Mal ein guter Artikel aus der FTD.
Aus der FTD vom 28.10.2002 www.ftd.de/kapital Das Kapital: US-Aktien sind doppelt so teuer, wie sie aussehen
Wie kaltschnäuzig. Die neuerlichen Einbrüche von Gebrauchsgüteraufträgen und Verbrauchervertrauen hat die Wall Street geschluckt wie nichts. Die mühevolle Detailarbeit von S&P zu den ökonomisch relevanten Kerngewinnen hat eh niemanden interessiert. Kein Wunder: Vom dritten Quartal 2001 bis zum zweiten Quartal 2002 lagen die Kerngewinne im S&P 500 nur bei 18,48 $ je Aktie. Das resultierende KGV von 48,5 wäre schon unbequem für die Finanzindustrie. Kluge Köpfe indes sollten lieber hinsehen.
In der Beobachtungsperiode von S&P befanden sich die US-Nettogewinne laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (VGR) gerade um zwei Prozent unter dem inflationsbereinigten (realen) Nachkriegstrend. Dass die Gewinne aus zyklischen Gründen darniederliegen, stimmt also nicht ganz. Ein Blick auf die 20 größten US-Aktien belegt das eindrucksvoll. Die 16 Industriewerte unter ihnen berichteten zuletzt operative Umsatzmargen von durchschnittlich 22 Prozent. Und die vier Finanztitel erzielten eine mittlere Eigenkapitalrendite von 18,5 Prozent.
Zur Erinnerung: Seit 1988 sind die Gewinne im S&P 500 nach der althergebrachten Bereinigung zwar von 166,9 auf 350,9 Mrd. $ gestiegen, also um 110 Prozent. Je Aktie sind sie allerdings nur um 61 Prozent von 24,12 auf 38,85 $ gewachsen, weil der Aktienumlauf explodierte unter anderem wegen ausgeübter Mitarbeiteroptionen. Wenn die VGR-Gewinne fast auf dem realen Nachkriegstrend liegen, kann das für die Gewinne je Aktie also mitnichten der Fall sein.
Dieses und nächstes Jahr sehen die Analysten Gewinnzuwächse von 22 und 19 Prozent. Beziehen wir diese Raten auf den Kerngewinn, erzielten die S&P 500-Firmen 26,9 $ je Aktie. Das 2003er KGV läge bei 33. !!!! Unsinn? Na ja: Da die VGR-Gewinne unter dem Trend sind, der S&P 500 im Verhältnis zum nominalen BIP um ein Fünftel über dem Nachkriegsschnitt notiert und hemmungslos Aktien gedruckt werden, ist ein KGV von 33 wirklichkeitsnäher als der Konsens von 16.
Kerngewinne/Definition
In den Kerngewinnen werden außerordentliche Firmenwertabschreibungen genauso wenig berücksichtigt wie Gewinne/Verluste aus Beteiligungsverkäufen, akquisitionsbedingte Aufwendungen, Schadenersatzkosten - und Pensionsgewinne. Der Grund ist, dass all diese Posten nichts mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Firmen zu tun haben. Besonders die Behandlung von Pensionsgewinnen ist strittig. Aber S&P hat Recht. Erzielen betriebliche Pensionsfonds Überschüsse, stehen diese den Firmen und ihren Aktionären nämlich nicht zu, außer in den seltenen Fällen, dass ein Fonds aufgelöst wird. Zudem werden die Überschüsse doppelt gezählt, wenn man sie wie in US-GAAP als Gewinn verbucht. Denn wenn ein Fonds überkapitalisiert ist, sind geringere Pensionsbeiträge zu leisten, wodurch die ausgewiesenen Gewinne ohnehin steigen.
Andererseits werden in den Kerngewinnen Mitarbeiteroptionen, Restrukturierungsaufwendungen im fortgeführten Geschäft, Sonderabschreibungen auf betriebsnotwendige Aktiva, erworbene Forschungs- und Entwicklungsleistungen sowie Pensionsbeiträge als echte Kosten verrechnet.
Wieso werden Pensionskosten gezählt, während Pensionsgewinne außen vor bleiben? Ganz einfach: Weil Pensionsbeiträge genauso zu den Gehaltskosten zählen wie Lohnschecks. Erzielt der betriebliche Pensionsfonds hingegen Überschüsse, hat das nichts mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Firma zu tun. Außerdem können aus Überschüssen leicht Defizite werden, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen.
SEC
Sein Name ist Webster. William Webster. Als Amerikas Chefspion hat er die Sowjetunion auf dem Weg in den Untergang beschattet. Wer, wenn nicht er, soll die Welt vor der neuen Geheimwaffe des Bösen namens Rechnungslegung nach US-GAAP retten?
Wie wär’s mit jemandem, der schon mal was mit Bilanzen zu tun gehabt hat. Jemand wie John Biggs, der als Fondsmanager täglich unter der irrsinnigen Nicht-Behandlung von Optionskosten in amerikanischen "Erfolgsrechnungen" zu leiden hatte - wie wir alle. Als Leiter der neuen Aufsichtsbehörde für Wirtschaftsprüfer hätte Biggs mit diesen und anderen landläufigen Betrügereien an den Investoren kurzen Prozess gemacht.
So jemanden gegen den Widerstand der Lobbyisten durchzupeitschen, war wohl doch zu viel verlangt vom zaghaften SEC-Chef Harvey Pitt, dem einstigen Hausanwalt Arthur Andersens. Seine beiden republikanischen Kommissionskollegen hatten dafür als ehemalige Wirtschaftsprüfer sicher Verständnis. Und George W. Bush scheint ohnehin fest entschlossen, die SEC weiter finanziell auszuhungern. Um die Lizenz zum Schummeln muss also keiner bangen.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
Der ganze Wirtschaftsboom der letzten Jahre ist fast ausschließlich auf Zahlentrickserei zurückzuführen. Oder besser: Er hat nie stattgefunden. Das werden auch die jetzigen DOW einkäfer bald feststellen.
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