Zwischen Skepsis und Hysterie (EuramS) Neues Allzeithoch beim Gold. Immer näher rückt die 1000-Dollar-Marke. Und es könnte noch höher gehen. Warum trotzdem längerfristig der Crash droht
von Martin Blümel
Warum nur steigt der Goldpreis so stark? Letztlich ist Gold doch ein höchst überflüssiges und wertloses Material. Es ist zu weich, um Werkstoffe daraus zu formen, der Schmelzpunkt ist zu hoch, um damit zu löten, es taugt nicht als Katalysator und selbst als Teil einer Legierung sorgt es nicht für bessere Materialeigenschaften. Zugegeben: Gold eignet sich zur Oberflächenveredelung und zur Herstellung haarfeiner Drähte. Aber rechtfertigt das einen Preis von rund 950 Dollar pro Feinunze? So viel wie noch nie zuvor. Und rechtfertigt es einen Preis von 1000 oder 1200 Dollar, der für viele Experten in naher Zukunft schon ausgemachte Sache zu sein scheint?
Anscheinend ja. Schließlich regelt das Spiel von Angebot und Nachfrage auch den Goldpreis. Und weil die Nachfrage schneller steigt als das Angebot, wird das Metall teurer. Gern angeführt werden in diesem Kontext Indien und China. Dort mehrt sich der Wohlstand und im selben Maß die Begehrlichkeit nach Statussymbolen, nach golden schimmerndem Schmuck oder – ganz banal – nach Barren für den heimischen Tresor. China etwa: Der Absatz von Goldbarren beim Edelmetallhändler Zhongjin Gold Cooperation legte seit Mitte 2007 um 50 Prozent monatlich(!) zu. Oder: Beim Pekinger Goldhändler Caishikou standen zum Jahreswechsel Hunderte Menschen Schlange, um einen Goldbarren mit spezieller Prägung anlässlich des neuen Jahres der Ratte zu ergattern. In 90 Minuten wurden über 200 Kilogramm Gold verkauft.
Landesweit soll es inzwischen eine Million Goldanleger geben; die Investoren am brandneuen Shanghaier Markt für Goldfutures, dessen Handel am 9. Januar aufgenommen wurde, sind darin noch gar nicht berücksichtigt. Jedenfalls wird dort bereits so manisch gehandelt wie schon an den chinesischen Aktienmärkten: Am Tag der Eröffnung erreichte der Future innerhalb weniger Minuten das Limit von maximal zehn Prozent Kurssteigerung täglich. Beim Nachbarn Indien allerdings geht es preissensibler zu. "Die Nachfrage nach Gold ist derzeit nahezu null", sagt Suresh Hundia, der Präsident der Bombay Bullion Association. "Die Inder nehmen Gewinne mit und verkaufen ihr Gold zurück an die Juweliere mit zwei bis drei Prozent Abschlag zu den Weltmarktpreisen."
Der Goldpreis wankt dennoch nicht. Denn auf der Angebotsseite gilt immer noch das alte Argument, und das heißt "Mangel". China mag inzwischen zum größten Goldproduzenten der Welt aufgestiegen sein, dafür aber haben andere Probleme: In Südafrika ist seit Ende Januar der Abbau bei den drei größten Goldproduzenten AngloGold Ashanti, Gold Fields und Harmony Gold Mining wegen der Probleme bei der Stromversorgung gestoppt. Harmony-Gold-Chef Graham Briggs glaubt nicht an "eine rasche Lösung". Er fürchtet einen Verlust von rund 300 Kilogramm Gold, die pro Tag nun nicht gefördert werden können.
Wichtiger für den Preis scheint aber die Sache mit der Inflation. Und hier wird es ungleich komplizierter als beim simplen China/Indien-Argument. Weil nämlich US-Notenbanker Ben Bernanke (und sein Vorgänger Alan Greenspan) seit Jahren die Welt mit Geld fluten, müsse sich das doch in (Hyper-)Inflation niederschlagen, so die Meinung mancher Experten. Mit extremen Folgen: "Es gibt Indizien dafür, dass unser Papiergeldsystem unmittelbar vor dem Kollaps steht", findet Martin Siegel, Fondsberater des PEH-Q-Goldmines. Das mag übertrieben sein, doch um das eigene Vermögen vor drohender Geldentwertung zu schützen – egal wie schlimm die nun ausfällt –, führe kein Weg am Gold vorbei, dem doch vermeintlich unnützen Metall. Also doch nicht überflüssig? Dass Gold trotz der eingeschränkten Verwendungsmöglichkeiten nicht wertlos ist, liegt nicht nur daran, dass es als Schmuckstück gefällt, sondern weil es der Menschheit seit 5000 Jahren als Zeichen der Götter gilt, als Gegenstück der gleißenden Sonne. Wer es hatte, verfügte über Macht und Reichtum. Alles konnte mit Gold aufgewogen werden. Daran hat sich bis heute nichts geändert, ganz egal, um wie viel rationaler die Zeiten geworden sind. Auch als 1971 die Golddeckung von Papiergeld aufgegeben wurde, verlor das Edelmetall nichts von seiner Strahlkraft.
