Daimler-Truck-Bosse: Werden noch „über jeden Truck froh sein, der Wasserstoff tankt“ Von: Martin Murphy, Franz Hubik Der CEO und der Aufsichtsratschef von Daimler Truck fordern „jetzt sofort“ neue Gesetze zur Verkehrswende. Wasserstoff sei dabei essenziell.
Link per E-Mail senden Daimler-Truck-Chef Martin Daum (links) und Aufsichtsratschef Joe Kaeser wollen die Nutzfahrzeugmarke zukunftsfest aufstellen. Umbau der Truck-Welt
Daimler-Truck-Chef Martin Daum (links) und Aufsichtsratschef Joe Kaeser wollen die Nutzfahrzeugmarke zukunftsfest aufstellen.
Berlin, München Mehr als hundert Jahre lang stand Daimler Truck im Schatten des dominanten Autogeschäfts von Mercedes-Benz. Seit vergangener Woche ist der weltgrößte Hersteller von schweren Lastwagen und Bussen aber eigenständig an der Börse gelistet. Konzernchef Martin Daum und sein neuer Aufsichtsratsvorsitzender, der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser, skizzieren im Doppelinterview mit dem Handelsblatt die Vorteile der gewonnenen Freiheit.
Zugleich richten die beiden Manager einen Appell an die neue Ampel-Koalition in Berlin. Sie fordern ein ganzheitliches Konzept beim Weg in die CO2-Neutralität. „Eine Agenda 2030+, die eine sozial-ökologische Marktwirtschaft der Moderne beschreibt, ist unumgänglich“, konstatiert Kaeser. Wenn es dagegen weiterhin acht bis neun Jahre dauere, um eine Stromleitung vom Norden in den Süden des Landes zu verlegen, sei der Kohleausstieg bis Ende der Dekade nicht zu schaffen.
„Jetzt sofort müssen die Rahmenbedingungen geändert werden – und die müssen dann Bestand haben“, sagt Kaeser. Denn die Innovationszyklen der Wirtschaft würden länger als vier Jahre dauern, also länger als bis zum nächsten Wahlkampf. Beim Wechsel vom Dieselmotor auf elektrische Antriebe müssten Politik und Industrie neben der Batterie auch Investitionen in die wasserstoffbasierte Brennstoffzelle forcieren, assistiert Martin Daum.
„Wenn erst einmal 80 Prozent aller Pkw elektrisch fahren sowie die Hälfte aller Fernlastwagen, werden wir über jeden Truck froh sein, der Wasserstoff tankt“, glaubt der Nutzfahrzeugexperte. Der Grund: Würde man ausschließlich auf Batterieantriebe setzen, müsste sichergestellt werden, dass an jeder größeren Raststätte 100 Lkw parallel laden könnten. Dafür seien 70 Megawatt elektrische Leistung nötig. „Alternativ gingen auch 35 Windräder oder ein zwei Hektar großes Solarfeld, beides würde aber in der Nacht wenig nützen“, gibt Kaeser zu bedenken.
THEMEN DES ARTIKELS Daimler Energie-Technik Wasserstoff Führungsstrategien Erneuerbare Energien Wirtschaftspolitik Elektromobilität Joe Kaeser Daimler Truck Mercedes-Benz Die Batterie und die Brennstoffzelle seien daher keine konkurrierenden Technologien. „Das ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch“, sagt Daum. Das Fazit der Truck-Bosse lautet: Ohne grünen Wasserstoff, der in sonnenreichen Ländern erzeugt und von dort nach Europa exportiert wird, könne die Energiewende nicht gelingen.
Lesen Sie hier das ganze Interview.
Herr Kaeser, Herr Daum, bislang musste Daimler Truck im Konvoi mit den Autos von Mercedes-Benz fahren. Haben Sie sich nun von der Muttergesellschaft gelöst oder die Mutter von der Lkw-Tochter? Daum: Weder noch. Es ist keine Scheidung gewesen. Die beiden Unternehmen sind wie Geschwister, die nun ihre unterschiedlichen Interessen erkannt haben. Unter einem Dach konnten wir die nicht ausleben. Daher gibt es nun zwei Konzerne.
