Der Januar ist der Monat der Klausurtagungen und Dreikönigstreffen. Zur Einstimmung der Bürger gibt es Polit-Theater mit Guido Westerwelle, Symbolik mit Wolfgang Schäuble und die telegene Rückkehr des Intimpolitikers: Wolfgang Clement bei der Nassrasur in Boxershorts und Helmut Kohl im abgedunkelten Bungalow.
Berlin - Es ist noch nicht lange her, knapp viereinhalb Wochen, da sagte Guido Westerwelle zu einem SPIEGEL-Reporter: "Ich kalkuliere keine Rolle mehr. Ich mache nur noch das, was ich für richtig halte." Aha, der FDP-Chef will zurück zur "Ernsthaftigkeit". Nach dem Containerbesuch in der "Big-Brother"-Show und 18-Prozent-Markierung an den Schuhsohlen schien der Liberale auf dem Weg der Genesung. Doch irgendwie muss ihm sein Anspruch über Neujahr verloren gegangen sein. In der Montagsausgabe der "Bild", einen Tag vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen, erlitt der FDP-Lautsprecher einen schlimmen Rückfall. "Unter dem Deckmantel vom Kampf gegen die Schwarzarbeit marschiert Finanzminister Hans Eichel in den sozialistischen Überwachungsstaat", fabulierte er in gewohnter Trostlosigkeit. Demnächst stehe neben "jeder Putzhilfe ein Steuerfahnder", trompetete Westerwelle, als zöge mit dem geplanten Gesetz zur Eindämmung der Schwarzarbeit bei Haushaltshilfen die SED im Berliner Regierungsviertel ein.
Vier Autostunden von Berlin entfernt trafen sich derweil die sozialdemokratischen Genossen bei ihrer Klausurtagung in Weimar - und auch dort detonierten einige Spätzünder. Pünktlich nach den Sozial-Krachern des vergangenen Jahres zündete SPD-Generalsekretär Olaf Scholz in einem Grundsatzpapier zur Bildungspolitik die nächste Rakete und erklärte: "Wir müssen nach neuen Wegen suchen, damit die deutschen Hochschulen mit international renommierten Universitäten im Ausland besser mithalten können." Damit hat Scholz der SPD wieder ein Problem beschert: Sie muss sich nun mit dem unschönen Schlagwort von der "Eliteuniversität" herumärgern. Das steht zwar so nicht im Scholz-Papier, die Medien haben es aber so begriffen.
Und so quält sich die SPD in der Denkerstadt in Erklärungsnöte hinein. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis gab vor der Präsidiums- und Vorstandsitzung am Montag in Weimar ein Beispiel ab: Sie sei zwar nicht gegen Elitehochschulen, es müsse aber darum gehen, alle deutschen Universitäten international wettbewerbsfähig zu machen.
Supermann halb nackt
Das heißeste Gesprächsthema während der Winter-Klausur in der Goethestadt dürfte jedoch ein anderes sein: die Halbnacktbilder des Spitzengenossen Wolfgang Clement. Der praktiziert, was selbst Westerwelle zu viel gewesen wäre: Die neue Lust an der Vollintimität. In ausgeleierten Boxershorts ließ sich der Bundeswirtschafts-Arbeits-Superminister leise summend in seiner Berliner Wohnung bei der Nassrasur filmen. Wenn die Genossen zeitig zu Bett gehen und in Weimar WDR zu empfangen ist, können sie ihren heimlichen Ersatzkanzler heute um 22.30 Uhr in Augenschein nehmen. Und manch einer wird dabei feststellen, dass Rudolf Scharping mit seinen drolligen Plantschfotos doch eigentlich ganz nett war... Das Jahr 2004 überfällt die Deutschen also mit reichlich Polit-Soaps aus der allerersten Reihe. Ähnlich intim, wenn auch auf einem besseren Sendeplatz, geht es im Portrait über Helmut Kohl zu, mit dem die ARD die Zuschauer am Montagabend um 21.45 beglückt. Selbst in dem - nach dem Selbstmord seiner Frau Hannelore - noch immer abgedunkelten Wohnzimmer in Oggersheim durften die Reporter den Altkanzler filmen. Wenn das keine Einblicke sind! "Ein deutscher Kanzler der Superlative" hat "Bild" vorab schon einmal vermeldet und, mitfühlend wie immer, gleich drei Punkte für "Information" und "Unterhaltung" vergeben.
Kohls Hardcore-Intimtour dürfte in der Tat weitaus spannender werden als die mehr oder weniger routinierte Klausurtagung, zu der sich seine Altpartei, die CDU, am kommenden Wochenende in Hamburg trifft. Dort geht es vor allem um eines: dem dortigen Spitzenkandidaten und Noch-Bürgermeister Ole von Beust seinen Wiederwahlkampf zu erleichtern.
Die CSU nimmt ein Wildbad
Davor nimmt die CSU auf ihrer Klausur am Dienstag im winterlich verschneiten Wildbad Kreuth Maß, zum 25. Mal. Nicht nur, dass die Bayern unter Edmund Stoiber ein eigenständiges Steuerkonzept vorstellen werden, das von dem des CDU-Fraktionsvizes Friedrich Merz gehörig abweicht. Die Partei übt sich auch im Symbolischen.
In der gemütlichen Atmosphäre des Orts, wo einst nach der verlorenen Bundestagswahl von 1976 CSU-Chef Franz-Josef Strauss über die Schwesterpartei und insbesondere Kohl tobte und die (später wieder hergestellte) Fraktionsgemeinschaft aufkündigte, wird auch indirekt die Bundespräsidentenwahl zur Rede stehen. Sorgfältig vorbereitet, hat die CSU den immer wieder gehandelten Aspiranten Wolfgang Schäuble als Gastredner eingeladen. Der kommt - und beweist damit, dass er das Geschäft dosierter Aufmerksamkeit noch immer meisterhaft versteht. Der CDU-Vizefraktionschef hat sich zwar bis heute, kluger und erfahrener Taktiker wie er ist, nicht offiziell zu einer Kandidatur bekannt. Das Kreuther Signal aber dürfte auch bei CDU-Chefin Angela Merkel ankommen.
Bloß einem kann der ganze Rummel ganz egal sein. Er hat ihn hinter sich: Johannes Rau. Der Noch-Bundespräsident empfängt am Mittwoch ausgewählte Bürger in seinem Berliner Amtssitz, dem Schloss Bellevue, zum letzten Neujahrsempfang in seiner fünfjährigen Amtszeit. Im Mai soll dann der Umbau des altersschwachen Baus beginnen - behindertengerecht übrigens, mit einem Aufzug für Rollstuhlfahrer, glatten Steinen statt holprigem Pflaster im Ehrenhof und einer Rampe neben der Treppe zum Park. In Bellevue will man auf alles vorbereitet sein.
spiegel.de
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