http://www.intern.de/news/4874.html
...die falschen Bücher gekauft? 15.10.2003
Schon vor Tagen wies intern.de auf einen Text hin, der die Erfahrungen einer deutschen Frau bei der Einreise in die USA beschreibt. Ein Teil dieses Berichtes verdient besondere Aufmerksamkeit, denn dieses Detail zeigt, was internationale Datenschutzabkommen in der heutigen Praxis bedeuten.
Es geht dabei um den Fall einer deutschen Frau aus dem Raum Stuttgart. Schon vor dem Abflug war die in Pakistan geborene Frau gewarnt worden, dass es in letzter Zeit an ihrem Zielflughafen Atlanta Probleme gegeben hat. Mehrfach wurde Personen aus Deutschland die Einreise in die USA verweigert und das nicht immer aus nachvollziehbaren Gründen. Doch die Frau wollte ihren Verlobten besuchen, einen US-Amerikaner, der bereits in der Navy und im diplomatischen Corps der USA gedient hat.
Kurz nach der Landung zeigte sich, wie berechtigt die Warnungen waren. Die Frau wurde in einen separaten Raum verbracht, ihr Gepäck untersucht, jedes Detail fotokopiert. Nach Stunden des Verhörs und des Wartens wurden ihr Handschellen angelegt und sie wurde in eine Zelle gesperrt. Nach weiteren Demütigungen und einer insgesamt sehr rüden Behandlung wurde sie dann am nächsten Tag in ein Flugzeug gesteckt und nach Stuttgart zurückgeschickt.
Der zuständige "Border Agent", der letzlich die Einreise verweigerte, hatte auch Kontakt zum Verlobten der Frau aufgenommen. Dieser, selbst Sohn eines US-Diplomaten, hatte für seine Verlobte gebürgt und vorgeschlagen, auch den Rest seiner Familie als Zeugen zu kontaktieren. Doch das Angebot wurde von dem Border Agent nicht genutzt.
Er hatte schon andere "Quellen" konsultiert und eine davon ist auch in Deutschland keine unbekannte Größe: "Ich habe sie bei Amazon.com nachgeschlagen und sie mögen wohl Bücher über Zweitsprachen" meinte der Border Agent ("He said, ‘I looked you up on Amazon.com and you like books about second languages,’")
Manch' einem, der bei Amazon.de Bücher bestellt, dürfte diese Aussage den Atem verschlagen. Bedeutet dies doch nichts anderes, als dass Informationen über Buchbestellungen und andere Käufe sogar schon den Zoll- und Einwanderungsbeamten der USA frei zugänglich sind. Und dass diese Informationen den Beamten dabei helfen, sich ein Bild über eine Person zu verschaffen.
Der beschriebene Fall ist sicher kein Beweis, dass dies regelmäßig geschieht. Es kann sogar sein, dass es sich hier nur um einen höchst übereifrigen Beamten gehandelt hat. Dass die Recherche aber tatsächlich erfolgte, ist wiederum mehr als wahrscheinlich. Die Frau bestätigt die Aussagen über ihre Buchvorlieben.
Genaueres dazu, über welche Wege, in welcher Form und wie häufig die Informationen von Amazon.com "genutzt" werden, bleibt allerdings im Dunkeln. Zu diesem Schluss kommt auch der Jurist Jörg Heidrich, der vor einiger Zeit die internationale rechtliche Situation in einem Beitrag der iX erläuterte und dabei auch mit der Amazon GmbH Kontakt aufnahm.
Besonders ergiebig war dies allerdings nicht, denn die GmbH kann auf ihre Datenschutzerklärung verweisen, wonach Amazon.com an dem "Programm Safe Harbor" teilnimmt. Amazon hat sich also dazu verpflichtet, sich an die Datenschutzprinzipien zu halten, "auf die sich die USA und die EU geeinigt haben".
Das heißt zunächst einmal, dass alle Amazon-Kundendaten in den USA gespeichert und verarbeitet werden können und sich somit der Kontrolle in Deutschland entziehen. Das im Jahr 2000 nach langen Verhandlungen akzeptierte Safe Harbour-Abkommen sollte aber eigentlich gewährleisten, dass europäische Datenschutzstandards auch in den USA eingehalten werden.
