu interessieren." Es habe eine "Polizei der Nähe" gegeben, die 2002 von Innenminister Nicolas Sarkozy abgeschafft wurde. Er habe damit die Chance aufgeben, eine Beziehung zwischen den Beamten und der benachteiligten Bevölkerung herzustellen.
In Frankreich herrschen nun vor dem Jahrestag des Beginns der Vorstadt-Krawalle Sorge und Unbehagen. Sorge, weil ein Flächenbrand wie die dreiwöchigen Unruhen im vergangenen Jahr jederzeit wieder möglich ist; und Unbehagen, weil sich alle Experten einig sind, dass sich an der Lage in den vorwiegend von Einwanderern bewohnten Vorstädten seit den Ausschreitungen im Herbst 2005 im Grunde nichts geändert hat. Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Gewalt beherrschen das Leben in diesen Ghettos - und die Regierung reagiert mit verschärfter Repression. (mas)
Optionen
Kurzum: Man müsste für diese Herrschaften mehr Psychologen einsetzen - oder?