"Das Vertrauen der Märkte schrumpft"
Der Dow unter 13.000, der Nikkei verliert in zwei Tagen fast fünf Prozent - die Verluste an den Weltbörsen nehmen bedrohliche Ausmaße an. Und in den USA droht der nächste Hypotheken-Bankrott. Die Notenbanken setzen auf eine Doppelstrategie: Geld geben und Gesundbeten.
Washington/Tokio - Der Chef der Federal Reserve von St. Louis, William Poole sagte gestern Abend ausdrücklich, dass eine außerordentliche Zinssenkung wegen der Krise am Kreditmarkt nicht auf der Tagesordnung steht. "Zu diesem Zeitpunkt kann man noch nicht sagen, ob die Turbulenzen am Markt den Kurs der Wirtschaft fundamental geändert haben", sagte der Notenbanker. "Offensichtlich sind Auswirkungen festzustellen. Aber wir müssen uns auf wirkliche Belege stützen." Er habe seine Einschätzung zu den Konjunktur-Aussichten nicht wesentlich geändert.
Gleichzeitig stellte die amerikanische Notenbank erneut mehrere Milliarden Dollar für den Geldmarkt zur Verfügung, um die Auswirkungen der Hypothekenkrise zu dämpfen. Seit dem 9. August addieren sich diese Interventionen der Notenbank auf ein Volumen von 71 Milliarden Dollar. Die Fed will verhindern, dass Liquiditätsengpässe die Zinsen am Geldmarkt über den Richtwert von zurzeit 5,25 Prozent heben. Diesen Zinssatz der Federal Funds Rate berechnen die Banken, wenn sie einem anderen Institut kurzfristig Kredite bereitstellen.
Die Weltbörsen interpretierten die widersprüchlichen Signale auf ihre Weise - die Ängste vor den weltweiten Folgen der US-Hypothekenkrise bekamen neue Nahrung. Besonders zu spüren bekamen die asiatischen Börsen die Unsicherheit. An der Tokioter Börse verlor der Nikkei-Index der 225 führenden Werte fast 2,2 Prozent auf 16.475 Punkte - der stärkste Kursverlust seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September. Der breiter gefasste Topix-Index rutschte sogar noch stärker ab. In Seoul knickte der Leitindex gar um mehr als sieben Prozent ein. Der Markt in Singapur fiel um 3,7 Prozent. Die Börse in Taiwan büßte 3,4 Prozent ein. Auch an Asiens Geldmärkten ging es hektisch zu; Dollar und Euro gaben gegenüber dem Yen klar nach.
In Seoul berichteten Händler von teils panikartigen Verkäufen. Dort fielen die Aktienkurse im Vormittagshandel teils um mehr als sieben Prozent. Die Börse im australischen Sydney stand zur Mitte des Handelstages mehr als fünf Prozent im Minus. Auch dort stießen Anleger Aktien aus Sorge ab, dass die Krise um wackelige US-Immobilienkredite noch weitere Kreise ziehen könnte.
Vor allem der Finanzsektor wurde erneut von Hiobsbotschaften aus den USA gebeutelt. An der Wall Street hatten Spekulationen über Finanzproblemen bei Countrywide für Kursverluste gesorgt. Der Aktienkurs der US-Hypothekenbank war nach Gerüchten über Finanzierungsprobleme abgestürzt. Die Papiere notierten gestern zeitweise gut 21 Prozent tiefer und schlossen 13 Prozent im Minus bei 21,29 Dollar. Das Unternehmen hat Händlern zufolge Schwierigkeiten, sich kurzfristig Geld zu beschaffen. Sollte sich die Liquiditätskrise verschärfen, stehe die Firma vor der Insolvenz, schrieb ein Analyst von Merrill Lynch.
Ein Countrywide-Sprecher lehnte eine Stellungnahme dazu ab und verwies darauf, dass das Management damit beschäftigt sei, das Unternehmen in einem sich ändernden Umfeld zu führen. Das Unternehmen hatte zuletzt versucht, die Investoren zu beruhigen und darauf verwiesen, dass die Geschäfte wieder besser laufen, sobald die Krise auf dem Hypothekenmarkt vorbei ist. Allerdings hatte Countrywide erst am Dienstag darauf verwiesen, dass die Zahl der Zwangsversteigerungen im Juli auf den höchsten Stand seit 2002 gestiegen ist.
Risiken kaum auszuloten
Im Sog der Countrywide-Spekulationen verloren in Tokio die Aktien der zweitgrößten japanischen Bank Mizuho Financial mehr als sieben Prozent. Die Titel von Branchenprimus Mitsubishi UFJ gaben 3,7 Prozent nach.
"Das Vertrauen der Märkte schrumpft, und die Akteure können sich nicht beruhigen", sagte Kazuhiko Shibata von der Dresdner Bank in Tokio. Weiterhin falle es den Marktteilnehmern schwer, die Tiefe der Krise und die damit verbundenen Risiken auszuloten. Entsprechend nervös, ja emotional reagierten die Investoren nach Einschätzung von Händlern. Einige Anleger verkauften mehr nach Gefühl als nach realistischer Einschätzung. "Die Kursverluste bei den Finanzwerten sind zu extrem", sagte Analyst Tsuyoshi Nomaguchi von Daiwa Securities. Offensichtlich wollten einige Anleger auch Kasse machen.
Der stärkere Yen belastete zudem Exportwerte. Die Titel des Autobauers Toyota büßten 4,4 Prozent ein. Die Papiere des Unterhaltungselektronikkonzerns Sony gaben 3,6 Prozent ab.
Der Dow-Jones-Index für 30 Industriewerte hatte gestern erstmals seit dem 24. April 2007 unter der Marke von 13.000 Punkten geschlossen. Angesichts des anhaltenden Drucks wegen der US-Immobilienkrise gab das weltweit wichtigste Börsenbarometer um 167,45 Punkte oder 1,29 Prozent auf 12.861,47 nach. Der Index der Technologiebörse Nasdaq verlor 40,29 Punkte oder 1,61 Prozent und schloss bei 2.458,83 Zählern. In der Liste der New York Stock Exchange überwogen die mit Abschlag gehandelten Werte die mit Gewinn gehandelten im Verhältnis von fünf zu eins.
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