Ein Herz für Temposünder Die Gnade des R. Schill
Der Hamburger Innensenator Ronald Schill ist ein Freund der Autofahrer und ein Feind der Blitzanlagen. Deshalb müssen Autofahrer in Hamburg vor letzteren kaum noch Angst haben - und ihre Geschwindigkeit innerhalb von Ortschaften vorerst auch nicht mehr auf 50 Stundenkilometer beschränken. Denn mittlerweile weiß jeder dank dem "Hamburger Abendblatt", dass die hanseatische Verkehrsüberwachungsanlagen auf Wunsch von Schill erst ab einem Tempo von 65 Kilometer pro Stunde blitzen. Vorher hatte die Toleranzschwelle bei 59 gelegen. Mit Bekanntwerden der Anhebung hat der Senator ein Problem. Denn welcher potenzielle Temposünder fährt schon langsamer, wenn er gar nicht muss. Schills Projekt, Tempo 60 auf vielen Hauptstraßen durchzusetzen, könnte damit schneller wahr werden, als ihm lieb ist. Schuld sind für ihn die Medien, die das Thema gegen den ausdrücklichen Wunsch der Behörde" an die Öffentlichkeit brachten. Doch Schill wäre nicht Schill, würde er jetzt die Schwelle einfach wieder herabsenken. Er versucht es lieber mit einem Hinweis unter Freunden: Seine Behörde werde die Toleranzgrenzen wieder senken, "sollten die Hamburger Autofahrer nach der Veröffentlichung der Toleranzgrenzen ihre durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit anheben", ließ er am Mittwoch mitteilen. Er gehe aber davon aus, "dass sich alle Verkehrsteilnehmer auch in Zukunft an die Regeln der Straßenverkehrsordnung halten", appellierte er an die Auto-Klientel. Man darf gespannt sein, ob Schill die Geister, die er rief, wieder los wird. Im Wahlkampf hatte er den Kampf gegen die "Abzockerei" durch Geschwindigkeitsmesser propagiert. Seit seinem Amtsantritt setzt er seine Versprechen medienwirksam in die Tat um - so ließ sich etwa beim Abbau von "überflüssigen" Blitzanlagen fotografieren. Gleichzeitig betätigte sich sein Parteifreund Bausenator Mario Mettbach als "Poller-Terminator" und ließ überall in der Stadt störende Hindernisse entfernen. Doch auch für Schill ist Autofahrer nicht gleich Autofahrer. Am liebsten sind ihm die, die sich zügig in den Verkehrsfluss einfügen und nicht sinnlos in der Gegend herumstehen. Zweite-Reihe-Parker oder Blockierer von Ladeeinfahrten etwa sind ihm ein Greuel. Und so setzt er seit einiger Zeit eigens für diese Gruppe der Verkehrsfluss-Störer eine Truppe mit 30 männlichen und weiblichen Politessen ein, die im ganzen Stadtgebiet fleißig Knöllchen verteilen. "Wir haben da schon eine Verhaltensänderung erreicht", erklärt Schills persönlicher Referent Marc März stolz. Weniger erfreut dürfte die Behörde über die neueste Verkehrsunfall-Statistik sein. Zwar werden die Zahlen erst nächste Woche offiziell veröffentlicht, aber März bestätigte bereits vorab einen Bericht der "Welt", wonach die Zahl der Unfälle mit verletzten Kindern gestiegen sei. "Ein Zusammenhang mit erhöhter Geschwindigkeit ist da aber nicht unbedingt gegeben", betonte er. Das müsse erst noch ausgewertet werden. Insgesamt sei die Unfallzahl aber gesunken. Die SPD jedenfalls hat in der Heraufsetzung der Toleranzschwelle schon einen "Freibrief für Raser" erkannt. Und Jörg Lühmann von den Grünen vermutete in der "Hamburger Morgenpost": "Der Senat will sich eine Raserlobby aufbauen – koste es, was es wolle". Lisa Arns, AP
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