Schweizer Franken: Die Eidgenossen spielen mit dem Feuer - Montag, 09.01.2012 FOCUS-MONEY http://www.focus.de/finanzen/boerse/devisen/tid-24632/schweizer-franken-die-eidgenossen-spielen-mit-dem-feuer_aid_699650.html?drucken=1 Die Schweiz, ein Hort der Stabilität? Von wegen: Die Nationalbank hat fast unbemerkt die Geldmenge drastisch aufgebläht. Der Wert des Frankens ist in Gefahr. Der Schweizer Franken ist sicher – der Schweizer Franken ist hochriskant. Zwischen diesen beiden Aussagen liegen sechs Monate. Sechs Monate, in denen die Eidgenossen gegen die drastische Aufwertung ihres Geldes kämpfen – und dabei viel risikieren. Das idyllische Alpenland gilt vielen Anlegern und Sparern als Hort der Stabilität. Sie vertrauen der sprichwörtlichen Schweizer Sicherheit und setzen in der Schuldenkrise auf den Franken. Die Schweiz und Risiko – die beiden Begriffe passten bisher nicht zusammen. Doch seit Kurzem unternimmt das Vorzeigeland einen finanziellen Drahtseilakt, der zum Absturz des Franken führen könnte. Die Schweiz sei „der größte Währungsspekulant der Welt“, warnt Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) im FOCUS-MONEY-Interview. Es gebe nur noch wenige Gründe dafür, in den Franken als Fluchtwährung zu investieren, mahnt der gebürtige Schweizer. Nationalbank schwächt Franken-Kurs Im August schritt die Schweizer Nationalbank (SNB) erstmals gegen die Aufwertung des Franken ein. SNB-Präsident Philipp Hildebrand senkte den Leitzins auf praktisch null Prozent und pumpte massiv Geld in den Finanzkreislauf. Dazu verkaufte die Bank über Termingeschäfte Franken und erneuerte eigene Schuldverschreibungen nicht mehr. Die Sichtguthaben der Geschäftsbanken bei der SNB schwollen innerhalb weniger Tage von 30 auf 200 Milliarden Franken an. Diese Giroguthaben ergeben zusammen mit dem umlaufenden Bargeld die Notenbank-Geldmenge. Als der Franken Anfang September die Parität zum Euro erreichte, zog Hildebrand die Notbremse: „Die Schweizer Nationalbank toleriert am Devisenmarkt ab sofort keinen Euro-Franken-Kurs unter dem Mindestkurs von 1,20 Euro“, teilte das Institut in Bern mit. Ein Kursdiktat am freien Markt? „Für Spekulanten sind willkürlich festgesetzte Wechselkurse sehr verlockend“, sagt Alfred Roelli, Leiter Finanzanalyse bei der Privatbank Pictet & Cie in Genf. Seither tobt in den Handelsräumen ein Devisenkrieg. Zwar hält Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, gemessen an der Kaufkraft, ein Tauschverhältnis von 1,35 bis 1,40 für angemessen. Doch Schutz suchende Großanleger und aggressive Hedge-Fonds sehen die Sache anders. Der Mindestkurs von 1,20 werde „mit aller Konsequenz“ durchgesetzt, warnt daher die Nationalbank seit Wochen, sie sei „bereit, unbeschränkt Devisen zu kaufen“. Die Folge: Die Währungsreserven explodieren – und damit die Geldmenge. Denn für jeden Euro, den die SNB kauft, schafft sie neue Franken. Die Notenbankgeldmenge hat sich von Ende Juli bis Ende November von 77 auf 237 Milliarden Franken verdreifacht. Gegenüber dem Vorkrisenniveau von 2008 blähte sich diese monetäre Basis fast um den Faktor fünf auf. Zum Vergleich: Die viel kritisierte US-Notenbank hat die Geldmenge seither etwas mehr als verdreifacht, die Europäische Zentralbank nicht einmal verdoppelt. Wann springt die Inflation an? Über die Schweizer Alpentäler hat sich eine beispiellose Liquiditätsblase gelegt – und niemand weiß, ob sie sich geräuschlos auflöst oder mit einem großen Knall platzt. Solange der Euro schwächelt, pumpt die Nationalbank weiter. Die Eidgenossen, die seit dem Bündnis von 1291 zwischen den