Experte rät Hertha notfalls zur dritten Instanz
Der renommierte Experte für Sportrecht Michael Lehner (Heidelberg) kritisiert das jüngste Urteil scharf und empfiehlt Hertha, aufs Ganze zu gehen.
Von Lars Wallrodt © dpa Rechtsanwalt Michael Lehner ist Mitglied der International Sport Lawyers Association und als Schiedsrichter bei der Deutschen Institution für Sportschiedsgerichtsbarkeit tätig Rechtsanwalt Michael Lehner ist Mitglied der International Sport Lawyers Association und als Schiedsrichter bei der Deutschen Institution für Sportschiedsgerichtsbarkeit tätig Morgenpost Online: Können Sie das Urteil des Sportgerichts nachvollziehen?
Michael Lehner: Nein, mit diesem Urteil kann ich wenig anfangen. Der Einspruchsgrund war, dass es eine Schwächung von Herthas Mannschaft gegeben hat. Und wenn zwei Minuten vor dem Abpfiff, mitten in der Berliner Schlussoffensive, 1000 Leute über den Platz ziehen und das Spiel lange unterbrochen werden muss, dann ist das eine Schwächung. Ob die Herthaner nun Todesangst gehabt haben, sei dahin gestellt. Aber ich kann doch 20 Minuten später nicht wieder anpfeifen und sagen: „Da war nix, macht weiter.“
Morgenpost Online: Der Sportrichter sagt, die Zuschauer hätten nur ihre Glücksgefühle ausgelebt, Gewalt ging nicht von ihnen aus.
Michael Lehner: Das ist seine Interpretation. Im Nachhinein kann man auch sagen, dass nichts passiert ist. Aber wenn der Platz gestürmt wird, weiß ich ja nicht, ob die Stimmung nicht doch umschlägt. Das Argument zieht nicht.
Morgenpost Online: Herthas Spieler haben nach Schlusspfiff den Schiedsrichter bepöbelt und in einem Fall offenbar sogar geschlagen. War das Argument „Todesangst“ fadenscheinig?
Michael Lehner: Solche Ausraster können auch der Extremsituation geschuldet sein. Aber das ist in diesem Fall gar nicht ausschlaggebend. Ein Jurist muss da strikt trennen zwischen den Vergehen der Hertha-Spielern und der Diskussion, ob das Spiel wieder hätte angepfiffen werden dürfen. Das sind zwei komplett unterschiedliche Sachverhalte, die separat verhandelt werden müssen.
Morgenpost Online: Also hätte es Ihrer Meinung nach ein Widerholungsspiel geben müssen?
Michael Lehner: Ja. Da hätte ich gar keine Beweisaufnahme gebraucht: Wenn 1000 Zuschauer über den Rasen rennen und die Spieler flüchten müssen, dann ist das eine Schwächung der Mannschaft, die angreifen muss.
Morgenpost Online: Auch, wenn in Düsseldorf nur noch zwei Minuten zu spielen waren?
Michael Lehner: Ich saß am Samstagabend während des Champions-League-Finales vor dem Fernseher und hätte mir auch gewünscht, der Schiedsrichter hätte zwei Minuten früher abgepfiffen. Aber der späte Ausgleich von Chelsea gegen den FC Bayern zeigt doch, dass im Fußball alles passieren kann.
Morgenpost Online: Hertha hat Einspruch gegen das Sportgerichtsurteil eingelegt und zieht vor das Bundesgericht. Wie schätzen Sie die Chancen der Berliner dort ein?
Michael Lehner: Das Bundesgericht ist ja auch ein DFB-Verbandsgericht. Zwar sitzen dort andere Personen, aber bislang hat das Bundesgericht die Urteile des Sportgerichts meist nur modifiziert. In diesem Fall müsste es das Urteil komplett kippen, und dass das geschieht, halte ich dann doch für äußerst fraglich. Ich blicke eher weiter auf die nächste Instanz, das Ständige Schiedsgericht. Und das ist personell deutlich breiter besetzt. Wenn, dann sehe ich dort Chancen für Hertha.
Morgenpost Online: Wie lange würden die Verhandlungen dauern, sollte Hertha so weit gehen?
Michael Lehner: Das Bundesgerichtsurteil wird schnell kommen, vermutlich schon in dieser Woche. Aber wenn eine der Mannschaften weitermacht, ist es fraglich, die Sache bis zum Saisonbeginn über die Bühne zu bringen. Dann drohen chaotische Zustände.
Morgenpost Online: Halten Sie das für realistisch?
Michael Lehner: Wünschenswert wäre, dass die Vereine sich einigen und einer zurückzieht. Aber da geht es um so viel, dass ich das für unrealistisch halte. Hertha hat ja auch nichts mehr zu verlieren. Und in diesem Fall müssen einem die Düsseldorfer fast Leid tun.
Morgenpost Online: Wieso?
Michael Lehner: Weil sie die Bundesliga überhaupt nicht richtig planen können. Sie müssen Spieler binden, Spieler holen. Und das bei der herrschenden Ungewissheit.
Morgenpost Online: Hat das Urteil Auswirkungen auf die Zukunft?
Michael Lehner: Jedenfalls keine positiven. Zu sagen, die Zuschauer auf dem Rasen hätten sich ja nur gefreut und keine Gewalt angewendet, halte ich für kontraproduktiv, ja fast fahrlässig. Der Stadionbetreiber hat dafür zu sorgen, dass niemand auf den Platz rennt. Niemand kann wissen, ob nur Freude herrscht, oder das ganze in Gewalt umschlägt. Ich halte das Urteil für ein schlechtes Signal für die Zukunft. ----------- Mario Barth ist peinlich, Männer manchmal auch.
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