Sehr geehrter Herr Habermann, was für ein Menschenbild muss man eigentlich haben, um einen Artikel wie “Ein seltsames Recht, auf Kosten anderer zu leben!” zu schreiben? Sie bezeichnen sich selbst als “Wirtschaftsphilosoph” – welche Philosophie und welche Ideologie liegt Ihnen eigentlich am Herzen? Sie schreiben in Ihrem Aufsatz in der WELT: Menschenwürde bedeutet aber zunächst nur die objektive Sonderstellung des Menschen gegenüber den „vernunftlosen“ Tieren und der unbelebten Welt, weil der Mensch überlegt handeln und seinem Leben Wert und Sinn verleihen kann. Menschenwürde ist mit dem Menschsein selber gegeben. Ihre Definition der Menschenwürde ist keinesfalls neu. Schon die klassischen griechischen und römischen Philosophen hielten die Menschwürde für ein angeborenes – ja göttlich verliehenes – Privileg gegenüber den “vernunftlosen Tieren”, mit dem zwar Pflichten, aber keine Rechte verbunden sind. Aristoteles und Cicero waren allerdings Kinder ihrer Zeit – einer Zeit, in der niemand die Position vertrat, dass alle Menschen zwar nicht gleich, aber zumindest doch gleichwertig sind; einer Zeit, in der die Sklaverei nicht hinterfragt wurde und in der es selbstverständlich war, dass Menschen von ihren Herren wie Nutzvieh behandelt wurden. Diese Zeiten sind glücklicherweise schon lange vorbei. Dabei ist diese Entwicklung auch an der Philosophie nicht spurlos vorbeigegangen. Vor allem die abendländischen Demokratien haben die Gedanken der Aufklärung zur Menschenwürde allesamt in den höchsten Verfassungsrang erhoben. So lautet der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Dass die Verfassungsväter die Würde des Menschen in diesem Kontext nicht als Pflicht, sondern als Recht sehen, geht dabei aus zahllosen rechtsphilosophischen Kommentaren hervor. Dieser Artikel war den Verfassungsvätern – nicht zuletzt aufgrund der dunklen Vergangenheit unseres Landes – sogar so wichtig, dass sie ihn mit einer Ewigkeitsklausel schützten. Genauso wie persönliche Freiheit nicht mit gutem Versorgtsein oder Wohlhabenheit korreliert. Man ist nicht unfrei, wenn man ärmlich leben muss – Freiheit verstanden als Freiheit vom willkürlichen Herumkommandiertwerden durch andere Menschen! Sehr geehrter Herr Habermann, vielleicht sollten Sie sich einmal mit einem Hartz-IV-Empfänger unterhalten, ob seine persönliche Freiheit nicht doch mit seiner materiellen Situation korreliert? Was unterscheidet eigentlich die Sanktionsmöglichkeiten des SGB II von einem “willkürlichen Herumkommandiertwerden”? Ihr Freiheitsbegriff ist leider en vogue – was allerdings nicht heißen soll, dass er dadurch auch nur ein Jota stichhaltiger wird. Freiheit heißt zuallererst immer, sich keinem Zwang beugen zu müssen. Als Anhänger der Lehren von Friedrich August von Hayek kennen Sie sich ja sicher mit der Theorie des Marktes aus. Ganz im Sinne Hayeks ist ein Markt aber nur dann frei, wenn alle Marktteilnehmer auch frei sind – und zwar nicht in einem wie auch immer gearteten philosophischen Kontext, sondern in ihrer Rolle als Marktteilnehmer. Wer nun aber ärmlich leben muss, ist gezwungen, seine Haut auf dem Arbeitsmarkt feilzubieten. Dies ist keine freie Entscheidung, da zur Freiheit auch immer eine Alternative gehört – sein Obdach zu verlieren und zu hungern ist aber keine Alternative. Der Sozialstaat und das viel zitierte soziale Netz sind diesem Sinne Hilfsmittel, die Unfreiheit zu beseitigen. .......... http://www.spiegelfechter.com/wordpress/4424/kognitive-dissonanzen-eines-libertaren ----------- oliweleid
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