Der Mensch ist nicht davon abzubringen, Gold zu kaufen. Vor allem in Krisen nicht. 1980 war die Feinunze ähnlich teuer wie aktuell, das Hoch lag bei 850 Dollar. Die USA und Europa hatten damals aber mit zweistelligen Inflationsraten zu kämpfen, der Wert des Papiergelds zerrann den Anlegern zwischen den Fingern. Gold und der "kleine Bruder" Silber waren daher gefragt. Weil die Notenbanken aber bis Mitte der 80er-Jahre die Inflation in den Griff bekamen (und im großen Stil Gold aus eigenen Beständen verkauften), sackte der Preis bis auf 250 Dollar durch. Und jetzt? Haben wir eine Krise wie zuletzt Anfang der 80er-Jahre? Der Goldpreis suggeriert es. Goldpreis- und Inflationsentwicklung wiesen in der Vergangenheit immer eine starke Korrelation auf. Demnach müsste die Welt aber aktuell vor einer Inflationskatastrophe stehen. "Die Notenbanken haben seit Mitte der 90er-Jahre für den größten Geldmengenüberschuss in den letzten 20 Jahren gesorgt. Inflation ist die logische Folge", sagt Thorsten Polleit von Barclays Capital. Warum ist die Geldentwertung dann nicht in den Kennziffern zu sehen?
Weil die Welt es mit einem neuen Typ Inflation zu tun hat: Statt gesamtwirtschaftlicher Inflation gibt es eine "Inflation der Vermögenspreise" (Asset Inflation). Die zeigt sich in unterschiedlichen Blasen und wird durch die herkömmlichen Messungen nicht erfasst. Die (jetzt platzenden) Immobilienblasen sind Ausdruck der Asset Inflation, genauso die Aktienrekordstände 2007 und ebenso die Rekordpreise bei den Rohstoffen. Der hohe Goldpreis selbst ist Ausdruck der Asset Price Inflation. Und wie weit steigt er noch? Verschwörungs- und Kollapstheoretiker geben gern vierstellige Prognosen ab. Obwohl sie dunkle Mächte vermuten, die den Goldpreis drücken. "Die Notenbanken greifen aller Wahrscheinlichkeit nach in den Markt ein, um den Goldpreis schlecht aussehen zu lassen", argwöhnt Fondsberater Siegel. "Ein explodierender Goldpreis soll die Panik an den Märkten nicht zusätzlich anheizen." Das Mittel sei der Terminmarkt, auf dem schlagartig große Mengen Gold angeboten würden. Wahrheitsgehalt hin oder her – den Goldpreis hat es nicht vom Steigen abgehalten. Gefahr droht Gold eher längerfristig und von ganz anderer Seite. Knackpunkt ist die Frage, wie sich die Inflation der Vermögenswerte auflöst. Kommt es zu einer Rezession, ist im Extremfall auch eine Deflation möglich. Genau das wird derzeit in amerikanischen Finanz-Blogs diskutiert. Die These: Wenn in den USA der Konsum wegbricht, rutscht das Land in eine Deflationsspirale. Subprime- und Immobilienkrise (mit der Folge fallender Immo-Preise) sowie die langsam steigende Arbeitslosigkeit seien erst der Anfang; Vertrauensverlust, Konsumverweigerung, Kreditklemme, Börsencrash, Vermögenswerte-Crash die Folge. Ähnlich der Deflation Japans in den 90er-Jahren. US-Notenbank und US-Regierung steuern dagegen, mit Zinsschritten und Konjunkturprogrammen. Zu spät, finden Deflationsanhänger. Ihr Schluss: Geld wird durch die Deflation verknappt. Es herrscht Vermögensdeflation, darauf Güterpreisdeflation, die auch Industrierohstoffe und Edelmetalle erfasst. So wäre Gold doch ein fast überflüssiges und wertloses Material. ----------- Gruss Ice Börsengewinne sind Schmerzengeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld...(A.K.)
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