AKTIENMARKT Die Steinbrück-Rally Von Kai Lange
Die Börse boomt, doch kaum ein deutscher Privatanleger ist dabei. Das dürfte sich bald ändern: Denn wer bis zum Jahr 2008 noch einsteigt, kann Steuern sparen.
Es wimmelt derzeit von Jubiläen. Der Dax steht kurz vor seinem Sechsjahreshoch, die Bundesregierung feiert sich selbst für ein Jahr Arbeit mit Reformplacebos, und die Deutsche Telekom beging angemessen verschämt den zehnten Jahrestag ihres Börsengangs. Gleichzeitig ziehen deutsche Anleger so viel Geld aus Fonds und Aktien ab wie seit Jahren nicht: Warum nur, jammert die Finanzbranche, bleiben deutsche Sparer so defensiv?
Erholt, doch Anleger bleiben fern Nach der Absatzstatistik des Bundesverbandes Investment (BVI) haben Anleger seit Jahresbeginn unter dem Strich rund fünf Milliarden Euro aus Aktien und Aktienfonds abgezogen. Allein im Oktober mussten Aktienfonds Abflüsse von rund 1,2 Milliarden Euro hinnehmen.
Die Skepsis der Deutschen gegenüber der Börse hat viel mit der Nullnummer der Deutschen Telekom zu tun. Dass die "Volksaktie" nach zehn Jahren wieder unter ihrem Emissionspreis dümpelt, ist traurig genug. Noch schmerzlicher aber erwischte es Anleger, die im Juni 2000 unvorsichtigerweise T-Aktien der dritten Tranche zu 66,50 Euro zeichneten: Wer dem Bund damals Aktien für 10.000 Euro abkaufte, hat heute noch rund 2000 Euro im Depot. Das macht nicht unbedingt Appetit auf noch mehr Aktien.
"Erholung weitgehend verpasst"
Ein Blick auf die Deutsche Telekom genügt nicht, um das Grauen in deutschen Depots voll zu erfassen. Die Aktie der Allianz , im Jahr 2000 zu rund 400 Euro gekauft - mehr als 50 Prozent Verlust bis heute. DaimlerChrysler , ein weiterer Standardbaustein im Portfolio: 1998 bei 100 Euro, heute bei knapp 50 Euro. Der Elektronikkonzern Siemens müsste um rund 50 Prozent steigen, um die Notierung aus dem Jahr 2000 wieder zu erreichen.
Zwar haben sich diese Werte seit Frühjahr 2003 wieder erholt und ausgehend vom Tiefstkurs sogar fast wieder verdoppelt. Doch wer will es einem Anleger verdenken, dass er nach atemberaubender Talfahrt damals nicht mit vollen Händen nachgekauft hat?
"Die Deutschen haben die Erholung an den Aktienmärkten weitgehend verpasst", bilanziert Allianz-Vorstand Joachim Faber. Ihnen fehle die "Geduld, ihr Geld langfristig anzulegen" sowie die Ruhe, Investitionen in Aktien durchzuhalten, auch wenn die Kurse eine Zeit lang abrutschen. Während zum Beispiel US-Anleger nach dem Crash beizeiten wieder eingestiegen sind, haben die Deutschen noch immer Nachholbedarf. Ein großer Teil der Kauforders im Dax geht auf das Konto ausländischer Investoren.
Doch zum Glück hat Deutschland eine forsche Bundesregierung, die den störrischen Bundesbürger endlich zum Handeln bewegt. Nicht durch neue, wolkige Renditeversprechen für die Deutsche Telekom, sondern mit dem schlagenden Argument Steuervorteil. Die Einführung der Abgeltungsteuer ab 2009 bedeutet eine Zeitenwende und dürfte dem deutschen Aktienmarkt in den kommenden zwei Jahren mehr Nachfrage durch inländische Anleger bescheren.
Wer bis 2008 kauft, spart Steuern
Wer 2007 und 2008 noch Geld in Aktien oder Aktienfonds investiert, sichert sich nach altem Recht die Steuerfreiheit auf langfristige Erträge. Wer jedoch mit dem Investment bis 2009 zaudert, der soll 25 Prozent Abgeltungsteuer auf den Vermögenszuwachs zahlen. Die Haltedauer der Papiere spielt dabei laut den Eckpunkten zur Abgeltungsteuer keine Rolle.
Die neue Besteuerung macht einen Riesenunterschied aus, wenn man auf mögliche langfristige Renditen blickt. Aus 10.000 Euro werden innerhalb von 20 Jahren bei einer jährlichen Durchschnittsrendite von 7 Prozent knapp 40.000 Euro.
Ein Anleger, der noch vor 2009 investiert, kassiert diese mögliche (und mit Blick auf die zurückliegenden Langfristrenditen nicht unrealistische) Endsumme steuerfrei. Für Investments ab 2009 würde der Wertzuwachs von 30.000 Euro mit 25 Prozent Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag plus Kirchensteuer belastet, der Sparer erhielte also statt 40.000 nur noch 32.000 Euro ausgezahlt.
