es war ja einige Zeit ruhig bei dem Thema. Jetzt wird einiges klarer: Quelle HANDELSBLATT
Cum-Ex-Chefermittlerin Brorhilker hat gekündigt Niemand hat so viel an der Aufklärung der Steueraffäre Cum-Ex gearbeitet wie die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Nun bittet sie um ihre Entlassung. An der Justiz übt sie scharfe Kritik.
ie deutsche Justiz verliert ihre schärfste Waffe im Kampf gegen Steuerhinterzieher. Anne Brorhilker, die Leiterin der Hauptabteilung H, in der die Cum-Ex-Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Köln gebündelt sind, hat eine „Bitte um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis" eingereicht. Die Oberstaatsanwältin bestätigte dem Handelsblatt, dass sie aus dem Staatsdienst ausscheiden und Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende werden will. Zuerst hatte der WDR über den Personalwechsel berichtet und ein Interview mit ihr geführt. Mit Cum-Ex-Geschäften wurde die deutsche Staatskasse in der Vergangenheit um geschätzte zwölf Milliarden Euro geplündert. Banken und vermögende Investoren ließen sich dabei Steuern „erstatten“, die sie gar nicht gezahlt hatten. Brorhilker ermittelt seit 2013 in der Sache – anfangs praktisch im Alleingang. Aktuell gibt es rund 120 Verfahrenskomplexe mit mehr als 1700 Beschuldigten. Brorhilker möchte die Staatsanwaltschaft Köln zum 31. Mai verlassen, am nächsten Tag will sie ihre neue Stelle bei Finanzwende antreten. Die in Berlin ansässige Bürgerbewegung wurde 2018 von dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick (Grüne) gegründet. Auch sie ist stark bei der Aufklärung der Cum-Ex-Affäre engagiert. Schick hatte in seiner Zeit als Parlamentarier einen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex initiiert. Zwischen ihm und Brorhilker gibt es seit Jahren gute Kontakte. Schick freut sich daher über die Verstärkung „Das ist ein Schritt, der Mut macht: Eine erfolgreiche Staatsanwältin geht in die politische Auseinandersetzung", sagte Schick. Der Wechsel von Anne Brorhilker zu Finanzwende sei eine Kampfansage an Finanzkriminelle und ihre Unterstützer. Täter träfen auf eine schwache Justiz Brorhilker wollte auf Anfrage ihre Entscheidung nicht kommentieren. In dem Interview mit dem WDR begründete sie ihre Entlassungsbitte mit strukturellen Problemen. „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität“, sagte Brorhilker. „Aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird. Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.“ Aus ihrer neuen Position heraus will Brorhilker sich künftig dafür einsetzen, die Strukturen zu ändern. Sie sehe dies daher nicht als Rückzug, sondern als neuen Ansatz. Es sei so, „als wenn ein Arzt entscheidet, nicht mehr länger einzelne Kranke zu behandeln, sondern in die Forschung geht, um eine Therapie zu entwickeln, um das Übel quasi an der Wurzel zu fassen.“ Die Gefahr, dass die Cum-Ex-Ermittlungen in Köln nun ins Stocken geraten, sieht Brorhilker nicht. „Wir haben mittlerweile ein großes Team, es sind über 30 Staatsanwälte, die engagiert an diesen Themen arbeiten“, sagte die 50-Jährige „Es sind vier Abteilungen gegründet worden mit vier Abteilungsleitern. Deswegen sind wir gut aufgestellt, und ich finde, meine Kollegen machen eine hervorragende Arbeit. Wenn man sie weiterhin unterstützt, wird das auch weiterhin gut laufen.“ Bislang mangelte es jedoch bisweilen an dieser Unterstützung. Vor etwa einem halben Jahr war es fast zu einem Eklat gekommen, als NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) die Abteilung H teilen wollte und Brorhilker faktisch entmachtet hätte. Erst nach viel Kritik vollzog der Minister eine Kehrtwende.Limbachs Vorgänger im Amt des Justizministers, Peter Biesenbach (CDU), hatte seinerseits die Abteilung Brorhilkers personell deutlich aufgestockt. Über ihr Ausscheiden ist er entsetzt. „Ich bedauere diese Entscheidung von Frau Brorhilker sehr. Die Ermittlungen gegen die Cum-Ex-Industrie werden immens geschwächt“, sagte Biesenbach dem Handelsblatt. „Sie war Gehirn und treibende Kraft“ Anne Brorhilker sei das Gehirn und die treibende Kraft der Staatsanwaltschaft gewesen. „Die Arbeit wurde ihr so schwer gemacht, dass sie offensichtlich keinen anderen Weg mehr gesehen hat, als ihren Job aufzugeben“, sagte Biesenbach. Es sei an der Zeit, dass die Vorgänge rund um die Cum-Ex-Ermittlungen im Rahmen eines Untersuchungsausschusses aufgearbeitet werden. Aus ihrem Büro in einem baufälligen Gebäude in Köln-Sülz heraus wühlte sich Brorhilker anfangs allein durch die ersten Cum-Ex-Akten. Kollegen wunderten sich, was sie da trieb, Vorgesetzte reagierten mit Unverständnis, als Brorhilker eine Großbank nach der anderen anklagen wollte, von Frankfurt über London und New York bis nach Sydney.Auch die Täter nahmen Brorhilker lange nicht ernst. „Die versteht doch gar nicht, wie die Sache funktioniert“, sagte Hanno Berger, mächtiger Steueranwalt und maßgebender Strippenzieher in der Cum-Ex-Affäre. Als Brorhilker nicht abließ und aus seinem ehemaligen Kanzleipartner einen Kronzeugen machte, wurde Berger aggressiv. Er zeigte Brorhilker an, beschimpfte sie als „kleine Tante“ und „dumme Kuh“. Letztlich klagte Brorhilker Berger an. Das Landgericht Bonn verurteilte ihn zu acht Jahren Haft, der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil. Viele weitere Prozesse gegen andere Cum-Ex-Täter laufen.
|