Der Yen wird von Carry-Tradern immer tiefer gedrückt und damit schwächer (vor allem zum Euro), obwohl die Fundamentals in Japan immer besser werden. Die Bewegung ist widersinnig und spekulativ. Die Europäer - deren Exportwirtschaft unter dem schwachen Yen leidet - wollen daher, dass die G7 bei ihrer Tagung am nächsten Wochenende eine entsprechende Bemerkung formuliert, was den Yen deutlich stärken könnte (Carry-Trader würden ihre Positionen auflösen und dabei Yen zurückkaufen).
Die USA und deren Finanzminister Paulson (ex-Goldman-Sachs) sind jedoch strikt gegen ein solches Statement. Grund: Sie wollen den Yen weiterhin künstlich billig halten, weil sie an der daraus resultierenden "globalen Liquidität" kräftig verdienen (billige Kredite, PE-Bonanza, Aktienblase usw.). Eine rapide Kehrtwende beim Yen könnte zudem das überschuldete Finanzsystem der USA gefährden: Als der Yen 1998 in drei Tagen um 18 % verlor, ging der Hedgefond Long Term Capital Management (LTCM) mit zig Milliaden Schulden Pleite - und hätte, wenn die Fed nicht beherzt interveniert hätte, das globale Finanzsystem mit in den Abgrund gerissen. Doch auch das jetzige Aufpumpen der globalen Liquiditätsblase durch den billigen Yen droht das globale Finanzsystem zu destabilisieren. Ideal wäre daher eine langsame Aufwertung des Yen. Paulson indes scheint Angst zu haben, dass die Geschwindigkeit des Yen-Anstiegs wie 1998 außer Kontrolle gerät - mit möglichen Krisen wie damals bei LTCM.
FTD, 6.2.2007 Japanisches Spielgeld von Lucas Zeise
Die G7-Finanzminister könnten mit einer Stellungnahme zum Yen die Finanzspekulation dämpfen. Die Schwäche des Yen ist ein klarer Beleg dafür, dass man die Währungen nicht den Finanzmärkten allein überlassen darf.
Ausnahmsweise haben deshalb auch die Finanzminister der Euro-Gruppe recht, wenn sie die unterbewertete japanische Währung beim G7-Treffen am Wochenende in Essen nicht nur zum Thema machen, sondern sie auch im Schlussbericht erwähnen wollen. Doch daraus wird wahrscheinlich nichts, weil die US-Regierung dagegen ist.
Ein klarer Satz der G7, mit dem die Finanzminister der wichtigsten Industriestaaten ihre Sorge über die mit den Fundamentaldaten nicht im Einklang stehende Preisentwicklung des Yen ausdrücken, könnte dessen Abwärtstrend stoppen, vielleicht sogar umkehren. Der Euro ist zum Yen binnen zwölf Monaten um zwölf Prozent auf zuletzt 157 Yen gestiegen. Der Dollar kostet mittlerweile mehr als 121 Yen.
Unter der Schwäche des Yen leiden vor allem europäische Exporteure: Die Autoindustrie klagt über die Wettbewerbsvorteile der japanischen Konkurrenz, der Maschinenbau stöhnt. Weil die Euroländer auf den Weltmärkten ähnliche Produkte wie Japan anbieten, fällt die Yen-Schwäche besonders ins Gewicht.
Gute Argumente der Exportindustrie
Es ist also leicht zu verstehen, warum die Euro-Finanzminister den schwachen Yen in Essen zum Thema machen wollen. Ausnahmsweise aber hat in diesem Fall die ungeschminkte Vertretung der europäischen Exportindustrie gute Argumente bei der Hand. Diese erschöpfen sich nicht in den Kalkulationen, wie stark der Yen unterbewertet ist: Nach Kaufkraftparität soll er 10 bis 15 Prozent zu billig sein. Berücksichtigt man den steil wachsenden positiven Saldo der Leistungsbilanz Japans, so wirkt der auf den Devisenmärkten sinkende Yen vollends absurd.
So sind sich die Experten einig. Der Yen ist unter fundamentalen Aspekten zu billig. Sie haben aber auch eine plausible Erklärung für die fundamental nicht zu erklärende Schwäche der japanischen Währung: das niedrige Zinsniveau in Japan und die sogenannten "Carry-Trades".
