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Der Tag, als der Frankfurter Baulöwe Rolf-Jürgen Otto in den Osten ging… Eine Schicksalsstory mit allen Zutaten zwischen Frankfurt und Dresden Von Horst Reber
(19.03.12) Für die Neugestaltung der Stadt Frankfurt und dem Bau des S-Bahn-Tunnels zwischen Hauptbahnhof und Hauptwache karrte der Frankfurter Kaufmann Rolf-Jürgen Otto jahrelang tonnenweise Kies und Erde an. Wäre er bei dieser Profession geblieben, könnte er heute vermutlich glücklich zurückschauen. Seine Probleme begannen, als er nach der Wende 1990 nach Dresden ging, um dort wie viele andere vor und nach ihm das Aufbruch-Glück in der DDR zu suchen. Anfangs fand er das „Gold“ , das er suchte. Bis er dann zum Präsidenten des Bundesligaclubs Dynamo Dresden gewählt wurde. Der Ex-Präsident aus Frankfurt war am Freitagabend nicht in der Commerzbank-Arena, obwohl er die Zweitliga-Begegnung (3:0) zwischen Eintracht Frankfurt und Dynamo Dresden gerne live erlebt hätte. Sein schwer geschädigter Gesundheitszustand ließ es nicht zu. Wem hätte er die Daumen gedrückt? „Das behalte ich besser für mich“, meinte er.
Rolf-Jürgen Otto – ein Name, den jeder Fußballfan in Sachsen kennt. Der einstige Multi-Unternehmer, der als junger Mann mit Taxilizenz in die Kiestransportfirma seines tüchtigen, aber auch strengen Vaters aus dem Stadtteil Griesheim eingestiegen war, ließ sich schon in jungen Jahren vom Glanz des großen Business in Frankfurt magisch anziehen. Mit den städtischen Lkw-Fuhren für den Untergrund hatte er sich zwar bald ein schönes Finanzpolster gesichert, aber was dem blonden Heißsporn jedoch fehlte, war die breite Anerkennung in der besseren Gesellschaft. Er wollte mehr sein, als ein Transporteur für den Bau der U- und S-Bahn. Die kleinen Steine auf den Lastwagen der väterlichen Firma waren zwar gutes Geld wert, aber nur wenige Geschäftsleute der höheren Kategorie nahmen Notiz davon.
Mit Restaurants nach „oben“ Wie schafft man den Einstieg nach oben? Otto, schon als Schüler pfiffig, ließ sich deshalb als Weg die Übernahme nobler Restaurant-Adressen einfallen. Dort wo die betuchte Society speiste, plauderte und Geschäfte abwickelte. Beispielsweise in der City der Mainmetropole, in der Frankfurter Top-Gastronomie. Seine ersten Coups fanden schnell Anklang: Mit der Übernahme des Restaurants „Alt-Kopenhagen“ (Steinweg-Passage), wo auch Formel-1-Fahrer Niki Lauda seinen Hunger stillte, der „Taverne Royale“, wo insbesondere die reichen Börsengurus bei Gerichten des legendären „Zeppelin“-Starkochs Xaver Maier ihre Tagesgewinne mit Champagner und Hummer feierten sowie der „Backstubb“ (Junghofstraße) sowie dem berühmten „Cafe Kranzler“ (Hauptwache) war der Kies-Unternehmer schnell in aller Munde. Das waren ideale Adressen, wo sich der Griesheimer Bub aus solidem Elternhaus recht schnell mit Stadt-Prominenz und aktuellen Namen aus Show und Sport umgeben konnte. Diese Welt war für ihn faszinierend und anregend für weitere Exkursionen, so dass er sich irgendwann animiert fühlte, sich als Promoter mit größeren Box-Veranstaltungen um Deutsche Meistertitel (Bernd August usw.) in der Festhalle sowie mit Show-Veranstaltungen (Thomas Anders) in der Schlagerbranche auszuprobieren. Was dann unter dem Strich gesehen finanziell öfter in die Hose ging. Für ihn jedoch kein Grund, das Handtuch zu werfen – Otto erwies sich als ein Stehaufmännchen. Einer, der gerne alles wagt unt er dem Motto „Hopp oder Dopp“. Letzteres kam zu oft.
Heute bescheidener Rentner Bundesweit wurde Rolf Otto, der heute bescheiden als über 70jähriger Rentner mit seiner Frau Ursula zur Miete in Sachsenhausen lebt, als Bundesligapräsident auch im Aktuellen Sportstudio des ZDF bekannt. Heute ist alles anders. Kein Stadionjubel, keine Fernsehkameras mehr, stattdessen kleine familiäre Anlässe als Höhepunkte in seinem neuen Leben mit tückischen Krankheiten. In Dresden war ein Jugendtraum in Erfüllung gegangen. Die dortigen Begegnungen mit dem damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Prof. Dr. Kurt Biedenkopf und seiner Frau Ingrid und anderen Politikern erlebte der damalige Wahl-Dresdner als „Momente des Glücks, die mir bis heute als schöne Erinnerung geblieben sind“, versichert er bei einem Gespräch.
