Würstchen und Rebellen
Von Markus Deggerich
Rot-Grün kämpft immer noch um eine eigene Mehrheit für die Hartz-Reform. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz geht mit gutem Beispiel voran: Er selbst wäre bereit, auch als Würstchenverkäufer zu arbeiten, sagt er. Den Kritikern in den eigenen Reihen ist das völlig Wurst. Berlin - Für einen Sitzungsmarathon wie ihn die SPD-Chefs am Montag absolvierten, braucht man viel Sitzfleisch und ein paar süße Überraschungen: Morgens traf sich das SPD-Präsidium zur Lagebesprechung, mittags suchten die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen nach einigen Zuckerln, die sie ihren Neinsagern in den eigenen Reihen noch anbieten konnten und am Abend sollten die Abgeordneten eigentlich bei einer Probeabstimmung vorkosten, was in dieser Woche aus der rot-grünen Reformküche auf den Bundestagstisch kommt. Die Übung wurde dann erstmal auf Dienstag verschoben. Während Gerhard Schröder mit einem Mix aus (Rücktritts-)Drohungen und Zugeständnissen auf Zuckerbrot und Peitsche setzte, bevorzugte der Grüne Reinhard Bütikofer metaphorische Signale: "Am Beginn der Debatte sah es so aus, als würden zwei Züge aufeinander zurasen", beschreibt er den Streit der vergangenen Wochen um die rot-grünen Arbeitsmarktreformen. Doch mit einer Reihe von Änderungen ist die Bundesregierung den Rebellen in den Reihen von SPD und Grünen inzwischen entgegengekommen.
Trotzem wollen die Kritiker bis zuletzt offen lassen, wie sie abstimmen. Das garantiert ihnen zum einen weitere (Medien-)Aufmerksamkeit bis zum Finish im Bundestag. Zum anderen reklamieren sie "genügend Zeit für eine gründliche Prüfung der Kompromissvorschläge". Vorher können sie ihr Abstimmungsverhalten nicht festlegen, sagte der SPD-Linke Klaus Barthel. Bis Freitag haben sie noch Zeit. Dann will der Bundestag abschließend über die Reformpakete Hartz III und Hartz IV (Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe) abstimmen. Bundeskanzler Schröder hatte sein politisches Schicksal von einer eigenen Mehrheit für die Reformagenda abhängig gemacht.
Sein Fraktionsführer ist da, nachdem er zuletzt wüste Worte in Richtung Neinsager gesandt hatte, vorsichtiger geworden. Dass die Union anders als bei der Gesundheitsreform diesmal doch nicht mit Rot-Grün stimmen will, wird Müntefering nutzen, um seinen Leuten klarzumachen, wo der Feind steht. Er versucht es mit dem alten Trick: Die oder wir. Wer seinen Kanzler nicht stützt, wird zum Steigbügelhalter der Opposition. Vorsichtshalber hat er die Latte niedriger gelegt: Das Wort Kanzlermehrheit fällt nicht mehr so oft. Eine einfache Mehrheit sei auch eine Mehrheit erzählt Müntefering jetzt. Siegesgewiss klingt das nicht.
Mobbing und Erpressung
Seit Wochen attackieren die SPD-Linken um den Rebellen Ottmar Schreiner die Arbeitsmarktreformen als unsozial und ungerecht für kleinere und mittlere Verdiener. Die Auseinandersetzung mit den Kritikern hatte ein bisher unbekanntes Maß an Härte erreicht. Schreiner attestiert Müntefering Mobbing und Erpressungsversuche.
SPD-Generalsekretär Olaf Scholz versuchte sich als Schlichter und verkündete am Montag "Präzisierungen am Gesetzestext", die den Kritikern eine Zustimmung versüßen soll. Die Änderungen betreffen die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose, die Unterstützungspflichten für Angehörige und die Vermögensanrechnung für die Altersvorsorge. Konkret werden Verwandte ersten Grades nicht zur Unterstützung für Empfänger des Arbeitslosengeldes II herangezogen.
DPA "Ich fände das in Ordnung": SPD-General Scholz auf die Frage, ob er sich auch für sich selbst einen Job als Würstchenverkäufer vorstellen könnte.
Großzügigere Regelungen wurden auch für die Altersvorsorge vereinbart. Jetzt wird bei Sozial- und Arbeitslosenhilfeempfängern ein Vermögen von 200 Euro monatlich nicht herangezogen. Das sogenannte "Schonvermögen" wird um weitere 200 Euro monatlich erweitert, wenn es für die Altersvorsorge genutzt und erst nach dem 60. Lebensjahr angetastet wird. Das sei eine "sehr vernünftige Lösung", lobte Scholz sich selbst.
Würstchenverkäufer Scholz
Schwammig bleiben die Regelungen in den Augen der Skeptiker jedoch bei der Frage: "Welche Arbeit ist zumutbar?" Muss ein arbeitsloser Akademiker aus Lübeck demnächst eine Tätigkeit als Rasenmäher in Freiburg annehmen? "Die Arbeit, die ein Mitbürger macht, kann auch für einen selbst nicht unwürdig sein", gibt Scholz die Richtung vor. Gefragt, ob auch er sich selbst einen Job als Würstchenverkäufer vorstellen kann, erklärte der zuletzt scharf kritisierte Generalsekretär: "Ich fände das in Ordnung." Für die Arbeitsämter hingegen, die diese Regelung in der Praxis umsetzen sollen, sind solche Erklärungen dagegen wenig nützlich - sie wissen schlicht nicht nach welchen Kriterien sie künftig entscheiden sollen.
Auch bei der Bezahlung der Mini-Jobs bleibt die Koalition unscharf. Die Neuregelung darf keine Aufforderung zu Dumping-Löhnen sein, sagt Scholz. Die Entlohnung solle sich einfach nach ortsüblichen Tarifen richten - eine Formulierung, die bei Gewerkschaftern und Genossen alter Güte Zornesröte ins Gesicht treibt. Für sie ist das das Einfallstor, um die ihre Flächentarife auszuhebeln und Arbeiter wieder zu Tagelöhnern zu machen.
"Ständiges Medienohr"
Lustig ist auch der SPD-interne Kampf darum, wer denn nun wem im Ringen um den richtigen Reformweg auf den Boden gedrückt habe. Besonders das Kanzler-Lager war auffällig bemüht den Eindruck zu vermeiden, man vor dem halben Dutzend roter Rebellen eingeknickt. "Wo hat es denn Änderungen gegeben?", zeigte sich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement nach den Sitzungen gespielt überrascht. Allenfalls zu einigen Klarstellungen in den Gesetzen habe man sich bereit gefunden.
Union als Ersatzspieler
Schröder selbst gab sich am Montag betont gutgelaunt und nahm es sportlich. Das vergangene Wochenende sei doch gut gelaufen, freute sich der Kanzler. Fußball-Weltmeister bei den Frauen, das 3:0 der Herren gegen Island und dann noch "Schumi mit dem dollstem Sieg aller Zeiten".
Aber auch der sportliche Schröder weiß: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Denn er hat nicht nur Gegenspieler in den eigenen Reihen und weitere schwierige Abstimmungen vor sich. Während der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit in eine "moderne Dienstleistungsagentur" (Hartz III) nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, muss die unionsdominierte Länderkammer zum Beispiel die Neuregelungen beim Arbeitslosengeld absegnen. Dann könnte die Union Schröders Zugeständnisse an seine internen Kritiker gleich wieder einsammeln.
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