 | Wahrscheinlich sitzt Josef Ackermann jetzt in seinem Vorstandsbüro, in Turm A der Zwillingshochhäuser der Deutschen Bank in Frankfurt, und kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Wieso empören sich die Deutschen, wenn er die Bank, die ihren Namen trägt, noch profitabler machen will? Soll es in einer Marktwirtschaft auf einmal nicht mehr erlaubt sein, Gewinne zu machen? Und wenn dafür jetzt 6400 Jobs wegfallen müssen: Dienen Stellenabbau und Kostenkürzen nicht zuallererst einem großen unternehmerischen Ziel – das langfristige Überleben der Bank zu sichern? Das Problem ist nur, dass es gar nicht ums Überleben geht. Anders als so mancher Mittelständler ist die Deutsche Bank eben kein Unternehmen, das Verluste schreibt und nun alles dafür tut, wieder in die Gewinnzone zu kommen. Anders als so manche große Aktiengesellschaft ist sie auch kein Unternehmen, das so unwirtschaftlich arbeitet, dass es nicht in der Lage wäre, das Geld seiner Aktionäre angemessen zu verzinsen. Nein, die Deutsche Bank ist ein Unternehmen, dessen Gewinne so hoch sind wie seit vier Jahren nicht mehr, dem es aber seit ebenso langer Zeit an einer plausiblen unternehmerischen Strategie fehlt. Unter Josef Ackermann hat das Institut inzwischen zwar so viele eigene Aktien gekauft, dass man für das gleiche Geld die ganze Commerzbank hätte übernehmen können. Eine unternehmerische Vision aber ist der Vorstandschef bis heute schuldig geblieben. Deshalb sieht Ackermann seine einzige Chance darin, an den niedersten Instinkt der Investoren zu appellieren: an die Gier. Er verheißt ihnen eine Vorsteuerrendite von 25 Prozent; er verspricht, das Geld der Aktionäre so hoch zu verzinsen, wie es in Deutschland noch nie eine Bank geschafft hat. Koste es, was es wolle. »Der Markt« verlange von der Bank eine Rendite von 25 Prozent, sagt Ackermann. Wirklich? »Der Markt« sieht das offenbar anders. Bisher nämlich springen die Investoren auf Ackermanns Versprechen gar nicht an. Die Aktie der Deutschen Bank entwickelt sich schlechter als die der Konkurrenten – obwohl der Kapitalmarkt doch die Zukunft spiegelt. Aber offenbar ahnen die Investoren, dass Ackermanns Renditeziel überzogen ist. Zudem geht es nicht allein darum, was die Anleger verlangen. Ein Unternehmen ist nicht nur Teil eines Marktes. Es ist auch Teil der Gesellschaft. Und je mehr sich diese Gesellschaft verändert, desto mehr wird deutlich, dass Unternehmenslenker sehr wohl eine gesellschaftliche Verantwortung haben. In den vergangenen Jahren hat der Staat immer mehr Risiken auf den einzelnen Bürger verlagert: die finanzielle Vorsorge fürs Alter, die Eigenbeteiligung bei Krankheit, die Absicherung beim Verlust des Jobs. 40 Jahre lang bei ein und demselben Unternehmen arbeiten? Die klassische Erwerbsbiografie aus der Zeit des Wirtschaftswunders gibt es nicht mehr. Deshalb gibt es auch weniger Sicherheit. Vor allem die Mittelschicht erlebt seit Jahren, dass der Traum vom selbst geschaffenen Wohlstand – mein Haus, mein Auto, meine Weltreise – nur noch im Werbespot der Sparkasse funktioniert. So wirkt es wie Hohn, wenn im Fall der Deutschen Bank jetzt betont wird, die meisten Stellen würden doch im Ausland abgebaut, ganz nach dem Motto: Was regt ihr euch in Deutschland so auf? Oder wenn es heißt, die meisten Jobs fielen ja im Investmentbanking weg: Habt ihr euch nicht immer über die gierigen Investmentbanker aufgeregt? Als ob die Öffentlichkeit nach einem Bauernopfer verlange, als ob sich die Menschen in Deutschland beruhigt zurücklehnen könnten, weil es diesmal ja »nur« die anderen trifft. Wer heute davonkommt, steht morgen womöglich selbst auf der Straße. Und während die Bürger immer mehr Verantwortung übernehmen sollen, kommen die Unternehmen ihrer Verantwortung nicht mehr nach. Das fängt im Kleinen an: Zur gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen gehört es, die Vorstandsgehälter individuell offen zu legen – gerade in einer Zeit, in der sich die finanziell schwächsten Bürger vom Staat fragen lassen müssen, ob sie verdienen, was sie bekommen. Zur Verantwortung der Unternehmen gehört auch, sich dafür einzusetzen, dass Manager privat haften müssen, wenn sie die Öffentlichkeit mit bewussten Fehlinformationen täuschen – heute wird jeder Schwarzfahrer in der U-Bahn schärfer von der Justiz verfolgt. Und im Großen? Ein Unternehmen nach dem anderen wird in den kommenden Wochen neue Rekordzahlen präsentieren. Die Geschäfte liefen 2004 für viele Firmen so gut wie lange nicht, und auch für das laufende Jahr rechnen die Experten mit steigenden Gewinnen. Doch meist werden sie im Ausland erwirtschaftet. Für den heimischen Markt fehlt vielen Unternehmen eine Wachstumsstrategie. Stattdessen wird gekürzt, gestrichen, rationalisiert. Es herrscht das Diktat der Kostenrechner. Als ob es nur darauf ankomme, möglichst billig zu sein. Als ob es nicht auch darum gehe, durch Qualität und Innovationen neue Nachfrage zu schaffen. Insofern unterscheiden sich die Manager nicht von den Politikern, die schlicht darauf vertrauen, dass Deutschlands Exportindustrie es schon richten wird. Wie man aber mit der durchs Sparen geschwächten Binnennachfrage umgeht, darauf fehlt ihnen die Antwort. So hat die Reaktion im Fall Deutsche Bank in vielen Fällen auch etwas Verlogenes: Warum kümmern sich Minister und andere Mächtige nicht darum, das Konjunkturklima zu verbessern, statt öffentlichkeitswirksam zu beklagen, dass ein Großkonzern Stellen streicht? Jeden Tag gehen hierzulande Hunderte Arbeitsplätze verloren – unbemerkt von der meist auf schnelle Statements fixierten Politik. »Leistung aus Leidenschaft« lautet der Werbespruch der Deutschen Bank. Vielleicht sollten die Marketingstrategen noch einmal in sich gehen. Derzeit zeigt die Bank nur eine Leistung, die Leiden schafft. (c) DIE ZEIT 10.02.2005 Nr.7 |