Kantonen Uri, Schwyz und Unterwalden stets auf ihre Unabhängigkeit pochten, haben mit der Bindung an den Euro ihre geldpolitische Autonomie aufgegeben. Von einer „Kapitulation“ spricht der Ökonom Straubhaar. Die Folgen am Anleihenmarkt sind schon jetzt dramatisch: Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen hat sich seit Frühjahr auf 0,71 Prozent gedrittelt. Dreimonatige Schuldverschreibungen teilte die Schweiz kürzlich mit negativen Zinsen zu. „Wird die Geldmenge auf das Sieben-, Acht- oder Zehnfache aufgebläht, haben wir den Notstand“, warnt Finanzexperte Roelli. Inflation lässt auf sich warten – noch Immerhin zeigen die Minizinsen, dass bisher kein Inflationsdruck entsteht. Der teure Franken verbilligt Importe derart drastisch, dass die Nationalbank für 2012 eine Inflation von minus 0,3 Prozent erwartet – also auf breiter Front fallende Preise. Die enorme Liquidität verpufft bisher, weil sie nur als Sichteinlagen bei den Banken existiert. Das Geld findet erst den Weg auf die Konten und in die Portemonnaies der Menschen, wenn die Institute mehr Kredite vergeben. Diese Geldschöpfung ist in der Krise unterbrochen. Die umlaufende Geldmenge M3 stieg zwischen Januar und November 2011 nur um sechs Prozent. Die Geschichte lehrt aber, dass Inflation oft verspätet folgt. Schon 1978 koppelte die Schweiz den Franken an eine Fremdwährung, damals die D-Mark, um die Aufwertung zu stoppen. „Die Geldmenge wurde ausgeweitet, was mit Abstand von drei Jahren zu einem Anstieg der Inflationsrate von 0,4 auf 7,5 Prozent führte“, sagt Thomas Liebi von der Vermögensverwaltung Swisscanto in Zürich. Der Anlagenotstand der Investoren treibt die Preise, vor allem die Regionen um Zürich, Genf und Graubünden laufen heiß. Der Immobilienblasenindex der Großbank UBS steigt seit Ende 2009 und signalisiert einen „Boom“ – mit Kurs Richtung „Risiko“. Die Nationalbank warnt vor einer Blase, befeuert aber zugleich mit ihren Mikrozinsen die Entwicklung. Folgt das allgemeine Preisniveau auch nur annähernd dem Trend auf dem Wohnungsmarkt, droht ein weicher Franken. „Auf Überbewertungen sind in der Schweiz historisch immer Phasen von Unterbewertungen gefolgt“, beobachtet Pictet-Experte Roelli. Gefährlicher als Inflation wäre ein großer Knall. Denn noch hat die Nationalbank ihre Euro-Wette nicht gewonnen. 225 Milliarden Franken Währungsreserven hortet das Institut inzwischen, davon mehr als die Hälfte in Euro. „Wenn die Märkte die Grenze von 1,20 nochmals testen, drohen der Nationalbank Milliardenverluste“, sagt Roelli. Schon im ersten Halbjahr 2011 mussten die Banker ihre Devisenbestände abschreiben. Einen „massiven Eigenkapitalschwund“, räumte SNB-Vizepräsident Thomas Jordan ein. „Kann die Nationalbank durch negatives Eigenkapital ihre Handlungsfähigkeit verlieren?“, fragte er kürzlich in einer Rede. Seine Antwort ist wenig überraschend – aber die Begründung für den Hüter einer der stabilsten Währungen der Welt schon: Die Zentralbank sei stets flüssig, „weil sie die benötigte Liquidität selber schaffen kann“. Sie hat die Lizenz zum Gelddrucken. Experte warnt vor Franken-Kauf Eine Notenbank im Ausnahmezustand, eine riesige Geldblase und eine überbewertete Währung – die Mischung klingt nicht nach Schweizer Sicherheit. „Ich rate unseren Kunden aus dem Euro-Raum dringend ab, noch in Franken zu investieren“, sagt Roelli. Optimistischer ist der Anlageprofi für Schweizer Aktien wie Nestlé, Novartis oder Roche. Die besseren Exportchancen würden hier einen Kursrückgang des Franken aufwiegen.
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