Tun wir so, als hätten wir es nicht bemerkt!

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eröffnet am: 12.05.06 18:54 von: Kannibale Anzahl Beiträge: 1
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12.05.06 18:54

742 Postings, 8902 Tage KannibaleTun wir so, als hätten wir es nicht bemerkt!

Dieser Slogan fand sich einmal in der Werbung für „After Eight“. Aber er passt auch recht gut zum aktuellen politischen und wirtschaftlichen Geschehen:
Als die US-Regierung Anfang 2003 den Irakkrieg vorbereitete, bombardierte sie lange vor Bagdad die eigene Bevölkerung. Und zwar mit einem Bündel aus abstrusen Beweisen, dilettantischen angeblichen Geheimdiensterkenntnissen und geradezu aberwitzig anmutenden Bedrohungsszenarien.

Die präsidiale Konstruktion der Wirklichkeit

In meinem im März 2003 erschienenen Kapitalschutzreport bezeichnete ich dieses Vorgehen als „die präsidiale Konstruktion der Wirklichkeit.“ Was mir prompt eine Fülle von bösen Briefen bis hin zu anonymen Drohungen bescherte.
Heute hat sich das Blatt gewendet; Präsident Bush und Großbritanniens Premier Blair sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Wahrheit bewusst „manipuliert“ zu haben, die Umfragewerte beider Staatslenker sind auf historische Tiefs gesunken.

Dass die kriegsbegründeten Argumente einfach nicht stichhaltig sein konnten, habe ich damals schlüssig dargelegt. Es bedurfte jedoch zweiter langer Jahre und Tausender von Toten auch bei der „Koalition der Willigen“, um die Bevölkerung der USA und auch Großbritanniens wachzurütteln. Bis dahin galt die in der Überschrift genannte Devise.

Die Gretchenfrage nun:

Könnte es sein, dass die US-Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung und der internationalen Anlegergemeinde auch auf anderen Gebieten mit „gezinkten Karten“ spielt. Und könnte es sein, dass es auch hier Entwicklungen gibt, die eigentlich jeder Anleger sehen kann, aber einfach nicht sehen will, solange er davon profitiert? So wie hier in Deutschland bei der Entwicklung der demographischen Kurve, deren Konsequenzen seit den 70er Jahren in jedem Schulbuch nachzulesen waren?

Meine Antwort: Genau so ist es. Haben Sie sich einmal gefragt, wie es eigentlich sein kann, dass die Inflationsraten weltweit im Keller geblieben sind, obwohl sich der Ölpreis seit 1999 versiebenfacht hat, während sich die im CRB-Index enthaltenen Rohstoffe allein seit Ende 2001 verdoppelt haben? Oder haben Sie einmal darüber nachgedacht, wieso die offiziellen verfügbaren Einkommen der US-Bürger steigen, während die Menschen immer weniger im Portemonnaie haben?

Zieloptimierte Statistikführung contra Realität

Ich sage es Ihnen: Die Daten werden manipuliert. Und zwar so, dass die Inflationsrate niedriger erscheint als sie tatsächlich ist, während die konjunkturellen Wachstumsparameter positiver dargestellt werden als sie sind.

Begonnen hat diese Ökomagie bereits unter Präsident Kennedy, am drastischsten fielen die statistischen Beschönigungen unter Bill Clinton aus. Und heute: Daten, die nicht ins Konzept passen (wie zuletzt die Geldmenge M3) werden einfach nicht mehr veröffentlicht.

Schauen Sie sich die Arbeitsmarktdaten in den USA an, auf die die Finanzmärkte immer so begierig warten. Zuerst wurde diese Statistik gesplittet: Arbeitslose, die es aufgegeben hatten, sich um eine Stelle zu bemühen, wurden zuerst in die neu geschaffene Kategorie „entmutigte Arbeitnehmer“ ausgelagert. Unter Präsident Clinton wurden diese Arbeitslosen, so sie länger als ein Jahr ohne Beschäftigung waren, vollends aus der Arbeitslosenstatistik entfernt. Rund 5 Millionen Betroffene waren plötzlich nicht mehr „arbeitslos“.

