Mittwoch, 21. Januar 2009 18:09 - Von Tina Kaiser und Gesche Wüpper
Wer "Guitar Hero" oder "World of Warcraft" spielt und Musik von Amy Winehouse kauft, verhilft dem Unterhaltungskonzern Vivendi zu mehr Umsatz. Vorstandschef Jean-Bernard Lévy sagt, warum PC-Spiele und Entertainment gerade jetzt ein gutes Geschäft sind World of Warcraft: Das Online-Spiel spült immer noch viel Geld in die Kasse von Vivendi Foto: DPA World of Warcraft: Das Online-Spiel spült immer noch viel Geld in die Kasse von Vivendi Morgenpost Online: Herr Lévy, viele Medienkonzerne haben in den vergangenen Monaten Gewinnwarnungen herausgegeben, weil sie die Finanzkrise und die damit verbundenen geringeren Werbebudgets hart erwischt haben. Wie schwer ist Ihr Unternehmen getroffen? Jean-Bernard Lévy: Eine prima Frage, weil ich sagen kann: Uns geht es gut. Wie prognostiziert, ist unser Gewinn 2008 mindestens ebenso stark gestiegen wie 2007. Exakte Zahlen veröffentlichen wir im März. Uns trifft die Krise viel weniger, weil wir nur 0,5 Prozent unseres Umsatzes aus der Werbung ziehen. 70 Prozent dagegen kommen aus Abo-Modellen: also Mobilfunkverträge, Pay-TV oder Online-Videospiele. Morgenpost Online: Wir stecken in einer Weltwirtschaftskrise. Wer hat denn noch Geld, 70 Euro für ein Videospiel oder 50 Euro für ein Pay-TV Abo auszugeben? Lévy: Eine ganze Menge Menschen, weil ein Pay-TV-Abo oder ein Videospiel im Vergleich zu anderen Unterhaltungsmöglichkeiten wie Essen gehen oder Reisen sehr günstig ist. Bei einem Videospiel bezahlen Sie einmal 70 Euro, aber dann können Sie es so lange spielen, wie Sie wollen. Pro Stunde heruntergerechnet, ist das ein günstiges Vergnügen. So gesehen sind wir also sogar Gewinner der Krise. Die Nachfrage nach Home-Entertainment steigt in Krisenzeiten erfahrungsgemäß. Morgenpost Online: Wenn Ihr Unternehmen so gut läuft: Planen Sie Übernahmen? Lévy: Sagen wir so, wir haben einiges Geld zur Verfügung und halten Ausschau nach interessanten Zielen. Wenn wir zuschlagen, wird es in einer Branche sein, in der wir schon vertreten sind. Mehr sag ich dazu nicht. Morgenpost Online: Sie leiten einen Konzern, der Weltmarktführer in der Musik- und in der Videospielindustrie ist. Außerdem ist Vivendi in der Telekommunikationsbranche und im Fernsehgeschäft. Wie führt man ein so komplexes Konglomerat? Lévy: Indem ich mich auf das große Ganze konzentriere und nicht versuche, mich in jedes neue Spiel, jeden Vertrag mit einem neuen Musiker oder jeden neu gekauften Film einzumischen. Das würde bei meinem Geschmack auch zum Desaster führen (lacht). Ich stelle die grundsätzlichen Weichen, gebe die Strategie vor, wähle hoffentlich die richtigen Manager aus und bin dafür verantwortlich, dass Vivendi wächst. Morgenpost Online: Vergangenes Jahr hat die Vivendi-Tochter Universal Music für viele Millionen Euro die Rolling Stones unter Vertrag genommen. Sie wurden da nicht mal gefragt? Lévy: Doch natürlich, aber ich vertraue unserem Universal-Management. Man muss loslassen können. Wenn ich über die Wahl der Künstler entscheiden würde, wäre das für unsere Umsätze nicht gerade förderlich. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Morgenpost Online: Die Universal-Umsätze dürften Sie ohnehin nicht glücklich machen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Umsatz der Musikindustrie fast halbiert. Warum sollten wir für Ihre CDs noch zahlen? Wir können uns Musik im Internet kostenlos herunterladen. Lévy: Wenn Sie das machen, machen Sie sich strafbar. Morgenpost Online: Wir haben nicht gesagt, dass wir das tatsächlich machen. Lévy: Das will ich Ihnen auch nicht geraten haben. Es stimmt, dass die Musik-Branche unter der Internet-Piraterie gelitten hat. Universal hat allerdings schon in den vergangenen Jahren gegen den Branchentrend Marktanteile gewonnen. 2004 standen wir bei 25,5 Prozent, heute sind es fast 30 Prozent Marktanteil. Ich glaube außerdem, dass die Krisenzeiten in der Musikbranche bald vorbei sind und die Industrie wieder wachsen wird. Morgenpost Online: Wie soll das gehen? 95 Prozent der digitalen Downloads sind noch immer illegal. Lévy: Ja, und um dem entgegen zu wirken, muss das legale Angebot besser als das illegale sein. Wir haben zu viel Zeit darauf verschwendet, gegen MP3 zu kämpfen. Wir können die Digitalisierung nicht aufhalten, sondern sollten stattdessen versuchen, daran mitzuverdienen. Morgenpost Online: Dann lassen Sie mal hören. Lévy: Wir haben uns zum Beispiel mit der Videoplattform YouTube geeinigt. Statt die zu verklagen, bekommen wir nun Geld für jedes Musikvideo, das jemand online anschaut. Oder nehmen Sie die Apple-Musik-Börse iTunes: Dort haben wir vor zwei Wochen den Kopierschutz für Songs abgeschafft. Morgenpost Online: Richtig, nun kann ich ein Lied bei iTunes für 99 Cent einmal kaufen und für alle meine Freunde kopieren. Und was haben Sie davon? Lévy: Sie wissen genauso gut wie ich, dass Sie den Kopierschutz auch bisher mit einigen Kniffen umgehen konnten. Er hat uns also nichts gebracht, sondern nur unser Produkt unattraktiver gemacht. Je attraktiver die Online-Shops sind, desto weniger Leute werden illegal downloaden. Schließlich kriegen Sie bei den Raubkopien oft auch sehr schlechte Sound-Qualität. Morgenpost Online: Ist die CD damit endgültig dem Tod geweiht? Levy: Diese Untergangsszenarien sind total übertrieben. Jahrelang habe ich mir zum Beispiel anhören müssen, dass es bald keine Alben mehr gibt, weil die Leute nur noch einzelne Songs runterladen. 2008 ist der Albenverkauf im Internet aber um 50 Prozent gewachsen, Singles nur um 30 Prozent. Also, alles Quatsch. Uns kann es letztlich egal sein, über welches Medium die Leute Musik kaufen. Hauptsache, sie kaufen. Morgenpost Online: Wann haben Sie das letzte Mal CDs gekauft? Lévy: Am Samstag, zehn Stück. Das war hauptsächlich Jazz und klassische Musik, zum Beispiel die gesamten Klavier-Werke von Gabriel Fauré. Wunderbar. Morgenpost Online: Sie wollten früher Pianist werden und spielen angeblich hervorragend. Lévy: Nicht mehr, ich habe keine Zeit zum Üben. Aber klassische Musik hören macht mir viel Freude. Morgenpost Online: Das Videospiel Guitar Hero ist einer der größten Umsatzbringer von Vivendi. Dabei hampelt man mit einer Plastikgitarre vor dem Computer herum. Haben Sie denn dafür Zeit? Lévy: Na ja, ich spiele das ab und zu mit meinen beiden Söhnen. Wobei ich im Anfängermodus klimpere und sie als Profis. Am besten - oder sagen wir: am wenigsten schlecht - bin ich bei "Welcome to the Jungle" von Guns N'Roses. Das macht Spaß, zumal jeder schon mal davon geträumt hat, Rockstar zu sein. Morgenpost Online: Sie auch? Lévy: Vielleicht (lacht). Jetzt bin ich jedenfalls zu alt dafür. Morgenpost Online: Es gibt Gerüchte, die Vivendi-Spielesparte Activision wolle mit Guitar Hero eine Online-Plattform ähnlich wie iTunes starten. Was ist da dran? Lévy: Es stimmt, dass es solche Überlegungen gibt. 20 Millionen Menschen weltweit haben ein "Guitar Hero"-Paket zu Hause. Auf der neuen Plattform könnten sie sich austauschen und neue Lieder runterladen. Mehr kann ich aber noch nicht sagen. Morgenpost Online: Dann lassen Sie uns doch über World of Warcraft sprechen. Kennen Sie sich da aus? Lévy: Kommt drauf an. Es ist das erfolgreichste Online-Rollenspiel der Welt und gehört glücklicherweise uns. Mein 16-jähriger Sohn spielt das bis zum Abwinken. Morgenpost Online: Und das erlauben Sie? Lévy: Was soll ich machen? Wir haben ein Abkommen, dass er so lang spielen darf wie seine Noten gut sind. Da es da nichts zu beanstanden gibt, spielt er weiter. Morgenpost Online: Weltweit spielen über 11,5 Millionen Menschen World of Warcraft. Was bedeutet das für unsere reale Welt, wenn Teenager lieber vor dem Computer sitzen, als Freunde zu treffen oder Sport zu machen? Lévy: Sie stellen sich jetzt den pickeligen Autisten vor, der keine echten Freunde hat und nur in der Computer-Phantasiewelt lebt. Aber das stimmt nicht. Die Spieler haben durchaus auch ein reales Leben. World of Warcraft ist so erfolgreich, weil sich online eine wirkliche Gemeinschaft gebildet hat, man Netzwerke pflegen muss, um zu gewinnen und diese Leute auch in der Realität treffen kann. Morgenpost Online: Fast jeder Patient, der in der Universitätsklinik von Mainz wegen Computer-Abhängigkeit behandelt wird, spielt World of Warcraft. Das Spiel macht offensichtlich süchtig. Haben Sie kein schlechtes Gewissen? Lévy: Wir haben viele Gespräche mit Psychologen geführt. Anscheinend gibt es leider eine bestimmte Anzahl Menschen, die davon abhängig werden. Auf der anderen Seite kann das Spiel extrem schüchternen Kindern und Erwachsenen helfen, ihre Kontaktscheu zu überwinden. Die anderen Spieler kennen ihren Namen nicht, ihr Aussehen, ihren sozialen Status. World of Warcraft kann daher ein Weg zur Resozialisierung sein. Morgenpost Online: Selbst Mädchen und Kleinkinder spielen mittlerweile schon Computer. Wo soll da noch Wachstum herkommen? Lévy: Ältere Menschen sind eine noch recht unerschlossene Zielgruppe, wobei ich vor kurzem eine interessante Reportage im französischen Fernsehen über Altersheime gesehen habe. Bei Senioren kommt die Wii, also die Nintendo-Konsole mit der man interaktiv zum Beispiel Sport treiben kann, sehr gut an. Das hält wesentlich fitter als Dame oder Scrabble. Wer weiß, vielleicht komme ich als Pensionär endlich zum Spielen (lacht). Morgenpost Online: Bis dahin ist ja noch etwas Zeit. Sie waren schon Ingenieur, Berater der Regierung und Bank-Chef, bevor Sie zu Vivendi kamen. Was kommt als nächstes? Lévy: Vielleicht doch Rockstar? (lacht) Nein, ich bin sehr glücklich als Chef von Vivendi. Es gibt also keinen Grund zu wechseln.
|