"Schlimmeres habe ich noch nie erlebt"
Seit über 50 Jahren regiert die CDU in Baden-Württemberg. Jetzt verscherzt sie es sich mit ihren Anhängern. Manche haben sogar das Gefühl, die Partei führe Krieg gegen sie. VON PETER UNFRIED
Angekommen in der Hauptstadt: der Protest gegen "Stuttgart 21". Foto: dpa
Egon Hopfenzitz ist in Schwäbisch Gmünd geboren, 50 Kilometer östlich von Stuttgart und "uralt und katholisch", wie der Chronist Dominikus Debler sagt. In Gmünd regiert die CDU. Und sonst nichts. Dort wuchs Hopfenzitz auf und dort organisiert er heute noch das Jahrgangstreffen des Jahrgangs 1929, das seit Jahrzehnten am 30. Dezember stattfindet.
Wer noch lebt, geht bis heute hin. Das ist der Normalfall, weil Gmünd - und das ist jetzt kein Schmuh - seine Traditionen intensiver und obsessiver pflegt, als man das anderswo tut. Hopfenzitz vorne weg, obwohl er einst aus beruflichen Gründen nach Stuttgart zog. Dort engagierte er sich 42 Jahre im Kirchengemeinderat von St. Eberhard. Anzeige
Ein klassischer, schwäbischer Konservativer? "Ja, ich bin Konservativer", sagt er. Und das bleibt er, auch wenn er nach sechzig Jahren bei der Landtagswahl im März erstmals nicht CDU wählt. Er gehört zu den Baden-Württembergern, die das Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 für eine gigantische Fehlplanung und Schuldenfalle halten. Er spricht die Zahl "Ais-a-zwanzig" aus.
Die CDU führt jetzt Krieg gegen ihn. Zumindest hatte er in den letzten Tagen diesen Eindruck. Er stand mit seiner Frau in der ersten Reihe, als Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) am Donnerstag aus seiner Sicht das demokratisch legitimierte Recht des Bauherrn Deutsche Bahn im Stuttgarter Schlossgarten mit Polizeigewalt durchsetzte. Geriet in das Schussfeld der Wasserwerfer. Habe gesehen, wie Polizisten mit Pfefferspray gezielt Bürger attackierten. Nicht, um sich zu verteidigen, sondern um anzugreifen. Habe gesehen, wie alte Menschen und Kinder verletzt weggeschleppt werden mussten. Die Staatsmacht zeigt Härte, wird das gern genannt.
Hopfenzitz sagt: "Kriegszustand". Schlimmeres habe er noch nicht gesehen. Was eine Gnade der Gmünder Geburt ist: Die Jungs des Jahrgangs 1929 wurden zwar kurz vor Kriegsende 1945 noch losgeschickt, aber nur noch zum Bauen des Westwalls bei Kehl am Rhein. Und Gmünd selbst kriegte nur eine Bombe ab.
"Mappo-Rambo" rufen sie
Jedenfalls hat er den Eindruck, dass Mappus erst richtig abgeht, seit Kanzlerin und Parteifreundin Merkel die Landtagswahl zum Plebiszit über Stuttgart 21 erklärt hat. "Mappo-Rambo" rufen die protestierenden Bürger inzwischen den Ministerpräsidenten; in Anspielung auf den Film, in dem Sylvester Stallone als "Rambo" ohne Rücksicht auf Verluste alles niederknüppelt, was sich ihm in den Weg stellt.
Zwei Drittel der Stuttgarter lehnen inzwischen Stuttgart 21 ab. Und 54 Prozent im Land. Es müssen demnach auch "Menschen wie du und ich" darunter sein, wie selbst Mappus konzedierte. Bürger. Geborene CDU-Wähler. Sogar Gmünder. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) war bis Mitte der 1990er OB von Schwäbisch Gmünd. "Hättet ihr den Schuster behalten", sagte Hopfenzitz unlängst bei einem Vortrag in Gmünd, "dann hättet ihr heute einen unterirdischen Bahnhof." Gelächter. Sie hatten gut lachen.
Hopfenzitz ist keiner, der sich erst in den letzten Wochen und Monaten dem Protest angeschlossen hat. Dass er nicht mehr CDU wählen wird, war schon vor dem Aufmarsch der Staatsgewalt klar. Er ist Bundesbahnoberrat a.D., war Chef des Stuttgarter Hauptbahnhofs und hat sich als solcher seit der Geburt des Projekts Mitte der 1990er Jahre mit den Vor- und Nachteilen beschäftigt. Er kennt alle Argumente der Befürworter, ist aber selbst zu anderen Erkenntnissen gekommen.
Die wichtigsten: Ein Kopfbahnhof ist leistungsfähiger als der geplante Tiefbahnhof. Die Kosten werden nicht sieben sondern zehn bis zwölf Milliarden Euro betragen. 70 Prozent der Reisenden aus dem Norden steigen in Stuttgart aus, denen nutze eine beschleunigte Neubaustrecke nach München gar nichts. Und was die den Befürwortern so wichtige "Magistrale" Paris-Stuttgart-Bratislava angeht, versorgte er sich schon in den 1990ern mit Zahlen. Ergebnis: Im Jahr wurden zwei oder drei Tickets von Stuttgart nach Bratislava verkauft. "Kein Mensch wollte nach Bratislava." ... http://taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-stuttgart-21/...-noch-nie-erlebt/
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