Die Niedrigzinsphase – Ursachen und Hintergründe Von Franziska Wendlandt Erstellt am 05.03.2018 0 Die Niedringzinsphase ist eigentlich gar keine Phase mehr, sondern zu einem Dauerzustand geworden – aber wie kam es überhaupt dazu, warum hält sie sich so hartnäckig und welche Folgen hat das bereits heute und in der Zukunft?
Zwischen 2007 und 2009 erschütterte eine weltweite Banken- und Finanzkrise die internationale Wirtschaft. Infolge dieser Krise senkten die großen Zentralbanken die Leitzinsen – also nicht nur die Europäische Zentralbank (EZB), sondern auch die amerikanische Notenbank FED und die Zentralbanken von Japan und Großbritannien.
Das geldpolitische Mittel der Zinsgestaltung ist eine wesentliche Aufgabe der Notenbanken: In Zeiten von Wirtschaftswachstum erhöhen sie die Zinsen, um zu verhindern, dass sich die Konjunktur überhitzt. In wirtschaftlich schwachen Phasen senken sie die Zinsen, um die Folgen des Tiefs zu begrenzen. Die Dauer und das Ausmaß der derzeitigen Niedrigzinsphase ist allerdings beispiellos: Seit 2008 sank der EZB-Leitzinssatz fast kontinuierlich von damals 4,25 Prozent auf heute 0 Prozent. Der sogenannte Einlagensatz, den Geschäftsbanken zahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken, beträgt derzeit minus 0,4 Prozent.
Ein weiterer Grund für die Niedrigzinspolitik ist die hohe Staatsverschuldung vieler Volkswirtschaften. Für ihre Schulden müssen die Staaten Zinsen bezahlen und allein diese Schuldzinsen belasten viele Staatshaushalte enorm. Sind die Zinsen sehr niedrig, können die Haushalte wesentlich leichter konsolidiert werden. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank hat der deutsche Staat durch geringere Schuldzinsen allein im Jahr 2015 43 Milliarden Euro gespart – verglichen mit dem Zinsniveau bei Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007. Dazu kommt, dass die öffentliche Hand neue Schulden quasi zum Nulltarif aufnehmen, beziehungsweise damit sogar Geld verdienen kann. Denn inzwischen sind Anleger sogar bereit, für die als besonders sicher geltenden deutschen Staatsanleihen negative Renditen zu aktzeptieren.
Was sind die Folgen der Niedrigzinsphase? Zu den offensichtlichsten Folgen gehören die immer geringeren Zinserträge für Sparer und Geldanleger. Gerne erinnert man sich an die Zeiten, als man seine Ersparnisse einfach auf ein Sparbuch einzahlen konnte und dafür zeitweise Zinsen von über 4 Prozent bekam. Festverzinsliche Wertpapiere, Sparbriefe und Staatsanleihen waren eine sichere und dennoch rentable Anlageform für jedermann.
Insbesondere Häuslebauer profitieren von den dauerhaft niedrigen Zinsen Heute gleichen die geringen Zinssätze – wenn denn überhaupt noch welche gezahlt werden – nicht mal mehr die Inflationsrate aus. So macht jeder, der sein Geld einfach nur auf einem Sparkonto parkt, auf Dauer Verlust. Das betrifft besonders Sparer mit niedrigem Einkommen, denn sie beschränken sich in der Regel auf risikolose, dadurch aber auch niedrig verzinste Anlageformen.
Auch sinkt insgesamt die Bereitschaft, Geld zurückzulegen, wenn sich das nicht mehr lohnt. So sank der Anteil derer, die regelmäßig Geld zurücklegen, laut einer repräsentativen Umfrage des Bankenverbandes vom Dezember 2015 in nur einem Jahr von 59 Prozent auf 53 Prozent. Dies ist insbesondere aus Sicht der Altersvorsorge problematisch.
Auf der anderen Seite sind die niedrigen Zinsen natürlich günstig für alle, die einen Kredit aufnehmen. Insbesondere Häuslebauer profitieren davon: So war beispielsweise der Effektivzins für Hypothekendarlehen mit 10 Jahren Zinsbindung seit 2007 von über fünf Prozent auf 1,4 Prozent im Jahr 2016 gesunken. Seither ist die Tendenz wieder leicht steigend, aber noch immer sind Baukredite sehr günstig zu haben. Durch die niedrigen Zinsen steigt allerdings auch die Nachfrage nach Immobilien – zumal sie als sichere Geldanlage gelten. Und das wiederum lässt seit Jahren die Preise für Wohneigentum steigen. (Quelle: Bankenverband )
Problematik einer europaweiten Niedrigzinspolitik Die Möglichkeit für Unternehmen, günstig an Kredite zu kommen, ist einer der Hauptgründe für die Niedrigzinspolitik der EZB. Sie möchte damit die Wirtschaft ankurbeln. Allerdings wird davon viel weniger Gebrauch gemacht, als erhofft. Denn insbesondere in Deutschland geht es vielen Unternehmen so gut, dass sie ihre Investitionen selbst finanzieren können. Und in anderen Ländern des Euroraums fehlt es häufig generell an Unternehmen mit Potenzial zum Wachstum und damit auch am Bedarf für Investitionskredite.