Carry-Trade ist im Banker-Englisch nichts weiter als das Basisgeschäft der Kreditinstitute. Es lautet: billig Kredit zu nehmen und teuer Kredit zu geben. Meist betreibt die Bank das Geschäft, indem sie kurzfristige Einlagen hereinnimmt, das Geld auf der nach oben geneigten Zinsstrukturkurve weiterträgt ("carry") und es langfristig ausleiht. Im aktuellen Fall wird der Kredit aus Japan in den Rest der Welt getragen - und zwar nicht nur von Banken, sondern von allen, die ein bisschen Spielgeld übrig haben. Dazu gehören Versicherungen, Pensionsfonds, sonstige Vermögensverwalter, Hedge-Fonds und in zunehmendem Maße auch Privatleute, die sich bei der Sparkasse einen Yen-Kredit geben lassen. Denn der ist wundersam billig.
Der aktuelle Notenbankzins in Japan beträgt 0,25 Prozent, bei uns 3,5 Prozent. Zweijährige Staatsanleihen rentieren in Japan mit 0,75 Prozent, in Deutschland mit 3,9 Prozent.
Selbst wenn Gebühren anfallen, mehr als drei Prozentpunkte Unterschied lohnen sich allemal. So werden mit einem japanischen Kredit amerikanische Aktien und türkische Bonds bezahlt. Mit diesem billigen Kredit finanzieren Private-Equity-Fonds ihre Unternehmenskäufe, und es kaufen Hedge-Fonds und Versicherungen die vor- und nachrangigen Schulden der gekauften Unternehmen. Das ist für alle zunächst von Vorteil, niemand verliert. Die Finanzwelt erhält immer wieder neuen Schwung.
Ein Risiko allerdings lauert im Hintergrund: Wenn der in Yen aufgenommene Kredit fällig wird, könnte ein gestiegener Yen das Geschäft weniger lohnend oder sogar zum Verlustbringer machen. Umgekehrt garantiert ein gefallener Yen eine Zusatzrendite. Für die Carry-Trader ist es deshalb erfreulich zu wissen, dass jedes neue derartige Geschäft ein zusätzliches Yen-Angebot auf den Devisenmärkten schafft und so die japanische Währung schwächt. Wird das Geschäft zurückabgewickelt, erhöht sich umgekehrt die Nachfrage nach Yen. Die Yen-Schwäche ist somit auch ein Zeichen dafür, dass mehr Carry-Trades eingegangen als abgewickelt werden. Die Carry-Trader tragen also selbst zur Yen-Schwäche bei, aus der sie den meisten Nutzen ziehen.
Parallelen zum Herbst 1998
Umgekehrt besteht die Gefahr, dass sie den Yen plötzlich nach oben jagen - dann nämlich, wenn sie gleichzeitig versuchen, ihre Yen-Kredite zurückzuzahlen, weil sie befürchten, dass jeder Tag bei einem steigenden Yen für sie extrem teuer wird. Dieses Szenario ist nicht aus der Luft gegriffen, es führte bereits im Herbst 1998 zur Panik. Der Yen schoss innerhalb von drei Tagen um 18 Prozent hoch. Das war eine der entscheidenden Ursachen für das Zusammenklappen des Hedge-Fonds LTCM.
Die Interessenlage ist also klar. Wer am Carry-Trade verdient oder es vorhat, wer auch ein Interesse daran hat, dass die Vermögenspreise in aller Welt weiter von aus Japan stammender Liquidität in die Höhe getrieben werden, der wird den G7-Oberen raten, zum Yen zu schweigen und alles zu vermeiden, was die empfindliche Balance stört. Wer dagegen ein Interesse an der Stabilität des globalen Finanzsystems hat, der müsste versuchen, die Carry- Trades zu reduzieren und den Yen sachte nach oben zu schleusen.
US-Finanzminister Hank Paulson wurde vergangenen Mittwoch im Kongress zu seiner Haltung zum Yen befragt. Er sprach sich deutlich gegen Interventionen verbaler oder realer Art aus. Die Währung werde von fundamentalen Gegebenheiten - er meinte die niedrigen Zinssätze - und von Portfolioverschiebungen bewegt. Was Letzteres betrifft, war seine Analyse stichhaltig. Als ehemaliger Chef der Investmentbank Goldman Sachs kann er das beurteilen und dürfte das LTCM-Desaster hautnah miterlebt haben.
Als Finanzminister allerdings sollte er nicht wie ein Investmentbanker agieren. Mit einer klaren Aussage zum Yen hätten die Finanzminister die Chance, ein wenig Dampf aus dem kochenden Finanzkessel abzulassen. Zumindest einer von ihnen - leider der Wichtigste - will genau das offenbar nicht.
Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der FTD. Er schreibt jeden Dienstag an dieser Stelle.
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