Ich habe in meinem Börsenleben schon zwei Crashs gesehen (Neuer Markt und Finanzkrise) und bei keinem von ihnen Geld verloren, da ich immer einen Value- und Fundamental-orientierten Investmentansstz gefahren bin. Unternehmen, deren Geschäftsmodell ich nicht verstehe oder nicht für langfristig tragfähig erachte, kaufe ich grundsätzlich nicht.
Auch der Corona-Crash hat mich zunächst nicht getroffen. Ich bin bereits im Januar aus den meisten Aktien rausgegangen, als China angefangen hat, Millionenstädte und ganze Regionen von der Größe Deutschlands abzuriegeln. Mir war klar, da rollt etwas ganz Großes auf uns zu! Aktien wollte ich da besser nicht mehr halten. Die folgenden ATH der Indizes habe ich nur kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen, denn das Pandemie-Risiko war für mich so offensichtlich, dass ich die Euphorie der Börsen beim besten Willen nicht nachvollziehen konnte.
Dann kam der Crash. Ich habe mich gefreut und mit meinem Cash kräftig eingekauft, zu - aus heutiger Sicht - traumhaften Kursen. Eine Porsche zu 29,xx €, eine Shell B zu 9,X €, eine Thyssenkrupp zu 3,50 € usw. Ich habe dabei erwartet, dass dieser Crash genauso laufen wird, wie frühere Crashs: nach dem ersten Einbruch kommt eine deutliche Korrektur und anschließend die nächste Abwärtswelle - mindestens bis zu den März-Tiefs. Eine solche zweite Abwärtswelle war für mich offensichtlich, da die Kurse - aus meiner Sicht - noch viel zu hoch standen für den Beginn der größten Rezession der letzten Jahrzehnte. Die Vorstellung einer V-Erholung hielt ich für absurd. Allenfalls ein W konnte ich mir vorstellen, doch auch tiefere Tiefs hielt ich nicht für ausgeschlossen.
Ich habe daher bei ca. 10.000 DAX-Punkten mein Depot geleert und auf die nächste Abwärtswelle gewartet, die jedoch einfach nicht kommen wollte. Stattdessen stiegen die Kurse immer weiter und ich bekam FOMO-Gefühle. Da ich immer noch Short eingestellt war, ging ich nicht Long, sondern kaufte Puts - und verbrannte damit meine vorherigen Corona-Gewinne wieder vollständig (ja, ich habe im Ergebnis sogar etwas Verlust gemacht).
Dann begann ich nachzudenken, was diesmal anders war als bei früheren Crashs und warum mein gesammelte Erfahrungswissen nichts mehr half? Dabei wurde mir klar: Es sind die Zinsen! Wo soll das Geld hin, wenn nicht in Aktien?
Festverzinsliche Anlagen bringen weltweit keine Zinsen mehr. Immobilien sind - wegen der niedrigen Zinsen - irreal teuer geworden, ähnliches gilt für Gold. Und Cash ist wegen der Inflation auch keine Lösung. Wo also soll ein Kleinanleger sein Geld investieren, wenn nicht in Aktien? Ja, die Unternehmen werden weniger Geld verdienen und die Aktienrendite wird sinken. Aber die Rendite liegt immer noch um ein Vielfaches höher als bei festverzinslichen Anlagen. Solange das so ist, werden die Kurse weiter steigen. Egal wie es um die reale Wirtschaft bestellt ist. Nicht die absolute Rendite der Kapitalanlagen ist entscheidend sondern die relative (im Vergleich zu Anleihen, Immobilien etc.). Vor Corona hatten viele Anleger (und ich auch) noch die Erwartung/Hoffnung, dass die Niedrigzinsphase nur eine Episode ist und die Zinsen in den Folgejahren wieder steigen werden. - Diese Erwartung kann man realistischerweise nach Corona nicht mehr aufrechterhalten. Höhere Zinsen werden wir in den nächsten (mindestens) 10 Jahren nicht mehr sehen, sondern japanische Verhältnisse haben. Hierauf kann und muss man sich bei der Kapitalanlage einstellen.
Hinzu kommt, dass durch Sparpläne und ETF die Aktienanlage für Kleinanleger heute so einfach und günstig ist, wie nie zuvor. Früher fraßen die Gebühren (Ausgabeaufschläge, Verwaltungsgebühren, Kauf- und Verkaufsgebühren) einen großen Teil der Renditen wieder auf und machten eine Anlage in Aktien für Kleinsparer unattraktiv. Das ist heute anders. Auch kleine Beträge können nun kontinuierlich in den Aktienmarkt fließen und die Kurse nach oben treiben.
Schließlich wurden durch die Politik Risiken aus dem Markt genommen, die früher einem Aktieninvestment entgegen gestanden haben. Die Zentralbanken sorgen für stetige Liquidität und Insolvenzen sind (von wenigen Einzelfällen abgesehen) nicht mehr erwünscht. Unternehmen müssen keinen Gewinn mehr machen. Das erleichtert ein Investment.
Solange die Zinsen daher nicht nennenswert steigen (was sie m.E. nicht tun werden), werden die Indizes weiter steigen. Ich bin zum Corona-Bullen geworden, der bis auf Weiteres nur noch technische Korrekturen und einzelne begrenzte Rücksetzer erwartet, aber keine größere Abwärtswelle mehr.
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