Ihre Schwester Mercedes-Benz wirkt mit einem Mal ganz befreit. Ohne die Diesel-Trucks kann sich der Pkw-Hersteller schneller zum reinen Anbieter von Elektroautos wandeln. Daum: Wir sind nie eine Last für den Gesamtkonzern gewesen. Aber: Der Fokus auf nachhaltige Luxus-Pkws passt nicht zum Lkw-Geschäft, bei dem für die Kunden die Wirtschaftlichkeit eines Trucks wichtig ist und nicht irgendein Image. Luxus ist kein Wert im Lkw-Bereich. Die Teilung ist daher gut für beide Firmen.
Daimler Trucks hat zuletzt ein Konzept für ein brennstoffzellenbetriebenes Langstreckenfahrzeug vorgestellt. http://media.daimler.com Mercedes-Benz GenH2 Truck
Daimler Trucks hat zuletzt ein Konzept für ein brennstoffzellenbetriebenes Langstreckenfahrzeug vorgestellt.
Bild: http://media.daimler.com
Wird Daimler Truck nun die letzte Bastion für die Dieselfraktion? Daum: Das wird sicherlich nicht so sein. Im Jahr 2030 wird es aber Regionen in der Welt und Einsatzbereiche geben, in denen wir ohne den Verbrenner nicht auskommen werden. In vielen Ländern etwa in Afrika oder Südamerika wird es keine Infrastruktur für Elektro-Lkws oder Wasserstofftankstellen geben. Langfristig werden sich diese Regionen umstellen, aber es wird seine Zeit brauchen.
Herr Kaeser, Sie sind bisher nicht als Trucker aufgefallen. Was hat Sie gereizt, die Aufgabe als Vorsitzender des Aufsichtsrats zu übernehmen? Kaeser: Ich fühle mich hier einfach wohl. Es ist meine vierte Zellteilung, bei der ich mitmache. Bei Siemens habe ich Osram an die Börse gebracht sowie die Gesundheits- und die Energietechnik.
„Beim Hochlauf der Elektromobilität brauchen wir Wasserstoff und Batterien“
Sie haben also schlicht Freude am Zerlegen von Unternehmen in ihre Einzelteile. Kaeser: Das ist doch kein Selbstzweck, sondern das Schaffen neuer Perspektiven. Es ist meist auch eine Befreiung für die jeweiligen Einheiten. Mich begeistert auch hier bei Daimler Truck, welche Energien und Aufbruchstimmung ein solcher Schritt entfesselt. Ich weiß aus meiner Zeit im Aufsichtsrat der Daimler AG, wie die Rangfolge war. Die Trucks kamen bei der Ressourcenverteilung immer erst weiter hinten. Daum: Wir sind fokussierter und können schneller auf die Veränderungen reagieren.
Was Sie beide eint, ist Ihr unbändiger Glaube daran, dass künftig eine riesige Wasserstoffwirtschaft rund um den Globus entstehen wird. Wie kommen Sie zu dieser Annahme? Daum: Wenn ich aus dem Fenster rausgucke, dann haben wir hier im Stuttgarter Raum in dieser Jahreszeit oft absolute Windstille und kaum Sonne. Die eigentliche Frage ist daher: Wie können wir grüne Energie speichern und transportieren? Wenn das alles über Leitungen funktionieren würde, bräuchten wir keinen Wasserstoff. Dummerweise lässt sich Strom aus Photovoltaikanlagen aber nicht in Europa oder im Norden Amerikas für unter einen Cent pro Kilowattstunde herstellen, sondern nur in Regionen wie Australien oder dem Nahen Osten, wo die Sonne stetig scheint. Und um diese Energie von dort nach Deutschland zu bringen, brauchen wir Wasserstoff.
