06.03.2014
Brüssel, Rom, Moskau, Dublin, Berlin, WashingtonEuropa verhandelt an allen Fronten
Von Christoph Herwartz
Die Lage in der Ukraine überlagert Routinesitzungen mit hektischer Krisendiplomatie. Außenminister und Staatschefs fliegen quer durch Europa, um Russland irgendwie zu Verhandlungen zu bewegen. Wie wird Putin reagieren?
Angela Merkel mit David Cameron, Traian Basescu und José Manuel Barroso in Brüssel bei einem Sondergipfel zur Krise in der Ukraine.(Foto: REUTERS)
Das Außenminister-Treffen in Rom hätte eigentlich sehr ruhig werden können. Es sollte darum gehen, aus dem wackeligen Libyen langfristig einen stabilen Staat zu machen. Doch das Thema war natürlich ein anderes. Denn auch Sergej Lawrow war gekommen, der Außenminister Russlands, das seit Tagen die ukrainische Halbinsel Krim besetzt hält. Experten fürchten eine neue Teilung Europas, wie es sie im Kalten Krieg gab, vielleicht sogar einen Krieg in der Ukraine, der dann auch leicht auf andere Staaten übergreifen könnte. Aus Angst vor einem Krieg zwischen Nato und Russland traten die Sorgen um Libyen vollkommen in den Hintergrund. Die westlichen Minister wie der deutsche Frank-Walter Steinmeier versuchten, mit Lawrow über die Krimkrise zu sprechen. US-Minister John Kerry sprach dazu sogar unter vier Augen mit seinem Kollegen. "Die Krim ist Teil der Ukraine ", sagte Kerry, doch an Lawrow prallte das ab.
Die Minister gaben im italienischen Außenministerium, dem "Palazzo della Farnesina" in Rom, nur den Auftakt zu einem Tag der Diplomatie, dessen Schauplätze quer über den Kontinent verteilt lagen und der einige Flugmeilen kostete.
In Moskau wurde Steinmeiers Parteivorsitzender zum Krisendiplomaten, obwohl er mit Außenpolitik zuvor kaum etwas zu tun hatte. Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte seinen lange geplanten Antrittsbesuch in Russland. Bis Mittwoch war in der Bundesregierung überlegt worden, den Termin wegen der aktuellen Krise abzusagen. Dann aber fürchtete man, das könnte als Provokation verstanden werden. Letztlich traf Gabriel dann sogar den russischen Präsidenten Wladimir Putin im fürstlichen Anwesen "Nowo Ogarjowo" nahe Moskau für ein einstündiges Gespräch. Mit dabei war zwar auch Putins Wirtschaftsberater Juri Uschakow, doch gesprochen wurde vor allem Deutsch – Uschakow konnte der Unterhaltung also nicht einmal folgen. Gabriel warb für das deutsche Konzept einer "Kontaktgruppe", in der mindestens die EU, Russland, die Ukraine und Deutschland vertreten sein sollen. Putin sagte weder Ja noch Nein.
Deutschland bremst Wünsche nach schnellen Sanktionen
In Brüssel kamen unterdessen die Regierungschefs der Europäischen Union zusammen, um über Sanktionen gegen Russland zu beraten. Es ist das einzige internationale Treffen an diesem Tag, das aus aktuellem Anlass einberufen wurde. Zur ersten von mehreren Gesprächsrunden war auch der ukrainische Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk eingeladen. Am Rande des Termins im modernen Justus-Lipsius-Gebäude traf er Angela Merkel. Anderthalb Stunden länger als geplant dauerte das Gespräch, dann trat Jazenjuk vor die Presse.
Wiederholt forderte Interims-Premier von Russland, die militärische Aggression zu beenden. Dabei vermied er den Begriff "Invasion" als Bezeichnung für das, was auf der Krim stattgefunden hat. Stattdessen drohte er für den Fall, dass Russland "militärisch tätig" wird, mit einer ebenfalls militärischen Reaktion: "Wir sind bereit, unser Land zu schützen." Russland dürfe nun keine "neue Berliner Mauer" errichten. Die Ukraine wolle verhandeln: "Wir sind zur Kooperation bereit, aber wir werden uns nicht ergeben." Strafmaßnahmen forderte Jazenjuk nicht, um der Entscheidung der EU-Regierungschefs nicht vorzugreifen. Entsprechenden Fragen wich er aus. Wohl aber warnte er davor, in die eine oder die andere Richtung zu übertreiben: "Man darf diesen Konflikt nicht einfrieren", forderte er. "Man darf ihn aber auch nicht heiß laufen lassen." Dann eilte Jazenjuk weiter zur Nato, deren Hauptquartier sich ebenfalls in Brüssel befindet.
