|
05.12.2005 17:20 Uhr
Foto: dpa
Die Komik der Kanzlerin
Angie – für Komödianten
ein Glücksfall
Seit fünf Jahren ist die Schauspielerin Corinna Duhr, 47, im Nockherberg-Singspiel als Angela Merkel zu sehen. Mit der SZ sprach sie über Mundwinkel, die kleine Schwurhand und eine Begegnung mit der echten Merkel.
Von Tanja Rest
-->
mehr zum Thema
Comedy
Alles wird weiblicher
Dieter Hildebrandt
Eine Oktave über der Glaubwürdigkeit
Karikaturist Hanitzsch
„Die Merkel ist als Opfer okay“
SZ: Erst mal Glückwunsch. Sie sind ja quasi mit befördert worden.
Duhr: Danke, ja. Was auch immer das für mich bedeuten mag.
SZ: Das bedeutet unter anderem eine noch größere Singspiel-Rolle.
Duhr: Wahrscheinlich. Schröder hatte bei uns ja immer heftige Auseinandersetzungen mit Stoiber, das kann man mit einer Bundeskanzlerin Merkel bestimmt weiter ausbauen. Aber ich bin ja abhängig, ein Geschöpf der Autoren.
SZ: Und der realen Person!
Duhr: Seitdem ich vor fünf Jahren für das Singspiel engagiert wurde, beobachte ich Frau Merkel nie mehr ohne den Gedanken: Was kann man sich da noch rausholen, wie ist die Körpersprache, die Mimik? Und da entdeckt man immer wieder wunderbare kleine Sachen.
SZ: Erzählen Sie.
Duhr: Während des Wahlkampfes tendierten ihre Mundwinkel auf der nach unten offenen Mundwinkel-Skala ins Unendliche. Sie stand enorm unter Stress, das konnte sie nicht verbergen. Jetzt, seit sie Kanzlerin ist, zeigt sich auf einmal eine gewisse Entspannung. Bis hin zu einem manchmal ganz gelösten Lächeln. Fragt sich halt, wie lang das dauert, bis die Mundwinkel im Tagesgeschäft doch wieder nach unten fallen.
SZ: Was ist gestisch zu holen?
Duhr: Da gibt es viel Charakteristisches. Einen etwas eiernden Gang, insgesamt eine verkrampfte Körperhaltung – die Schultern eher hochgezogen, dadurch auch der Oberkörper etwas verspannt, die Oberarme eher dicht am Körper. Gestikulieren passiert bei ihr eigentlich immer aus den Unterarmen und Händen heraus. Jetzt öffnet sie sich auch da und wird ein bisschen weiter.
SZ: Typische Handbewegungen?
Duhr: Ihr starker Zeigefinger und Daumen. Damit macht sie sehr viel beim Reden. So mit der kleinen Schwurhand, wenn sie das Gesagte unterstützen will. Hinzu kommt dann auch immer ein Einsatz des Kopfes: Die wichtigen Passagen betont sie gern mit einem Ruckeln.
SZ: Insgesamt eine schwere Rolle, oder doch unerwartet dankbar?
Duhr: Eher dankbar, weil sie immer wieder viele Angriffsflächen bietet. Es ist viel schwieriger, wenn einer eine glatte Oberfläche hat, immer gut aussieht, immer gut rüberkommt, immer gut angezogen ist.
SZ: Apropos, dieser schwarze Hosenanzug mit den drei riesigen weißen Clownsknöpfen...
Duhr: Der ist unbezahlbar! Und ohne jetzt wieder nur auf die Optik fixiert zu sein: Jeder, der heute in der Politik so weit hochkommt, muss damit rechnen, dass die Öffentlichkeit auf sein Äußeres schaut. Das gilt auch immer mehr für Männer, nehmen Sie Gerhard Schröder und die Debatte um seine angeblich gefärbten Haare.
SZ: Sie haben mit Ihrer Angie im Jahr 2000 auf dem Nockherberg angefangen, als die „Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe von der Christlichen Union“.
Duhr: „Die Ossi-Biene mit der Poker-Miene aus der Bimbes-Bastion.“ Genau.
SZ: Da war Frau Merkel noch Generalsekretärin und hatte sich von Helmut Kohls Verhalten in der Schwarzgeldaffäre in einem Zeitungsartikel distanziert.
Duhr: Donnerstags war unsere Aufführung auf dem Nockherberg, und montags drauf wurde sie CDU-Vorsitzende. Dadurch war das so derartig brisant, was wir da gemacht haben.
SZ: Sie saß unten im Publikum.
Duhr: Sie hat schon sehr gelitten. Wir haben auf unserem Monitor hinter der Bühne ja immer die anwesenden Politiker mit drauf. Phasenweise hat sie sich in die geballte Faust gebissen. Im Sinne des Wortes, sie hatte die Faust zwischen den Zähnen. Als wir Helmut Kohl dann noch in Gestalt eines riesigen Luftballons aufsteigen und vom Bühnenhimmel herab ein paar Kohlsche Worte sprechen ließen – das hat sie sichtbar mitgenommen.
SZ: Gab’s ein Händeschütteln?
Duhr: Ja, sie ist hinterher kurz auf die Bühne gekommen. Wir haben ein paar Worte gewechselt, und sie hat gesagt, dass sie das alles sehr lustig fand.
SZ: Der Doris-Ersatz dürfte nun allerdings schwer werden. Herr Sauer, der Kanzlerinnen-Gatte, ist ja praktisch unsichtbar und folglich nicht darzustellen.
Duhr: Holger Paetz, unserem Hauptautor, wird bestimmt was einfallen. Denkbar, dass Frau Merkel dann immer einen kleinen Sauer in der Tasche hat.
SZ: Schlägt mit dem Amtsantritt der ersten Bundeskanzlerin nun endlich auch die Stunde der Komödiantinnen?
Duhr: Es wird die Branche auf jeden Fall bereichern. Auf dem Nockherberg haben wir prinzipiell das Problem, dass die meisten Politiker Männer sind. Es ist doch viel interessanter, wenn es auf der Bühne eine gute Mann-Frau-Mischung gibt, man hat einfach mehr Spielmöglichkeiten. Interessanterweise ist im Theaterzelt „Das Schloss“ aber gerade ein Mann als Merkel zu sehen: der Kabarettist Reiner Kröhnert (vom 6. bis 9. Dezember). Ich kann mir vorstellen, dass die Merkel als Travestie-Nummer sogar einfacher ist als die von einer Frau gespielte Merkel, weil die Distanz zur Figur größer ist. Ich selbst sehe mich weniger als Merkel-Double, sondern eher als Geschöpf des Nockherbergs. Außerdem: Wenn man sie so oft gespielt hat wie ich, merkt man schon rein körperlich, dass sie voller Scheu und Misstrauen steckt. Sie sucht nicht die Nähe zum Volk, wie Schröder und Kohl es getan haben. Da ausschließlich reinzuschlüpfen, würde mir nicht so viel Spaß machen.
SZ: Was müsste die Kanzlerin Merkel tun, um der Angie-Figur noch ein paar schillernde Facetten hinzuzufügen?
Duhr: Beim Nockherberg haben wir eigentlich schon alle Freiheiten und nehmen uns die auch – bis hin zur Ekstase. Frau Merkel trägt bei uns also nicht notwendig Hosenanzug und ist sogar schon mal als singende Bauchtänzerin aufgetreten. Von daher sind wir wunschlos glücklich.