Vita Joe Kaeser
Der Manager
Das Unternehmen
Aber warum sollte der Wasserstoff dann ausgerechnet in Trucks eingesetzt werden. Batterieantriebe sind weit effizienter. Daum: Die Batterie und die wasserstoffbasierte Brennstoffzelle sind keine konkurrierenden Technologien – das ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Beim Hochlauf der Elektromobilität brauchen wir beides. Denn wenn erst einmal 80 Prozent aller Pkw elektrisch fahren sowie die Hälfte aller Fernlastwagen, werden wir über jeden Truck froh sein, der Wasserstoff tankt.
Warum? Daum: Weil sonst an jeder größeren Raststätte 100 Trucks mit je 700 Kilowatt Leistung parallel laden müssten. Dafür wären 70 Megawatt elektrische Leistung nötig. Und diese Energiemengen an die Raststätten zu bringen ist alles andere als trivial, oder Joe? Kaeser: Um 70 Megawatt Energie zu erzeugen, bräuchte man ein Grundstück mit einem Kraftwerk mitsamt zwei Turbinen neben der Raststätte. Alternativ gingen auch 35 Windräder oder ein zwei Hektar großes Solarfeld, beides würde aber in der Nacht wenig nützen. Die großen Parolen, dass wir schon 2030 oder noch früher alles auf grüne Energie umstellen müssen, klingen wunderbar. Aber wir müssen glaubwürdig bleiben und sehen, was operativ wirklich umsetzbar ist.
„Jetzt sofort müssen die Rahmenbedingungen geändert werden“
Was ist mit der neuen Ampelkoalition hier alles umsetzbar? Kaeser: Wir haben jetzt im Grunde eine synthetische sozial-ökologische Marktwirtschaft bekommen. Die SPD steht für den sozialen Teil, die Grünen für den ökologischen Part und die FDP für die Marktwirtschaft. Diese Koalition hat mit einer beachtlichen Aufbruchsenergie angefangen. Nun müssen Anspruch und Wirklichkeit näher aneinandergebracht werden. Wenn man weiter acht bis neun Jahre braucht, um eine Stromleitung vom Norden nach Süden zu kriegen, dann wird es schwierig mit dem Kohleausstieg 2030.
Was fordern Sie? Kaeser: Jetzt sofort müssen die Rahmenbedingungen geändert werden – und die müssen dann Bestand haben. Denn die Innovationszyklen der Wirtschaft dauern länger als vier Jahre. Wir brauchen ein ganzheitliches Konzept beim Weg in die CO2-Neutralität. Eine Agenda 2030+, die eine sozial-ökologische Marktwirtschaft der Moderne beschreibt, ist unumgänglich.
Vita Martin Daum
Der Manager
Das Unternehmen
Robert Habeck, der neue Wirtschafts- und Klimaminister, hat angekündigt, mit den Unternehmen in den Dialog zu treten und die „Kreativität der Märkte“ nutzen zu wollen. Überzeugt Sie das? Kaeser: Es wäre gut, wenn er mit den führenden Unternehmen der einzelnen Branchen zusammenkäme. Es nützt jedenfalls wenig, nur mit den Dachverbänden zu reden, weil die schon so viele Verwässerungen mitbringen, dass es kaum aktionable Themen gibt. Was wir brauchen, sind aber tangible Beispiele, die jeder sehen kann. Erst wenn wir zeigen können, wie genau sich zum Beispiel grüner Stahl produzieren lässt und wie genau wir – vorzugsweise grünen – Strom zu den Ladesäulen für die Elektroautos bringen, werden wir auch Veränderungsakzeptanz in der Bevölkerung schaffen.
Daimler Truck war in den vergangenen Jahren für viele Investoren der Inbegriff der Zuschreibung: „overpromise and underdeliver“. Warum sollte sich das jetzt mit Ihrer Eigenständigkeit ändern? Daum: Wir haben natürlich analysiert, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Wir haben beispielsweise immer darauf gesetzt, Marktanteile zu gewinnen, um später die Preise für unsere Produkte erhöhen zu können. Jetzt konzentrieren wir uns stattdessen auf die Felder, die wir tatsächlich beeinflussen können. Wir haben die Kosten radikal gesenkt und die Qualität unserer Trucks enorm verbessert. Zudem sind wir so transparent wie keiner unserer Wettbewerber. Wir berichten die Ergebnisse jeder Region. Das heißt: Keiner kann sich mehr verstecken.