Damit ist ein wesentliches Problem der Geldpolitik in Europa angesprochen: Die EZB beschließt einheitliche Maßnahmen für alle ihre Mitglieder, deren Volkswirtschaften sich jedoch ganz unterschiedlich entwickeln. So wäre für die relativ stabile Konjunktur in Deutschland ein wesentlich höherer Zinssatz angemessen, als für Länder wie Italien oder Spanien, die unter hoher Verschuldung und Arbeitslosigkeit leiden.
Verkehrte Welt Bis zum Beginn der Niedrigzinsphase galt der Grundsatz: Wer Geld verleiht, bekommt als Gegenleistung Zinsen, wer Schulden macht, muss dafür Zinsen bezahlen. Außerdem galt: Wer langfristig Geld anlegt, wird belohnt, denn dafür gab es die höchsten Zinsen. Diese ökonomischen Grundlagen scheinen heute ad absurdum geführt: Schulden zu machen kostet fast nichts mehr und wer Geld auf die hohe Kante legt, macht damit auf Dauer Verlust. Banken und große Unternehmen müssen für ihre Rücklagen sogar Negativzinsen zahlen. Warum scheuen die Notenbanken vor einer Zinserhöhung zurück? Die Notenbanken haben Angst davor, mit einer zu schnellen Zinserhöhung eine gerade auflebende Konjunktur wieder abzuwürgen. Denn der private Konsum könnte dadurch zurückgehen und die Börsenkurse könnten fallen. Länder mit einer hohen Staatsverschuldung müssten wieder mehr Schuldzinsen bezahlen, was deren ohnehin schwächelnde Volkswirtschaften zusätzlich belasten würde. Mit einer schnellen Zinswende ist also kaum zu rechnen.
Was kann passieren, wenn die Zinsen weiterhin niedrig bleiben? Kritiker der Niedrigzinspolitik führen immer wieder an, dass Regierungen verschuldeter Staaten wenig Anlass sehen, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen, wenn sie dafür wegen der niedrigen Zinsen kaum zur Kasse gebeten werden. Somit würden dringend notwendige Wirtschafts- und Strukturreformen verschleppt, ohne die ein langfristiger und nachhaltiger Wirtschaftsaufschwung jedoch ausbliebe. Eine weitere mögliche Folge: Auf der Suche nach rentablen Anlageformen wird immer mehr in Aktien und Immobilien investiert, was deren Preise in die Höhe treibt. Im Extremfall kann das zu einer Preisblase führen, für die es zumindest in den Metropolen nach Ansicht der Bundesbank bereits Anzeichen gibt. Eine solche Immobilien-Preisblase – allerdings in extremer Form – war einer der Auslöser der Finanzkrise in den USA.
Die Kritiker der Niedrigzinspolitik sind der Ansicht, die EZB habe ihre geldpolitischen Möglichkeiten ausgereizt. Sie warnen davor, dass ein Beibehalten oder gar eine weitere Steigerung der bisherigen Maßnahmen mehr negative als positive Effekte haben könnte und die Finanzstabilität gefährden würde.
Was bringt die Zukunft? Wie lange hält die Niedrigzinsphase eigentlich noch an? Diese Frage wird seit ihrem Beginn in regelmäßigen Abständen diskutiert – von Politikern, von Ökonomen, in den Medien, in Talk-Runden. Noch vor Jahren haben selbst Fachleute nicht damit gerechnet, dass diese Tiefzinsphase so lange anhalten würde. Immer wieder wurde eine baldige Zinswende prognostiziert, zum Beispiel 2015, als die amerikanische Fed erstmals seit fast zehn Jahren ihren Leitzins erhöhte – allerdings nur geringfügig von 0,25 auf 0,5 Prozent.
Seit dem Jahresbeginn 2018 gibt es nun erste Anzeichen für eine Zinswende auch in Europa: So hat die EZB die Anleihekäufe im Januar deutlich reduziert. Eine Anhebung des Leitzins ist allerdings noch nicht in Sicht. Genaue Prognosen bezüglich der Zinsentwicklung sind schwierig, viele Experten gehen jedoch davon aus, dass die Zinsen im Laufe der nächsten 12 Monate ganz allmählich steigen könnten. Eine Garantie gibt es hierfür nicht.
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