Der aus der Entsubstanzialisierung des Kapitals resultierende Krisenprozess vollzieht sich als ein blinder, eigengesetzlicher Prozess hinter dem Rücken der Marktsubjekte; er nimmt für die Politik die Gestalt der berüchtigten, quasi objektiven „Sachzwänge“ an. Unfähig, jenseits des kapitalistischen Bezugsrahmens zu agieren, befindet sich die bürgerliche Politik somit in einer Krisenfalle: Sie kann nur zwischen verschiedenen Wegen in die Krise wählen. Die Politkaste kann einerseits bemüht sein, mittels Gelddruckerei und Konjunkturprogrammen (einer Verstaatlichung der Defizitkonjunktur) die Verschuldungsdynamik möglichst lange aufrechtzuerhalten, oder sie kann die Kamikazestrategie wählen und durch Sparprogramme einen deflationären Schock mitsamt dem folgenden Wirtschaftszusammenbruch auslösen. Für diese Variante entschied sich ja bekanntlich die deutsche Politik in Europa – die Folgen sind bekannt. Mittels Gelddruckerei, Konjunkturspritzen und Niedrigzinsen haben hingegen die USA und auch China auf den Krisenschub reagiert und das System stabilisiert – um den Preis der nun zusammenbrechenden Spekulationsdynamik in den Schwellenländern. Doch wie sollten die Folgen künftiger Verwerfungen auf den Finanzmärkten kompensiert werden, wenn bereits jetzt die Geldpolitik am Rande ihrer Möglichkeiten agiert? Hier kommt ein weiteres Charakteristikum kapitalistischer Krisenpolitik ins Spiel: Es ist das Bemühen, die Krisenfolgen einfach auf andere Subjekte abzuwälzen. Der auf der heißen Luft immer wieder neu aufsteigender Blasen prozessierende Kapitalismus hat die Tendenz, immer neue Regionen seiner Peripherie einfach in den Abgrund fallen zu lassen. Volkswirtschaften und Staaten können dies vor allem durch eine aggressive Wirtschaftspolitik realisieren, indem sie möglichst hohe Leistungsbilanz- und Handelsüberschüsse erzielen. Bei dieser neomerkantilistischen Wirtschaftsausrichtung wird mit diesen Überschüssen logischerweise auch Arbeitslosigkeit und Verschuldung exportiert. Perfektioniert hat diese Strategie die BRD, die aufgrund der Agenda 2010 seit der Euroeinführung extreme Handelsüberschüsse gegenüber den Eurostaaten erzielte – um nach Ausbruch der Krise deren südliche Peripherie, die zuvor mittels der Handelsüberschüsse in die Schuldknechtschaft manövriert worden war, in den sozioökonomischen Zusammenbruch zu treiben. Letztendlich ist in der gegenwärtigen historischen Phase einer tiefen Systemkrise erfolgreiche kapitalistische Wirtschaftspolitik nur noch auf Kosten anderer Wirtschaftsräume möglich. Die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in der BRD beruht ironischerweise gerade auf den hierzulande verteufelten Auslandsschulden. Deswegen scheitert auch klassisch sozialdemokratische, auf Nachfragebelebung ausgerichtete Wirtschaftspolitik, wie jungst etwa in Frankreich (siehe Konkret 3/14). Die Stützung der Binnennachfrage führte bei offenen Märkten und einer gemeinsamen Währung einfach dazu, dass Frankreich gegenüber der BRD das größte Handelsdefizit aller Länder der Eurozone verzeichnete. Der französische Binnenmarkt dient somit – genauso wie zuvor die kollabierten Märkte Südeuropas – der Sanierung und Expansion der deutschen Industrie.
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