Ein Krieg wird inszeniert Während alle Welt wie gebannt auf den Irak schaut und alles unaufhaltsam und unabänderlich auf einen Krieg oder einen US-gestützten Putsch gegen Saddam Hussein mit einer anschliessenden Besetzung des Landes hinausläuft, wird hinter den Kulissen eifrig die mediale Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt. Der ein- oder andere öffentlichkeitstaugliche Grund für einen Krieg ums irakische Öl und eine strategische Position im Nahen Osten wird sich doch wohl finden lassen, ohne gleich Ross und Reiter zu nennen ? Blicken wir zurück ins Jahr 1990. Auch damals wurde die Begründung für einen Krieg gegen den Irak erfolgreich inszeniert...
Kriegsplan 1002 der US-Streitkräfte sah vor, dass „jeder Bedrohung des amerikanischen Zugangs zum Nahost-Öl (…) mit militärischen Mitteln begegnet werden“ sollte. Dieser Plan, bereits aus der frühen Reagan-Ära, wurde 1989 neu umrissen und zum Kriegsplan 1002-90 des US-Oberkommandos CENTKOM, zu deren Oberbefehlshaber 1987 General Norman Schwarzkopf ernannt wurde. Unter dem Oberbefehl von Schwarzkopf begann man, Kriegsszenarien gegen den Irak zu entwerfen und spielte 1990 mindestens vier davon in Computersimulationen durch. Bei einigen ging man von der irakischen Invasion Kuwaits aus. Gleichzeitig schloss das Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) im Mai 1990 eine zweijährige Studie ab. Die Untersuchungen des Washingtoner Think-Tanks prognostizierten des Ausgang eines Krieges zwischen dem Irak und den USA und nahmen ebenfalls eine Besetzung Kuwaits durch irakische Truppen als Ausgangspunkt. Nach Einschätzungen von Militärexperten zeigte jedoch der Irak, wirtschaftlich stark geschwächt durch den achtjährigen Krieg gegen den Iran, keinerlei Absicht, neue militärische Abenteuer einzugehen. Das bezeugen auch die Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts für strategische Studien der US-Kriegsakademie, die Anfang 1990 vorgelegt wurde: „Es steht nicht zu erwarten, dass Bagdad irgend jemanden zu einer militärischen Konfrontation provozieren wird. Seinen Interessen ist zur Zeit und in nächster Zukunft mit dem Frieden am meisten gedient. (…) Die Einkünfte aus Ölverkäufen könnten ihm ökonomisch gesehen zu einem Platz in den vordersten Reihen der Staaten verhelfen. Die Stabilität im Nahen Osten ist dem Verkauf von Öl nur förderlich; Störungen wirken sich langfristig auf den Ölmarkt und damit für den Irak aus (…). Gewalt ist nur wahrscheinlich, wenn sich die Irakis ernstlich bedroht fühlen. (…). Nach unserer Überzeugung ist der Irak grundsätzlich einer nicht-agressiven Strategie verpflichtet.“ Die Herausforderung für das Pentagon bestand somit darin herauszufinden, was den Irak dazu bringen könnte, Schritte zu tun, die eine US-Intervention rechtfertigen würden. Ein im November 1989 zwischen den Spitzen des amerikanischen und des kuwaitischen Geheimdienstes geführtes Gespräch dokumentiert die geplante Strategie. Verhüllt in diplomatische Formeln teilte der kuwaitische Generaldirektor der Abteilung für Nationale Sicherheit seinem Innenminister die Ergebnisse des Treffens mit CIA-Chef William Webster mit: „ Wir sind mit der amerikanischen Seite übereingekommen, dass es wichtig wäre, die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Irak auszunutzen, um die Regierung dieses Landes zu veranlassen, unsere gemeinsame Grenze festzulegen. Der CIA hat uns die Druckmittel dargelegt, die sie für angemessen hält, und hat präzisiert, dass eine breite Zusammenarbeit zwischen uns eingeführt werden müßte, unter der Bedingung, dass die Aktivitäten auf hoher Ebene koordiniert würden (…)“. Das Scheichtum Kuwait hatte schon am 8. August 1988, einen Tag nach dem Friedensschluss zwischen Iran und Irak, mit