Alles hatte mit der Wende in der DDR begonnen. Von da an schien sich sein Leben prächtig zu entfalten. Der erste Weg zur Treuhand, die mit maroden Firmen teilweise wie mit Zitronen handelte, erschien anfangs sehr erfolgversprechend. Für ein Butterbrot und ein Ei konnte man Firmen kaufen, allerdings unter Auflagen des Erhalts. Otto sicherte sich gleich mehrere Firmen aus der maroden sozialistischen Hinterlassenschaft von DDR-Betrieben. Er, der die Suche nach Anerkennung nie aufgegeben hat, schien in Sachsen auf die richtigen Pferde des Aufschwungs gesetzt zu haben. Er bewegte Dresden und die Region recht schnell sowohl sportlich wie auch kommunalpolitisch. Als FDP-Stadtparlamentsvertreter mischte er im Rathaus kräftig voller Selbstbewußtsein mit kaufmännischen Kenntnissen aus dem Westen überall dort mit, wo neue Wege und Erfahrungen für neues Leben gebraucht wurden. Der kräftige Wessi mit dem hessischen Zungenschlag, der auch mitunter seinen Mutterwitz öffentlich für seine Ziele einsetzte, wurde schnell für die Boulevard-Medien eine ständige Anlaufadresse. Pressekonferenzen wurden zum täglichen Brot. Er war einer, dem man mit Respekt, aber auch Mißtrauen, begegnete, weil er für alle Probleme recht schnell Lösungen parat hatte. Es waren deshalb nicht nur gute Gefühle, die den Frankfurter bei seinem Tun in Sachsen begleiteten.
"König Otto" im Focus Wie in vielen anderen Fällen nach dem Fall der Mauer war der Juniorchef des angesehenen Fuhrunternehmens seines Vaters plötzlich ein Dauerthema. Mit Übertreibungen in beide Richtungen. Mal positiv, mal negativ. In Dresdens besseren Bundesligazeiten (1992/93) mit dem Klassenerhalt lauteten die Schlagzeilen in Dresdner Gazetten „König Otto“. Nach der endgültigen Lizenzverweigerung 1995 aber auch der „Otto, der Totengräber von Dynamo“. Obwohl er mit seinen Firmen, die Miethäuser erstellten und Fenster in Neubauten einsetzten, Umsätze generierte, er und seine Vorstandsmitglieder finanziell auch mit Eigenmitteln und Transfers wie die Löwen kämpften, um den DFB-Lizenzanforderungen gerecht zu werden, gings immer mehr bergab. Deckungsbeträge, die heute in der Bundesliga jeden Schatzmeister zufrieden und ruhig lächeln ließen, insbesondere, wenn man Vereine wie Borussia Dortmund mit Millionenbergen an Schulden in jenen Zeiten anführen würde, türmten sich unter den kritischen Augen des DFB immer mehr auf. Ottos schlaflose Nächte, seine Sitzungen und Schachzüge nutzten jedoch irgendwann nichts mehr. Die Kassen, die vorher schon von so genannten Beratern aus dem Saarland ziemlich geplündert waren, blieben leer. Kenner sagen: „Sponsoren blieben fern, weil man Otto stürzen wollte. Er machte in ihren Augen zu viel Unruhe, zudem stand er anderen Fußball-Hasardeuren und Alt-Mitgliedern mit neu erwachten Gefühlen, die in Dresden Morgenluft witterten, für eigenes Handeln im Wege.“
Verblassender Ruhm Nachdem Dynamo plötzlich durch nachlassende Erfolge auch als Verein nicht mehr so interessant wie davor war, verblasste auch der Ruhm seines gewichtigen Präsidenten. Der Fiskus und der Staatsanwalt interessierten sich plötzlich wegen Konkursverschleppung und Untreue für den kräftigen Frankfurter. Seine Medienbeschreibung lautete „Otto, der Poltergeist von Dynamo“. Man schilderte ihn zudem als „Spielernatur“ und mitunter aber auch als „Retter von Dynamo“. Die Schlagzeilen summierten sich. Zwischenzeitlich mehr als ihm lieb sein konnte. Als „ungewöhnlicher Typ aus Hessen“ ist Otto den Sachsen bis heute im März 2012, also über 20 Jahre später, noch in lebhafter Erinnerung geblieben“, wie kürzlich der MdR-Hörfunk-Reporter Gerd Zimmermann in einer MDR-Reportage am Mikrophon preis gab. In der Beschreibung fand sich aber Otto „als einer, der im positiven Sinne Berge versetzen konnte, aber auch für Chaos stand“, wie ehemalige Dynamo-Profis ihren Ex-Chef schilderten. Was die Fußballkicker wie Rene´ Müller, Matthias Maucksch, Miroslav Stevic oder Andreas Wagenhaus ihrem Chef Rolf-Jürgen Otto allerdings bis heute fairerweise noch anrechnen: „Wir haben immer unser Geld bekommen. Manchmal einige Tage später als Monatsende, aber die Kohle kam immer korrekt aufs Konto.“