Heutzutage werden in den USA sechs Statistiken zum Arbeitsmarkt veröffentlicht. Das, dem die Akteure an den Finanzmärkten jeden Monat entgegen fiebern, ist „U3“. Die umfangreichste Statistik ist „U6“. Allein danach liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei etwa 9 Prozent. Rechnen Sie die statistischen „Bereinigungen“ mit hinzu, kommen Sie auf eine Zahl von annähernd 12 Prozent.

Bekanntestes Beispiel der kreativen Statistikführung ist der Steak/Hamburger-Trick. Wie Sie wissen, wird zur Berechnung die Preisentwicklung eines so genannten Warenkorbs herangezogen. Alan Greenspan und Michael Boskin, der damalige Chef des Rats der Wirtschaftsberater des Präsidenten, kamen Anfang der 90er Jahre auf einige findige Idee: Zog der Preis eines bestimmten Produkts des Warenkorbs zu stark an, wurde dieses Produkt einfach durch ein preiswerteres ersetzt.

Rindersteaks machten so im Warenkorb Platz für Hamburger. Weitere dieser so genannten Substitutionen folgten – die Inflationsrate blieb niedrig, obwohl sie jetzt keine Konstante mehr war, sondern die Berechnung eines sich verschlechternden Lebensstandards.

Das Ziel, die Daten möglichst positiv aussehen zu lassen, ist unverkennbar. Der verrückteste bekannteste Mosaikstein in dieser baufälligen Kathedrale einer scheinbar heilen Daten- und Finanzwelt stammt von Präsident Johnson, der die Berechnungen ihm vorgelegten Berechnungen des Bruttoinlandsprodukts so lange an das Wirtschaftsministerium zurück sandte, bis ihm das Ergebnis gefiel.

Handeln Sie so, als hätten Sie es bemerkt!

Das Erstaunlichste ist eigentlich nicht, dass Daten manipuliert werden. Das Erstaunlichste ist, dass diese Hollywoodisierung der Wirklichkeit seit vielen Jahren bekannt ist, ohne jemals zu einem politischen oder finanziellen Desaster oder auch nur einem Aufschrei der Bevölkerung geführt zu haben. Und dass die Finanzanalysten das ihnen vorgelegte Datenmaterial so behandeln und interpretieren, als hätte es all die Verbiegungen und „Optimierungen“ niemals gegeben.

Ich bin mir sicher: Aber auch dieser Krug wird nur so lange zum Brunnen gehen, bis er bricht. Und das dürfte innerhalb der kommenden 9 Monate sein. Und dann wird es ganz wesentlich darauf ankommen, wer zuerst durch den Notausgang kommt. Und wer zuletzt.

Gehen Sie nicht von einem geordneten Rückzug aus dem US-Dollar, den US-Bonds und den Wall Street-Aktien aus. Und denken Sie daran, dass Ihnen Stoppkurse nur bedingten Schutz bieten, insbesondere auch, wenn Sie in den heiß gelaufenen Futures- und Commodity-Märkten unterwegs sind. Wenn Sie nicht wissen, was eine „Limitbewegung“ ist, dann sollten Sie diese Wissenslücke sehr schnell schließen. Das gilt übrigens 1 : 1 auch für Anleger, die in Optionsscheinen oder Zertifikaten auf Rohstoffe investiert sind.

Viel Glück – denn das werden Sie in diesem Jahr noch brauchen!

Axel Retz

PS Ist Ihnen übrigens aufgefallen, dass der Euro heute gegenüber dem US-Dollar höher steht als zu Beginn der 15 Zinserhöhungen der Federal Reserve? Denken Sie einmal darüber nach, was wohl geschehen wird, wenn die amerikanische Notenbank nun die Zinsanhebungsserie beendet oder gar die Leitzinsen senkt!

Der Verfasser ist Herausgeber des seit 2003 erscheinenden „Kapitalschutz-Brief“. Kontakt: www.kapitalschutz-brief.de oder per E-Mail: ksb@axel-retz.de

Quelle: www.finanztreff.de, 11.05.06

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Finde ich sehr interessant. Ist es wirklich so schlimm? Werden wir alle systematisch und kollektiv manipuliert und irregeführt? Und verschließen wir wirklich die Augen, solange wir davon profitieren?
 

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