Es ist der erste deutsche IPO des Jahres: Morgen geht die kleine Aachener Biotech-Firma Paion nach allerlei Pannen doch noch an die Börse. SPIEGEL ONLINE sprach mit Ulrich Hocker, Chef der Deutschen Schutzvereinigung Wertpapierbesitz, über die Risiken der neuen Aktie - und die Aussichten für weitere Börsengänge in diesem Jahr.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hocker, vor dem Börsengang von Paion ist allerhand schief gelaufen: die Preisspanne wurde gesenkt, die Zeichnungsfrist verlängert. Dann musste auch noch der Termin für die Erstnotiz verschoben werden. Beginnt das Börsengang-Jahr 2005 wieder mit einem Fehlstart?
Ulrich Hocker: Zumindest ist es ein schwacher Start. Paion als defizitäres Biotech-Unternehmen mit nur einem einzigen Produkt ist nicht der geeignete Kandidat, um den Anfang zu machen. Das ist was für Venture-Kapitalisten, nicht für Privatanleger oder breit angelegte Aktienfonds. Ich hätte mir ein solides Unternehmen als Börsenerstling gewünscht. Die Anleger sind vorsichtig - zu Recht. Unternehmen sollten zumindest drei Jahre einen positiven Cashflow geschafft haben, bevor sie Aktien an Anleger ausgeben.
SPIEGEL ONLINE: Immerhin ist dieser IPO ja nicht in letzter Minute abgesagt worden wie so viele im Jahr 2004. Investmentbanker frohlocken schon - und hoffen, dass es 2005 bis zu 30 Börsengänge gibt.
Hocker: Ich kann mir das vorstellen. Die Stimmung ist auch in Deutschland besser geworden. Die Anleger haben 2004 gute Erfahrungen mit Wincor-Nixdorf und mit der Postbank gemacht. Bei diesen Unternehmen sieht man ja: Da wird Geld verdient, da wird Dividende gezahlt. Grundsätzlich lohnt es sich auch für kleinere Investoren, wieder anzupacken - wenn sie die Zahlen der Kandidaten genau untersuchen.
SPIEGEL ONLINE: Der erste wirklich große Börsengang soll am 9. März der des Pay-TV-Kanals Premiere werden. Ist das wieder was für den Kleinanleger?
Hocker: Fernsehsender haben immer Sex-Appeal. Hinzu kommt hier mit Georg Kofler ein charismatischer Firmenchef - die haben es immer einfacher. Ich hoffe aber, dass die Anleger kritisch bleiben. Wenn die Zahlen nicht attraktiv sind, wird auch Premiere kaum eine Chance haben. Und die Investmentbanken müssen einsehen, dass der Markt mächtig ist. Preisdiktate der Emissionsbanken akzeptiert er nicht mehr.
SPIEGEL ONLINE: In Großbritannien hat es 2004 über hundert Börsengänge gegeben, hier zu Lande nur fünf. Woher kommt diese Zurückhaltung?
Hocker: Die Deutschen neigen zur Konsequenz - in der Hausse des Neuen Marktes haben sie investiert, wo immer sie konnten. Jetzt sind sie konsequenter verschnupft als alle anderen und lecken noch immer ihre Wunden. Besser so als umgekehrt. Ich hoffe aber, dass jetzt ein paar Börsengänge von High-Flyern kommen, damit Vertrauen und Risikobereitschaft der Anleger wieder steigen - nichts ist schöner als Zeichnungsgewinne.
SPIEGEL ONLINE: Deutschland könnte aber international den Anschluss verlieren, weil vielen jungen Unternehmen der Weg an den Kapitalmarkt versperrt bleibt. Manche Börsenexperten weinen da schon dem Neuen Markt hinterher.
SPIEGEL ONLINE: Jetzt haben wir gerade die Börsensegmente geändert - da sollten wir dabei bleiben. Der Neue Markt war für die Unternehmen nicht nur sehr teuer, er war auch einseitig auf riskante Felder wie Medien, Technologie und Telekom fokussiert. Wir brauchen ein Segment für den normalen Mittelstand. Der "Alternative Investment Market" in London ist ein interessantes Vorbild - ein Forum für den Freiverkehr, an dem Unternehmen nicht mit denselben hohen Kosten belastet sind wie im amtlichen Handel. Freiverkehr haben wir in Deutschland auch, aber er wird total vernachlässigt. Da muss bald was passieren.
Die Fragen stellte Matthias Streitz
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