Zahlungsdienstleister Neuer Streit um Wirecard Der Zahlungsdienstleister erhebt in einem Brief schwere Anschuldigungen gegen die „Financial Times“. Die Zeitung wehrt sich. Im Zentrum der Vorwürfe steht eine ominöse Tonaufzeichnung. Sönke Iwersen Michael Maisch Sönke Iwersen, Felix Holtermann, Michael Maisch 21.07.2019, 10:32 Uhr Bei der Dauerfehde zwischen Wirecard und der renommierten britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ (FT) steht sehr viel Geld auf dem Spiel. Quelle: dpa Foto: dpa Wirecard-Chef Markus Braun Bei der Dauerfehde zwischen Wirecard und der renommierten britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ (FT) steht sehr viel Geld auf dem Spiel. Düsseldorf, FrankfurtEs ist weit mehr als ein Streit zwischen einem Dax-Konzern und einem Medium. Es geht nicht nur um die Reputation eines Unternehmens aus der Eliteklasse des deutschen Kapitalmarkts. Bei der Dauerfehde zwischen Wirecard und der renommierten britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ (FT) steht sehr viel Geld auf dem Spiel, denn auf jeden neuen kritischen Artikel zu Wirecard folgten in der Regel heftige Kursverluste an der Börse. Der Kern des Streits: Wirecard beschuldigt die FT, falsche Anschuldigungen zu verbreiten, die Zeitung schreibt über seltsame Zahlungsströme und mangelnde Compliance bei dem Unternehmen. Jetzt hat die Auseinandersetzung eine neue Dimension bekommen: In einem Brief fordert Wirecard die Zeitung auf, bis auf weiteres keine Artikel mehr über den Konzern zu publizieren, und stattdessen eine interne Untersuchung zu starten, um Fehlverhalten in den eigenen Reihen aufzudecken. Grund: Wirecard behauptet in einem Schreiben, „unwiderlegbare Beweise für eine Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern der Financial Times und Short Sellern“ zu besitzen. Darunter versteht man Investoren, die auf fallende Kurse einer bestimmten Aktie wetten. Die Zeitung solle „von jeder Veröffentlichung absehen, die direkt oder indirekt zu Marktmanipulation oder Insiderhandel im Zusammenhang mit Wirecard-Aktien führen könnte“, fordert Wirecard. Der Brief der Anwaltskanzlei Herbert Smith Freehills, die Wirecard vertritt und das darin enthaltene Statement des deutschen Konzerns liegen dem Handelsblatt vor. Auslöser der jüngsten Eskalation ist laut dem schriftlichen Wirecard-Statement die Tonaufzeichnung eines Gesprächs, das sich am vergangenen Mittwoch in London zugetragen haben soll. Bei diesem soll der britische Geschäftsmann Nick XY. dem Vertrauten eines anderen Investors von einem weiteren bevorstehenden kritischen Artikel in der FT berichtet haben, heißt es in dem Statement. Er selbst habe bereits eine Short-Position im Wert von fünf Millionen Pfund aufgebaut, in Erwartung des negativen Artikels, der in den nächsten 48 Stunden veröffentlicht werde. „Weiterer Ablenkungsangriff auf den Journalismus der FT“ Der Geschäftsmann habe seinem Gesprächspartner vorgeschlagen, selbst mit fünf Millionen Pfund auf einen Kursverfall der Wirecard-Aktie zu spekulieren. Als Gegenleistung für seinen Tipp habe er von dem potenziellen Investor die Hälfte des zu erwartenden Gewinns gefordert. Und er habe behauptet, bereits in der Vergangenheit erfolgreich und mehrfach gegen Wirecard spekuliert zu haben – und zwar jeweils auf Basis eines bevorstehenden Artikels der Financial Times. Wirecard wollte sich offiziell nicht zu der Audiodatei und der anwaltlichen Drohung gegen die FT äußern. Die Authentizität des Audio-Materials