"Die Langfristperformance von Aktien wird durch die geplante Abgeltungsteuer deutlich verschlechtert", bestätigt Reinhold Schnabel, Professor für Ökonomie an der Universität Essen, gegenüber manager-magazin.de. Aktien würden ab 2009 im Vergleich zu festverzinslichen Papieren uninteressanter, Anleihen dagegen interessanter. Schnabel befürchtet, dass die neue Steuer "das Risikokapital in Deutschland belastet": Warum sollten Anleger das Risiko von Kursschwankungen noch auf sich nehmen, wenn Aktien nach Steuern nicht deutlich mehr Rendite abwerfen als festverzinsliche Papiere.
Für Anleger, die für das Alter oder für die Kinder vorsorgen wollen, sind Aktieninvestments zumindest noch bis Ende 2008 interessant: Selbst dann, wenn der Dax nach drei Jahren steigender Kurse in den kommenden 24 Monaten stagnieren oder wieder nachgeben sollte.
Bislang wurden Kurseinbrüche auf lange Sicht gesehen am Aktienmarkt stets ausgeglichen, wie das aktuelle Rekordhoch im Dow Jones und die deutliche Erholung des Dax seit 2003 zeigen. Und es ist nicht egal, ob man bei einem Investment von 10.000 Euro nach 30 Jahren 100.000 Euro (bei 8 Prozent durchschnittlicher Jahresrendite) oder nur 77.000 Euro (bei 25 Prozent Abgeltungsteuer auf den Wertzuwachs) ausgezahlt bekommt.
Vorzieheffekte: Machs noch einmal, Peer
Finanzminister Steinbrück kann langfristig nicht nur mit satten Mehreinnahmen aus den Taschen der Sparer rechnen. Ihm könnte der gleiche Coup gelingen wie durch die angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer: Man motiviert Bürger zum Geldausgaben, nicht etwa indem man sie entlastet (das würde ja Geld kosten), sondern indem man ihnen glaubhaft versichert, dass sie in naher Zukunft noch stärker belastet werden.
"Vorzieheffekt" heißt das vornehm auf Politikerdeutsch, und es gilt für den Autokauf wie für den Aktienmarkt: Wenn ihr jetzt nicht endlich kauft, müsst ihr später halt noch mehr Steuern zahlen.
Nicht ausgeschlossen, dass die deutschen Anleger spätestens bis Ende 2008 wieder vermehrt Aktien kaufen und diese erhöhte Nachfrage als "Steinbrück-Rally" ihre Spur im Dax-Chart hinterlässt. Die Uhr tickt, Finanzberater sind mit neuen Argumenten ausgestattet und werden wortreich erklären, warum man "jetzt noch kaufen und halten" muss.
Für die Finanz- und Versicherungsbranche ist dies nach den deutlichen Nachbesserungen bei der Riester- und Rürup-Rente ein neuer Steilpass aus Berlin. Doch was kommt danach, ab Januar 2009?
Jüngere müssen mehr Geld zurücklegen
"Die Gefahr besteht, dass Anleger durch die Abgeltungsteuer wieder vermehrt in unproduktive Sparformen wie das Sparbuch getrieben werden", meint Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Wer bislang seine Zinseinkünfte oberhalb des Freibetrags zu einem persönlichen Steuersatz von 35 bis 40 Prozent, ab 2009 aber nur noch zu 25 Prozent versteuern muss, der könnte den riskanteren Dividendenpapieren in der Tat den Rücken kehren.
Die geplante Trennung zwischen Alt- und Neufällen gewährt Aktionären bis Dezember 2008 zwar noch einen Ausweg, doch die künftigen Belastungen müssen dann erneut die Jüngeren ausbaden: Sie müssen noch mehr Geld für die Altersvorsorge zurücklegen, da der Fiskus stärker mitverdienen will.
Doch noch können Sparer ja kaufen - auch wenn der Dax im kommenden Jahr an Schwung verlieren sollte. "Das ist mein Aufschwung", könnte ein beseelter Finanzminister im November 2008 rufen, wenn sich Anleger auf den letzten Drücker noch Steuerfreiheit sichern wollen, und die Bundesregierung zum dreijährigen Dienstjubiläum noch ein paar positive Schlagzeilen braucht.
Und vielleicht, ganz vielleicht stößt man im Jahr 2018 dann auch auf ein paar glückliche Telekom-Aktionäre, die 2008 noch rasch gekauft und eine nennenswerte Zehnjahresrendite mit der Volksaktie erzielt haben.
SPIEGEL ONLINE - 25. November 2006, 16:36
Fazit; Die Aktienrally KÖNNTE bis 2008 anhalten, zumindestens in Deutschland
|