Doch - wie Heidrich feststellt - kam dann der 11. September 2001 und veränderte die Situation grundlegend. Innerhalb weniger Wochen wurde ein mehrere hundert Seiten umfassendes Gesetzeswerk ratifiziert, das die Möglichkeiten der Strafverfolgungsorganisationen, Nachrichtendienste und anderer staatlicher Einrichtungen enorm erweiterte.
Der Name des Gesetzes ist Programm: "Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism (USA PATRIOT ACT)".
In der Praxis eröffnet der Patriot Act den staatlichen Informationssammlern bisher ungeahnte Möglichkeiten. Das betrifft unter anderem die Erlaubnis zur Überwachung elektronischer Kommunikation. Das betrifft aber auch die Verpflichtung zur Weitergabe von Informationen.
So sind selbst öffentliche Bibliotheken dazu gezwungen, die Behörden darüber zu informieren, wer, wann, welche Bücher ausgeliehen hat. Und das Gesetz macht es den befragten Stellen gleichzeitig zur Auflage, dies den betroffenen Personen zu verschweigen.
Da wundert es nicht, wenn auch Amazon.com seine Informationen den Behörden preisgeben sollte. Und es darf ebensowenig verwundern, wenn dann über die Hintergründe geschwiegen wird. Notwendig wäre diese Mitarbeit allerdings nicht, denn wie gesagt könnten sich die US-Dienste genausogut selbst die Daten beschaffen. Schließlich haben sie das Recht, die elektronische Kommunikation zu überwachen.
Ein wenig störend mag man es vielleicht empfinden, wenn dies alles bei einem deutschen Staatsbürger dazu führt, dass man ihm die Einreise verweigert. Doch andererseits kann man das sogar als eine Art Aufwertung verstehen.
Immerhin macht der Patriot Act in seinem Informationsinteresse keinen Unterschied zwischen einer "United States Person" und anderen zweibeinigen Bewohnern dieser Welt. An den Lese- und Kaufvorlieben der Nicht-Amerikaner hat man sogar ein besonderes Interesse, wie die Regelungen zur "foreign Intelligence Information" im Patriot Act zeigen.
Und Hand aufs Herz: Es ist ja auch kein großes Problem, sich beim Amazon-Buchkauf oder bei der eBay-Auktion (s.a. "Flexibler Datenschutz bei eBay") patriotisch zu verhalten. Wer in die USA einreisen will, sollte da schon ein wenig Verständnis zeigen.
Nachtrag (18. Oktober): Der Verlobte der Frau hat inzwischen in einer Mail angegeben, dass der Beamte bei der Vernehmung den Raum verlassen hat, und nach dem Konto der Deutschen suchte. Auf das Konto selbst hat er aber nach dieser Darstellung vermutlich keinen Zugriff genommen, sondern lediglich die öffentlich zugängliche Wish List (Wunschliste) eingesehen. Ansonsten warnt der Verlobte aber davor, europäische Bücher oder Zeitschriften ins Land zu bringen, die die Bush Administration kritisieren, oder das Thema "Terrorismus" behandeln "... because if you do, you could very well be barred from the United States…"
Gazette.com: Turned away at border http://www.gazette.com/popupNews.php?id=595347
Amazon.de Datenschutzerklärung http://www.amazon.de/exec/obidos/tg/browse/-/3312401/
Jörg Heidrich: Datenwanderung http://www.heise.de/ix/artikel/2003/05/096/
Patriot Act http://www.epic.org/privacy/terrorism/hr3162.html
Aus der Praxis: eine Warnung der öffentlichen Bibliothek Sanat Cruz: http://scplweb.santacruzpl.org/libraryadmin/ljpb/usapatmsg.shtml
Safe Harbor Informationen http://www.export.gov/safeharbor/
intern.de: Flexibler Datenschutz bei eBay http://www.intern.de/news/4779.html
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Diese Einreisetips erinnern mich an die Tips für Transit nach Berlin oder gar damals für Besuch in die DDR.
Hauptsache Knibert und Kalle findens toll und vorbildlich.
|