Dr. Eschelbach, Richter im 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes
Zitat Die Religionsgemeinschaften fordern hingegen von dem Säugling oder Kind im Rahmen einer alleine oder jedenfalls zuvörderst für die Erwachsenen veranstalteten rituellen Veranstaltung ein irreversibles Opfer an Körpersubstanz (Borkenhagen/Brähler/Franz Intimmodifikationen 2010, 183, 195), das von dem noch nicht einwilligungsfähigen Säugling oder Kind als endgültige körperliche Stempelung erbracht werden soll und dieses zum Objekt der Handlung macht (Czerner ZKJ 2012, 374, 380, 381; Staudin- ger/Coester BGB § 1666 Rn 126).
Zitat Der Staat bewertet nicht den Glauben, sondern nur das Verhalten und zwar nach weltlichen Maßstäben, auch wenn das Verhalten religiös motiviert ist (BVerfGE 102, 370, 394; BVerfGE 105, 279, 294).
Zitat Eine Sozialpflichtigkeit des Kindes als Grundrechtsträger besteht aber nicht, soweit es um ein Opfer an Körpersubstanz geht (vgl in anderem Zusammenhang Weilert RW 2012, 292, 320) – noch dazu im Intimbereich mit der Folge des Eingriffs in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vor Abschluss der Geschlechtsreife.
Zitat Wird den Eltern hingegen der Wahrheit zuwider mitgeteilt, der Eingriff sei praktisch schmerzlos und erleidet der Säugling oder das Kind doch erhebliche Schmerzen, so ist die stellvertretende elterliche Einwilligung in den Eingriff auch deshalb nicht wirksam (vgl RGSt 61, 393, 396).
Das Gesetz ist offensichtlich verfassungswidrig (Art 1 Abs 1 GG, Art 3 Abs 2 GG, Art 79 Abs 3 GG). Der Verfassungsbruch aus Gründen der Staatsraison macht sich auch nicht bezahlt, weil er die Debatte nicht beenden kann. Bei näherer Betrachtung (Rn 9.1 ff; Rn 35.1 ff) wird evident, dass alle zugrundeliegenden Tatsachenannahmen falsch sind....
Zitat Für gläubige Juden und Muslime, aber auch für koptische Christen, steht die Pflicht zur Beschneidung nicht zur Disposition (BT-Drs 17/11295, 7), während das Grundgesetz das Recht auf körperliche Unver sehrtheit nur in Grenzen zur Disposition des Inhabers stellt; das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und ungestörte kindliche Sexual- und Gesamtentwicklung zählt zum Unverfügbaren (Art 1 Abs 1 GG, Art 79 Abs 3 GG). Politik und Religion dürfen darüber nicht verfügen.
Zitat Die Politik hat nun aus Angst vor der Verletzung religiöser Gefühle ein Ergebnis festgelegt, bevor die Tatsachen geklärt sind und das Recht neutral befragt wurde. Der Staat muss nicht die Religionsgemeinschaften oder die Eltern, sondern zuerst die Kinder schützen, die sich nicht wehren können (BVerfGE 24, 119, 144); seine Schutzpflicht folgt aus Art 1 Abs 1 S 2 GG, ferner aus Art 2 Abs 2 S 1 GG (Weilert RW 2012, 292, 319 zur Knochenmarkspende) und schließlich aus dem Wächteramt nach Art 6 Abs 2 GG (BVerfGE 102, 370, 393; Zähle AöR 134 [2009], 434, 441).
Zitat Die Beschneidung von Säuglingen oder Knaben hat eine Diskussion ausgelöst, die durch fehlenden Respekt vor einer zutreffenden Gerichtsentscheidung (LG Köln[....]) und falsche Tatsachenannahmen geprägt ist. Dabei ist die Rechtsprechung der dritten Gewalt überantwortet (Art 92 GG), was die erste ignoriert, wenn sie meint, entgegen der Entscheidung sei "nach zutreffender Rechtsauffassung" die Beschneidung schon nach bisherigem Recht erlaubt (BT-Drs 17/11295, 10) und nun durch Neuregelung (§ 1631d BGB) gesetzlich zu gestatten.
Zitat Schon jeder objektive Zweifel an der Geringfügigkeit würde zudem die Wirksamkeit der Einwilligung nach allgemeinen Maßstäben in den Eingriff, von § 1631d BGB abgesehen, ausschließen (vgl BGHSt 16, 309, 313).
Zitat Der medizinisch nicht indizierte operative Eingriff an dieser Stelle betrifft die Intimsphäre und damit Unverfügbares, was auch den Eltern, den Religionsgesellschaften und nicht einmal dem Gesetzgeber zur Disposition steht.
Zitat die Gemeinschaft hat kein Recht ein körperliches Sonderopfer von Säuglingen oder Kindern zu postulieren, das ihre Intimsphäre verletzt.
Zitat Ein Eingriff ist nur dann medizinisch geboten, wenn andere Behandlungsmethoden keinen Erfolg versprechen (BGHSt 19, 201, 205). Nur in besonderen Fällen einer Phimose handelt es sich tatsächlich um einen pathologischen Befund (Stehr/Putzke/Dietz DÄBl 2008, A1778 ff). Anders lautende Bemer- kungen im Rahmen von Patientenaufklärungen im Normalfall wären falsch und müssten zur Unwirksamkeit einer Operationseinwilligung führen.
Zitat Die Beschneidung ist ein "chirurgischer Eingriff" (BR-Drs 597/12, 3), der als solcher prinzipiell einem Arzt vorbehalten ist und der auch von den Einwilligungsberechtigten nicht einem Nichtarzt gestattet werden darf (allgemein zur Wirksamkeit der Einwilligung in Bagatellmaßnahmen durch Nichtärzte BGHSt 16, 309, 311 ff).
Zitat Bei der orthodoxen jüdischen Form der rituellen Beschneidung ist die peri"ah inbegriffen, also das Abschaben der inneren Vorhaut von der Eichel, was nach der Tradition mit den Fingernägeln des Mohels durchgeführt werden soll, und die metiztzah b"peh, bei der der Mohel den blutenden Penis in den Mund nimmt und damit das Blut absaugt. Das ist mit der ärztlichen Maßnahme nicht zu vergleichen.
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