Drei Jahre Gefängnis urteilte das Gericht in Chemnitz nach einem aufsehenerregenden Prozess über Otto. Er hatte als Bauunternehmer mit Millionen jongliert, u. a. manchmal mit mehreren Finanzspritzen seiner Präsidiumsmitglieder Walter Hoff und Dieter Burmester. Es wurde alles versucht, um den Ball beim finanzschwachen 1. FC Dynamo, der schon zu Präsident Rüdiger Ziegenbalk, der von Otto abgelöst wurde, unter gewaltiger Geldnot litt, im Spiel zu halten. Die Nerven lagen oft blank, nicht nur bei den Bundesligaspielen auf der Ehrentribüne im Rudolf-Harbig-Stadion, wo in jener Zeit nur 300 Besucher Platz fanden. Otto ließ zwar manches im maroden Stadion durch eigene Handwerksleute renovieren – es richtete sogar einen VIP-Raum für Sponsoren und Ehrengäste ein - aber wirklich geholfen hat dies nicht. Der Verein war und blieb ein „armer Ossi-Club“, der allerdings um seinen Platz in der Bundesliga mit allen Mitteln kämpfte. Als sportlicher Retter in der Rolle eines Trainers erwies sich in dem Auf und Ab danach für eine Saison der ehemalige Offenbacher-Kickers-Bundesligaspieler Siggi Held als purer Glücksfall. Er rettete die Mannschaft vor dem ständig drohenden Abstieg Bundesligasaison, um sich dann nach einem Jahr Trainerjob ebenso wie andere Stützen des Vereins neuen Aufgaben zuzuwenden. Auch Siggi Held war Dynamo Dresden mit all seinen Abstrichen gegenüber dem Westen dann doch zu stressig geworden.
Harte Zeiten Nach der Dynamo-Lizenzverweigerung des DFB im Jahr 1995 fand Rolf-Jürgen Otto fast nur noch juristisch statt. Das Gericht in Chemnitz verurteilte den Chef der „Dynamos“ zu einer dreijährigen Haftstrafe, die er allerdings als kranker Mann nur zum Teil absitzen musste. Otto ist im Rückblick ein Opfer seines Machthungers und der Eitelkeit im Scheinwerferlicht der Bundesliga geworden. Sein Höhenflug war für alle Beobachter seines Werdegangs viel zu kurvenreich. Baulöwe und Bundesliga, dazu ein Frankfurter an den Hebel in Dresden – das forderte Kritik und Misstrauen heraus. Immerhin baute der als erster Unternehmer aus dem Westen mit heimischen Arbeitern und einem ehrgeizigen Bürgermeister eine kleine Wohnstadt mit vielen Einfamilienhäusern in Dresden-Weißig. Otto galt in jener Zeit auch in der Politik als Macher und Mauler. Ähnlich dem bekannten Frankfurter Baulöwen Schneider, der dann auch irgendwann ebenfalls zwischen Frankfurt und Leipzig mit seinen ehrgeizigen Projekten in den Maschen der Justiz landete. „Über Nacht hatte ich plötzlich mal rund 600 Mitarbeiter“, erzählt er heute ruhig und gefasst. „Aber ich hatte mich bei der Treuhand auch verpflichtet, in den ersten zwei Jahren keine Mitarbeiter zu entlassen. Dies alles und die vielen Probleme mit dem Fußball und den Neidern aus Ost und West haben meine Kräfte nicht gepackt.“ Seine heutige Einsicht: „Es kam, was nicht kommen durfte, aber vorauszusehen gewesen wäre. Hätte ich auf wohlmeinende Ratschläge gehört, wäre mir manches erspart geblieben. Aber Irgendwann wuchs mir alles über den Kopf.“
Bescheiden und krank am Main Nach dem wirtschaftlich dringenden Aufstieg des Ostens kam für Rolf-Jürgen Otto eine bittere Zeit des ganz persönlichen Abstiegs. Sie hat ihn nach eigener Anschauung auch seine einstmals robuste Gesundheit gekostet. Heute wechselt er mal von diesem ins nächste Frankfurter Krankenhaus, stets umsorgt von seiner Frau Ursula. Einige Freunde sind ihm geblieben, allerdings nicht viele. Rolf-Jürgen Otto: „Meine Probleme sind Herz, Leber , Lunge und mehr.“ Seine Lehren aus dieser wilden Ära seines Lebens: „Ich war viel zu ehrgeizig, zum Teil auch wie im Rausch. Viel gewagt, noch mehr verloren, aber ich habe auch kostbare Erfahrungen gesammelt. Sie sind jetzt mein Eigentum, allerdings ohne Kurswert.“ Mit leiser Stimme zieht der ehemalige „Dynamo-Boss“ trotz allem noch lächelnd sein Fazit: „So war halt mein Leben. So wird es nie wieder sein...“ ----------- "Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart."
Curt Goetz
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