"Ihr könnt euch nicht schützen" ZDF Politik & Zeitgeschehen
Über die Strategien des Terrors
"Die Deutsche Bank steht an der Spitze der faschistischen Kapitalstruktur", hieß es im Bekennerschreiben der RAF nach dem Mord an Vorstandssprecher Alfred Herrhausen. Die internationalen Terroristen der Gegenwart verschicken keine Briefe mit Rechtfertigungen, El Kaida tötet wahlloser. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, analysiert die alten und die neuen Strategien des Terrors.
Die neue Form des Terrorismus ist international. Sie zielt nicht auf hohe Würdenträger eines bestimmten Staates oder auf eine ausgewählte Gruppe einer Gesellschaft. Das Netzwerk, das El Kaida genannt wird, will möglichst viele Menschen töten; auch Massenvernichtungswaffen passen daher in seine Strategie. "Terror ist im Wesentlichen eine Strategie des Versendens von Botschaften", erklärt Politikwissenschaftler Münkler. Die Gruppen des älteren Terrorismus haben eine bestimmte Klientel, für die sie kämpfen wollen, den von Münkler so genannten "als interessiert unterstellten Dritten". Das soll ihre Gewalttaten rechtfertigen. Die RAF nahm für sich in Anspruch, die sozial Unterdrückten zu verteidigen, die IRA behauptet, für die irischen Katholiken zu kämpfen und die ETA wirbt um die Basken. In Bekennerschreiben nach der Tat legen die Terroristen ihre Ziele offen, sie werben damit um die Unterstützung dieser Gruppen.
dpa "Alter Terror": 1989 tötete die Rote Armee Fraktion den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, mit einer Autobombe, die per Lichtschranke gezündet wurde.
Die Anschläge des 11. September, auf Djerba und auf Bali verfolgen eine andere Strategie. Der "als interessiert unterstellte Dritte" steht nicht mehr im Mittelpunkt. Münkler: "Die Anschläge sind eine Nachricht an die angegriffene Macht: 'Ihr könnt euch nicht schützen', an Touristen: 'Wenn ihr hier Urlaub macht, kann euch auch die Haut zu 90 Prozent verbrennen' und an Aktienanleger: 'Wenn ihr weiter auf steigende Kurse setzt, können wir euch jederzeit einen Strich durch die Rechnung machen'." Damit bringt diese neue Form des Terrorismus die modernen Gesellschaften durcheinander, schädigt das Sicherheitsgefühl, den Glauben an den Fortschritt und damit auch das Wirtschaftssystem.
Entgrenzung der Gewalt
Die ältere Form des Terrorismus musste auf ihre Klientel Acht geben. "Denen, die im weiteren Sinn dazugehören, darf nichts passieren - also jeweils den Basken oder katholischen Iren oder Putzfrauen - als die RAF mal bei Springer eine Bombe gelegt hat, hatte sie damit ein Problem", erklärt Münkler. Daher galt bis in die 90er Jahre in der Terrorismusforschung: Die typischen Waffen sind Präzisionsschusswaffen oder kleine Bomben.
ap "Neuer Terror": "Hauptsache, es trifft möglichst viele, damit es eine möglichst nachhaltige Botschaft in den Medien ist."
El Kaida kennt solche Schranken in dieser Form nicht. Die Terroranschläge der jüngeren Vergangenheit sprechen eine andere Sprache. "Hauptsache, es trifft möglichst viele, damit es eine möglichst nachhaltige Botschaft in den Medien ist." Laut Münkler sollen das Ausmaß der Anschläge nicht nur die Regierungen und die Bevölkerungen verunsichern, sondern gleichzeitig für die Finanzierung sorgen. "Diese Anschläge haben außerdem die Funktion, neue Spendenwellen in Gang zu setzen bei Gruppierungen, die durch die Entwicklung der modernen Welt und ihrer Beteiligung daran ein schlechtes Gewissen haben, also saudische Geschäftsleute, die sich sozusagen gewissenstechnisch freikaufen."
El Kaida - dahinter steckt ein lose geknüpftes Netzwerk, das sich trotz aller Diskussion um Ideologien nicht auf ein Ziel vereinen lässt. Münkler sieht in der Beliebigkeit einen strategischen Vorteil gegenüber den älteren Formen des Terrorismus: Die IRA oder auch palästinensische Gruppierungen durchlebten viele inhaltliche Auseinandersetzungen, viele Spaltungen und Schwächungen. El Kaida gewinnt seine Anziehungskraft nicht durch Ziele, sondern durch einen gemeinsamen Feind. "Alle können irgendwie mitmachen, sie müssen sich weiter gar nicht auf das Ziel einigen, sondern es genügt, dass man die USA oder den Westen oder den liberalen Kapitalismus oder offene Gesellschaften zum Feind hat."
*** PS Bassajew, der tschetschenische Bin Laden? "Präsident Wladimir Putin und seine Führung haben noch kein Mittel gegen eine neue Qualität der Gewalt gefunden, die selbst vor Schulkindern nicht haltmacht. Ursprung des Terrors in Russland ist und bleibt der ungelöste Konflikt mit Tschetschenien, der immer mehr Regionen im Nordkaukasus in Brand setzt. Die von Moskau propagierte Politik der harten Hand erweist sich in jedem einzelnen Fall als hilflos."
Terror verbreitet Schrecken - Russlands Hilflosigkeit: Neue Ideen zum Umgang mit der tödlichen Herausforderung gab es am Mittwoch in Moskau nicht. 'Im Kampf gegen den Terrorismus kann für die Sicherheitsorgane kein Mittel übermäßig sein', sagte der Abgeordnete Viktor Oserow, Verteidigungsexperte im russischen Föderationsrat. Milde sei fehl am Platz.
|