Ein Inbetriebnahme-Techniker überprüft eine für den Export nach China bestimmte Silizium-Nitrid-Beschichtungsanlage für Solarzellen von Roth & Rau. Quelle: dpa
DÜSSELDORF. Im Juni 1990, kurz vor der deutschen Wiedervereinigung, haben sich drei Wissenschaftler der Technischen Universität Chemnitz zusammengetan und den Anlagenbauer Roth & Rau gegründet. Nur wenige Tage zuvor war Karl-Marx-Stadt wieder in Chemnitz umbenannt worden. Die promovierten Physiker Dietmar Roth, seine Frau Silvia und Bernd Rau sind Spezialisten für Plasmatechnik. Innerhalb von 19 Jahren haben die Gründer eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hingelegt. Heute beschäftigt die seit Mai 2006 börsennotierte Unternehmensgruppe mit Sitz im sächsischen Hohenstein-Ernstthal 820 Mitarbeiter und setzte im vergangenen Jahr 272,1 Mio. Euro um. Seit Juni 2008 gehört sie zum Index Tec-Dax.
Der Umsturz 1989/90 machte auch vor den Universitäten nicht halt. "Wir hatten die Alternativen, abzuwarten oder die Flucht nach vorne zu ergreifen", erinnert sich Silvia Roth. Die guten Fördermöglichkeiten für Gründer bestärkten das Bauchgefühl: "Diese Chance kommt nie wieder." Die drei sahen die Möglichkeit, ihre Idee real zu vermarkten. Dennoch gingen sie die Sache "mit einer guten Portion Blauäugigkeit" an, wie Silvia Roth rückblickend sagt. So waren Finanzierung, Marketing oder Vertrieb Neuland für die Wissenschaftler.
Angefangen haben die Gründer ganz bescheiden mit einem Mitarbeiter, der noch immer im Unternehmen ist. "Die Männer saßen in einem recht hübschen Hintergebäude vor einem leeren Schreibtisch mit einem Telefon, und keiner rief an", erzählt Silvia Roth und lacht. Zunächst hatten Dietmar Roth und Bernd Rau noch eine halbe Stelle an der Uni, die sie aber bald aufgaben. Silvia Roth dagegen arbeitete noch bis 1992 an der Hochschule. "Einer musste die Familie ernähren." Sie und ihr Mann haben zwei Töchter, die damals drei und zehn Jahre alt waren.
Der Unternehmensberater und Mittelstandsforscher Bernd Venohr hat das Ranking „Kommende Weltmeister“ erstellt.
Wissenschaftler sind auch die treibende Kraft beim letztjährigen Wachstumsweltmeister, dem Biotechnologieunternehmen Novaled. Hinter der Ausgründung der Technischen Universität Dresden aus dem Jahr 2001 stecken ursprünglich vier Physiker. Diesmal landete der weltweit führende Anbieter von organischen LEDs (OLEDs) auf Platz 13 des Handelsblatt-Rankings "Kommende Weltmeister". Die extrem dünnen und energieeffizienten Lichtquellen sind bereits in kleinen Displays im Einsatz, etwa bei MP3-Playern oder Displays von Mobiltelefonen.
Und wie gelingt es einem Unternehmen wie Roth & Rau, das nun schon seit Jahren aktiv ist, sich plötzlich zum wachstumsstärksten kommenden Weltmeister zu entwickeln? Den Durchbruch schaffte Roth & Rau um die Jahrtausendwende, als das damals noch sehr kleine Unternehmen einen Prozess zur Oberflächenbeschichtung von Solarzellen erfand, "der die Zellen zum Massenartikel und uns zu Pionieren beim Anlagenbau im Solarbereich machte", wie Silvia Roth sagt. "Wir haben damals die Nische erkannt und waren dann in der Lage, das Tempo der Photovoltaikindustrie mitzugehen und mitzubestimmen."
Die Grundlagen für das Verfahren lieferte die Plasma- und Ionenstrahltechnologie. Roth & Rau hatte in den 90er-Jahren begonnen, für Kunden aus der Forschung Anlagen zu bauen, die diese Technologie zur Oberflächenbearbeitung nutzen, vor allem in der Halbleiterindustrie. Der Geschäftsbereich spielt heute mit einem Umsatzanteil von zuletzt gut fünf Prozent wirtschaftlich nur noch eine untergeordnete Rolle.
Mehr als 90 Prozent erlöst das Unternehmen mit der Photovoltaik. Das rasante Wachstum machte auch der Einstieg eines strategischen Investors im Jahr 2001 möglich, der sich nach dem Börsengang zurückzog. Bis 2008 verdreißigfachte sich der Umsatz innerhalb von vier Jahren beinahe. Das veränderte Roth & Rau enorm. "Mit bis zu 30 Mitarbeitern können sie alles selbst machen", sagt Silvia Roth rückblickend. "Dann brauchen Sie Strukturen." Heute ist der Anlagenbauer global aktiv, die meisten Kunden sitzen in Asien und dort vor allem in China und Indien. Silvia Roth als Marketing- und Investor-Relations-Chefin und die beiden anderen Gründer sind noch immer im Unternehmen aktiv und mit knapp 13,5 Prozent daran beteiligt, Dietmar Roths Vertrag als Vorstandschef läuft bis 2014.
Exklusiv für das Handelsblatt hat Professor Bernd Venohr die 100 kommenden Weltmarktführer beispielhaft zusammengestellt.
Mit den gewaltigen Zuwächsen allerdings ist es im laufenden Jahr vorbei. In den ersten sechs Monaten stieg der Umsatz zwar noch um knapp 13 Prozent, doch im Gesamtjahr wird er wohl höchstens das Niveau von 2008 erreichen. Das Unternehmen berichtet von einer Investitionsschwäche in der Solarbranche und einem daraus resultierenden Auftragsrückgang, wobei das Geschäft in China schon wieder anziehe. Die Sachsen haben mit der Entlassung von mehr als 150 der rund 200 Zeitarbeiter reagiert.
Nach der rasanten Entwicklung in den vergangenen Jahren kann Silvia Roth der "kurzen Atempause" jedoch auch Positives abgewinnen. So könne sich das Unternehmen wieder intensiver um Forschung und Entwicklung kümmern. Mit der Rückkehr zu den gewohnten Wachstumsraten rechnet sie von 2011 an. Zulegen kann Roth & Rau bis dahin auch durch weitere Zukäufe. Nach einer Kapitalerhöhung im vergangenen Jahr hat das Unternehmen Silvia Roth zufolge "eine gut gefüllte Kriegskasse".