der eigenmächtigen und widerrechtlichen Erhöhung seiner Ölförderung einen Wirtschaftskrieg gegen den Irak entfacht. Die kuwaitischen Maßnahmen, die OPEC-Beschlüsse verletzten, ließen die Ölpreise drastisch fallen und stürzten die Wirtschaften ärmerer ölproduzierender Länder, darunter die des Irak, ins Chaos. Diese Politik behielt Kuwait auch in den Jahren 1989 und 1990 bei. Neben einer erneuten Steigerung der Ölförderung gegen die ausdrücklichen Beschlüsse der OPEC verfolgte sie die Absicht, die Ölfelder von Rumailah an der strittigen irakisch-kuwaitischen Grenze mit Hilfe von US-Schrägbohr-Technologie stärker auszubeuten. In der Eskalation dieses Konflikts, die im Juli 1990 zur Verlegung irakischer Truppen an die kuwaitische Grenze führte, verhielten sich die USA widersprüchlich und gaben dem Irak die falschen Signale, zuletzt am 25. Juli, als die Bagdader US-Botschafterin April Glaspie dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein die Position des Weißen Hauses mitteilte: „ Mir liegt daran, Ihnen nicht nur zu sagen, dass der Präsident die besten und weitestgehenden Beziehungen zum Irak wünscht, er möchte auch, dass der Irak zum Frieden und zum Wohlstand des Nahen Osten beiträgt. Präsident Bush ist ein intelligenter Mann, er wird keinen Wirtschaftskrieg gegen der Irak erklären (…). Ich bewundere Ihre außerordentlichen Anstrengungen, das Land aufzubauen. Ich weiß, dass Sie dafür Kapital brauchen. Wir verstehen das und sind der Meinung, dass Sie die Möglichkeit haben müssen, das Land wieder aufzubauen. Aber wir wollen zu den innerarabischen Konflikten keine Positionen beziehen, beispielsweise zu Ihrem Konflikt mit Kuwait. (…) Wir hoffen, dass Sie Ihr Problem durch alle notwendigen Maßnahmen lösen.“ Am 2. August 1990, eine Woche nach der Unterredung mit Botschafterin Glaspie, marschierten irakische Truppen in Kuwait ein. Zu diesem Zeitpunkt war der folgende Truppenaufmarsch der USA und ihrer Verbündeten am persischen Golf längst beschlossene Sache. Zunächst musste jedoch der Krieg an einer anderen Front eröffnet werden – die der öffentlichen Meinung. Die fünf Monate bis zum 17. Januar 1991, dem Beginn der Luftangriffe auf den Irak, standen ganz im Zeichen der medialen Mobilmachung und des Einschiessens der Öffentlichkeit gegen den Irak. Zu diesem Zweck wurde Saddam Hussein als neuer „Hitler“, als das Böse schlechthin dargestellt, das autoritäre Scheichtum Kuwait zum Hort der Freiheit und Demokratie im Nahen Osten deklariert und in seiner Rolle der Tschechoslovakei nach dem Einmarsch Hitlers gleichgesetzt. Am 10. August 1990, also gerade eine Woche nach der Invasion, engagierten die „Bürger für ein freies Kuwait“, eine aus kuwaitischen Regierungsgeldern gespeiste Pressure-Group in den USA, die PR-Agentur Hill & Knowlton, die enge Kontakte zur US-Regierung pflegt. Die Kampagne für Kuwait sollte eine der umfangreichsten werden, die je eine Public Relations-Firma für einen ausländischen Kunden in den USA unternommen hat. 119 Hill & Knowlton Mitarbeiter begannen, die Medien mit Pressemappen zu versorgen, organisierten nationale Gebettage für Kuwait , verteilten zigtausende von T-Shirts und Autoaufklebern mit dem Aufdruck „Freies Kuwait“ und vermittelten ungezählte Treffen zwischen Redakteuren und kuwaitischen Persönlichkeiten oder „Widerstandskämpfern“. Dr. Hassan Al Ibrahim, ehemaliger kuwaitischer Erziehungsminister und Vorsitzender der „Bürger für ein freies Kuwait“ beschrieb sein Land folgendermaßen: „Die Geschichte Kuwaits verzeichnet in den letzten zweihundertfünfzig Jahren keinen einzigen Fall von Gewaltanwendung. Im Unterschied zu allen anderen Ländern der arabischen Halbinsel ist in unserer Geschichte kein Blut geflossen (…) Wir sind mit ganzem Herzen der Demokratie und der Verfassung ergeben.“ Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus, als diese PR-Kampagne erwarten ließ. Kuwait ist ein Scheichtum mit feudalen Strukturen, beherrscht von einer Familie, Wahlrecht besteht nur für Männer über 21 Jahren, deren Familien seit 1920 im Land ansässig sind (13,5 % der Kuwaiter), es gibt Sklavenarbeit, Folter und Hinrichtungen von Oppositionellen. Eine Realität also, die sich nahtlos in das „Reich des Bösen“, das allein Saddam Hussein zugeteilt wurde, einordnen ließe, wären die Rollen von der Agentur Hill & Knowlton zuvor nicht schon anders verteilt wurden. Hill & Knowlton ließ erforschen, wie die Amerikaner auf die Kuwaitproblematik reagierten und was ihre Gemüter besonders bewegen könnte, und kam zu dem Ergebnis dass Verbrechen an Kindern und ähnliche Greueltaten ein Grund wären, militärisch zu intervenieren. Plötzlich tauchte eine Geschichte in den Medien auf, die diese Vorgaben nahezu ideal zu erfüllen schien – die „Brutkasten-Story“. Der Ursprung dieser Geschichte, wonach irakische Soldaten mehr als dreihundert Babys aus ihren Brutkästen nahmen und sie auf dem kühlen Krankenhausfußboden von Kuwait-Stadt sterben ließen, ist unklar. Sie erschien zum ersten Mal Anfang September 1990 in verschiedenen Zeitungen, erhielt aber offizielles Gewicht durch eine öffentliche Präsentation vor dem Arbeitskreis für Menschenrechte im amerikanischen Kongreß am 10. Oktober 1990. Beweise konnten unter anderem die „Bürger für ein freies Kuwait“ – also Hill & Knowlton – sowie die fünfzehnjährige „Nayirah“, die als Augenzeugin des Geschehens in Erscheinung trat. In erschütternden Berichten beschrieb sie die Brutalität der Besatzer und Aggressoren: „Ich tat freiwilligen Dienst im Al-Addan-Hospital (…) Während ich dort saß, sah ich die irakischen Soldaten in das Krankenhaus kommen und in den Raum gehen, wo fünfzehn Babys in Brutkästen lagen. Sie nahmen die Babys aus den Brutkästen, nahmen die Brutkästen mit und ließen die Babys auf dem kalten Fussboden zurück, wo sie starben.“ Die irakischen Truppen haben bei ihrem Einmarsch in Kuwait mit Sicherheit Grausamkeiten begangen. Die „Brutkasten-Story“ konnte jedoch trotz intensiver Recherchen, u.a. von der Menschenrechtsgruppe Middle East Watch, nie bestätigt werden. Bei der unabhängigen Zeugin „Nayirah“ handelte es sich übrigens um die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA, aber als Zweifel an der Geschichte aufkamen, war die Wirkung bereits erzielt. Die Öffentlichkeit war reif für einen Krieg gegen den Irak und sich sicher, auf der richtigen, der „guten“ Seite zu stehen. Die mediale Offensive, die als erster Teil einer umfassenden Kriegsstrategie begriffen werden kann, rechtfertigte mehr als 100.000 getötete irakische Soldaten und Zivilisten als direkte Folge der Angriffe sowie mehr als eine Million Opfer bis zum heutigen Tage, darunter viele Kinder und Alte, als Folge des Wirtschaftsembargos gegen den Irak. Dies stand jedoch nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Medien widmeten sich neuen Aufgaben, neuen Kriegen, u.a. im ehemaligen Jugoslawien. Und auch die PR-Agenturen fanden neue Auftraggeber, u.a. die PR-Agenturen Ruder Finn und Waterman in Kroatien, Bosnien und im Kosovo. James Harff, Chef von Ruder Finn in einem Interview: „Unser Job ist es nicht, Informationen zu überprüfen. Wir sind dafür auch nicht ausgerüstet. Unsere Aufgabe ist es, (…) Informationen, die uns günstig erscheinen, schnell in Umlauf zu bringen und ein sorgsam ausgewähltes Ziel zu treffen“. (Wesentliche Inhalte und Zitate in diesem Abschnitt wurden dem Buch „Kriegstrommeln“ der Journalistin Mira Beham entnommen).
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