konnte bislang nicht verifiziert werden. Der Investor, der den Mitschnitt veranlasste, wollte sich offiziell nicht äußern. Nick XY. war für ein Statement nicht erreichbar. Unterlagen, die dem Handelsblatt vorliegen, zeigen, dass die FT tatsächlich einen weiteren Bericht zu Wirecard recherchierte, und den Konzern im Vorfeld mit einer Reihe kritischer Fragen konfrontiert hat. Wirecard habe auf diese Fragen „mit einem weiteren Ablenkungsangriff auf den Journalismus der FT“ reagiert, heißt es in einer Stellungnahme der Zeitung. „Es gab keinerlei geheime Absprachen von Journalisten der FT mit Short-Sellern oder anderen dritten Parteien was den Inhalt oder den Veröffentlichungszeitpunkt von FT-Artikeln über Wirecard angeht“, betont eine Sprecherin der Zeitung. In seinem Statement an die Wirtschaftszeitung beschreibt Wirecard die Genese der Aufzeichnung wie folgt: Der Konzern habe in den vergangenen Tagen Informationen erhalten, dass Nick XY. versuche, im Vorfeld eines weiteren negativen FT-Artikels Geld für eine kurzfristige spekulative Attacke auf Wirecard zu sammeln. Zu diesem Zweck hätten sich Nick XY. und ein Geschäftspartner am Morgen des 17. Junis mit potenziellen Investoren getroffen. Aufzeichnung liegt bei Staatsanwaltschaft München Dieses Gespräch sei „legal in Übereinstimmung mit allen anwendbaren britischen Gesetzen“ aufgenommen worden. Die Aufzeichnung habe man inzwischen zusammen mit weiterem Beweismaterial und Dokumenten an die Strafermittlungsbehörden in Deutschland und Großbritannien weitergereicht, heißt es in dem Wirecard-Statement. Nach Informationen des Handelsblatts ist das Material inzwischen bei der Staatsanwaltschaft München eingegangen. Die Behörde ermittelt bereits seit Februar gegen potenzielle Shortseller und Kontaktleute. Ein Anleger hatte damals in München Strafanzeige gegen die FT gestellt. Ein Londoner Börsenhändler hatte versichert, schon vor Erscheinen eines größeren Artikels am 30. Januar informiert worden zu sein. In der Folge reichte Wirecard Zivilklage gegen die FT ein. Im April stellte dann auch noch die Bafin Strafanzeige gegen eine einstellige Zahl von Personen, darunter auch FT-Journalisten. Die Zeitung hatte wiederholt über dubiose Vorgänge und eine Durchsuchung in der Wirecard-Niederlassung in Singapur berichtet. Ende März räumte der Konzern ein, dass sich Angestellte nach lokalem Recht strafbar gemacht haben könnten. Nach Erkenntnissen der deutschen Finanzaufsicht Bafin, über die das Handelsblatt vor einer Woche berichtete, sind 2019 kaum neue Shortseller im Umfeld der FT-Berichte in die Spekulation eingestiegen. Vielmehr handele es sich um altbekannte Akteure. Die 2019 aktiven Shortseller seien „insofern bekannt, als dass sie überwiegend auch schon in der Vergangenheit Netto-Leerverkaufspositionen in der Wirecard AG hielten“, erklärte das zuständige Bundesfinanzministerium. Gegen Wirecard wird seit Jahren spekuliert, von 2016 bis 2018 registrierte die Bafin fünf Attacken. Hinweise darauf, dass Shortseller ihre Positionen gestückelt haben, um unter der Meldeschwelle von einem halben Prozent Grundkapital zu bleiben, liegen dem Ministerium nicht vor. Deutlich angestiegen seien die Positionen ab dem 1. sowie ab dem 7. Februar 2019. Nach Hinweisen auf geplante Attacken hatte die Bafin am 18. Februar ein befristetes Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien erlassen –ein beispielloser Schritt. Das Verbot lief im April aus.
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