Die Regierungschefs waren sich keinesfalls einig darin, wie sie auf die Krise reagieren sollen. Gerade die Osteuropäer forderten schnelle Sanktionen. Sie haben Angst vor Russlands Großmachtphantasien und wollen von Vornherein deutlich machen, wie sehr sie die Aktionen in der Ukraine missbilligen. Eine gefährliche Strategie, wenn man bedenkt, dass gerade der Osten der EU von Russlands Gas und Öl abhängig ist. Deutschland drang mit anderen darauf, nichts zu überstürzen, damit Russland keinen Vorwand hat, der geplanten Kontaktgruppe fern zu bleiben. Von Rom aus schaltete sich US-Außenminister Kerry immer wieder in die Gespräche ein. In Washington verkündete Barack Obama vom Weißen Haus aus Einreiseverbote für bestimmte russische Eliten – eine mit der EU abgestimmte Maßnahme, wie Merkel später erklärte.
Mit jedem Tag, an dem Russland die Krim besetzt hält, wird es unwahrscheinlicher, dass es wieder weichen muss. Ein Ziel ist es wohl, den aktuellen Status zu halten, bis das auf den 16. März vorgezogene Referendum über die Unabhängigkeit der Krim durchgeführt ist. Dann könnte Russland die Halbinsel als Staat anerkennen und die Krim-Regierung Russland offiziell um militärischen Schutz bitten. Dieses Referendum gilt in der EU als verfassungswidrig, weil nicht mit der Zentralregierung in Kiew abgesprochen. Noch während die Regierungschefs verhandelten, kam aus Kiew die Meldung, dass der Übergangspräsidentdas Krim-Parlament, welches das Referendum ausgerufen hatte, auflöst.
Timoschenko und Klitschko sprechen in Dublin
Während Russland versucht, im diplomatischen Prozess möglichst viel Zeit verstreichen zu lassen, dringt die EU zur Eile: Sie verabschiedet erste weiche Sanktionen gegen Russland, die sie aber nur als Vorgeschmack verstanden wissen möchte. "Nicht irgendwann, sondern in den nächsten Tagen" müsse die Kontaktgruppe zustande kommen, betonte Merkel. Sonst werden Reisebeschränkungen ausgesprochen und Konten eingefroren, heißt es in dem Beschluss der EU-Regierungschefs. Merkel verkündete die Entscheidung zeitgleich mit EU-Ratspräsident Herman van Rompoy und José Manuel Barroso. Stufe drei der Sanktionen würde in Kraft treten, wenn Russland weiter destabilisiert, also etwa versucht, Kontrolle über weitere Regionen in der Ostukraine zu erlangen. Für diesen Fall droht die EU mit "weitreichenden Konsequenzen". Darunter könnten etwa Handelsbeschränkungen fallen. Ziel ist es, Russland an den Verhandlungstisch zu bekommen. Doch "die Resultate sind noch nicht ausreichend", wie Merkel formulierte. Russland weigert sich.
Schon während der Verhandlungen in Brüssel gingen die Gespräche in einem futuristisch designten Kongressgebäude in Dublin weiter. Dort trifft sich derzeit die Europäische Volkspartei (EVP), ein Zusammenschluss konservativer europäischer Parteien. Nach dem Treffen in Brüssel reisten die EVP-Mitglieder unter den Regierungschefs, also auch Merkel, direkt weiter in die irische Hauptstadt. Das Treffen dauert bis Freitag und sein Zweck ist es eigentlich, einen Spitzenkandidaten für die Europawahl zu küren und ein Wahlprogramm zu beschließen. Um die Ereignisse in der Ukraine kamen die Delegierten aber nicht herum, was auch daran lag, dass die am Umsturz in Kiew beteiligten Parteien von Julia Timoschenko und Vitali Klitschko auch zur EVP gehören. Beiden Politikern wurde die Gelegenheit zu einer kurzen Rede gegeben. Klitschko sprach von 20 verlorenen Jahren, die die Ukraine unter dem Einfluss Russlands verbrachte. Timoschenko bedankte sich für die Unterstützung aus dem Westen, auch für sie persönlich. "Angela war die stärkste Anführerin für Demokratie und Freiheit in unserem Land", sagte sie an die Adresse der deutschen Bundeskanzlerin, die zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch im Flugzeug saß. Über Russland sagte sie: "Putin wird so weit gehen, wie es ihm der Westen erlaubt, zu gehen."
Frank-Walter Steinmeier war da schon wieder vom Außenministertreffen in Rom zurückgekehrt und hatte im Bundestag dem Auswärtigen Ausschuss und dem Europaausschuss Bericht erstattet. Die EU folgt Deutschland in dem Bestreben, die Gesprächskanäle offenzuhalten, berichtete er. Mehr greifbare Erfolge haben all die Gespräche dieses Tages nicht gebracht.
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