„Viele Großkunden wollen ihre Flotte erneuern“
„Jedes Segment muss liefern“, lautet Ihr Credo. Aber was passiert mit jenen Bereichen, die das nicht hinbekommen? Daum: Das ist keine Option. Wir werden nachschärfen, sollte sich etwas nicht in die richtige Richtung entwickeln. Dafür ist das Management da. Und Sie können mir glauben: Keiner im Vorstand will derjenige sein, der nicht liefert. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen werden.
Gefährdet die lang anhaltende Pandemie mit neuen Mutanten wie Omikron nicht Ihre Prognose? Daum: Nein, das glauben wir nicht, denn das Transportvolumen bleibt hoch. Klar ist aber: Hätten wir keine Engpässe bei Chips, hätten wir jetzt den größten Absatz unserer Geschichte. Die Nachfrage ist wahnsinnig hoch. Wir werden dieses Jahr aber leider eine hohe Anzahl an Fahrzeugen nicht bauen können.
Verschiebt sich dieser nicht ausgeschöpfte Absatz in die nächsten Jahre und verlängert damit den Aufschwung Ihrer Branche, oder kommt der nächste Abschwung so schnell wie eh und je? Daum: Wir denken, dass sich der sehr positive Zyklus, in dem wir uns aktuell befinden, verlängern wird. Viele unserer Großkunden planen umfassende Flottenerneuerungen. Das dürfte sicher bis 2023 oder 2024 anhalten.
Sie klingen sehr optimistisch. Dabei koppeln sich China und die USA zunehmend voneinander ab, und in der Ukraine droht womöglich eine Invasion russischer Truppen. Sind Sie vorbereitet, falls einer dieser Konflikte eskaliert? Daum: Ich betrachte diese Konflikte mit großer Sorge. Handelsschranken und nationale Egoismen werfen uns alle um Jahre zurück. Daimler Truck ist aber grundsolide aufgestellt. Wir haben eine starke Bilanz und eine gute Liquiditätsreserve. Mir ist daher vor keiner Krise bange. Wir sind zudem stark in den lokalen Ökonomien verankert und versuchen, dort auch so autark wie möglich zu agieren. Dadurch ist unser Geschäft vergleichsweise wetterfest.
Sind Sie auch so entspannt, Herr Kaeser? Kaeser: Wie sich internationale Konflikte entwickeln, ist immer schwierig vorherzusehen. Strukturell hat das Geschäft von Daimler Truck aber eine wunderbare Zukunft.
Wie kommen Sie darauf? Kaeser: Ein Trend, der gerne übersehen wird, ist der Internethandel. Immer kleinere Losgrößen werden dabei immer schneller zum Kunden gebracht. Wenn man große Gebinde transportiert, reicht es, wenn der Lkw alle paar Wochen fährt. Mit dem Onlinehandel nimmt der Bedarf an Gütermobilität dagegen massiv zu. Und das spielt Daimler Truck in die Karten. Schon jetzt stehen vor den Häfen Tausende Schiffe, die nicht gelöscht werden können, weil es an Trucks fehlt, die die Container wegschaffen können.
Es gibt aber auch einen enormen Mangel an Lkw-Fahrern: Und ohne Fahrer werden Sie kaum Lkws verkaufen können. Kaeser: Wir müssen diese Jobs attraktiver machen und die Rhetorik ändern. Wir dürfen den Leuten nicht einreden, dass bald alle Trucks autonom fahren werden. Davon sind wir noch weit entfernt. Wir brauchen weiterhin viele zuverlässige Lkw-Fahrer. Dieses Geschäft bietet sehr gute Zukunftsaussichten.
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